Kaltërina Latifi bei «Schawinski» «Ich habe meine Eltern angeschaut und mich fremd gefühlt»

mmi

11.12.2022

Latifi: «Wenn ich zurückdenke, habe ich drei Sorten von Traumen»

Latifi: «Wenn ich zurückdenke, habe ich drei Sorten von Traumen»

Latifi spricht offen darüber, wie sie der Weggang aus dem Kosovo und das Aufwachsen in der Schweiz geprägt haben.

09.12.2022

Im neusten Talk empfängt Roger Schawinski die Literaturwissenschaftlerin Kaltërina Latifi. Die Essayistin mit kosovarischen Wurzeln spricht über Heimat, Traumata – und erfolgreiche Integration.

mmi

11.12.2022

Die heutige Ausgabe startet ein wenig anders als üblich. Nach einer kurzen Einführung ergreift Talkgast Kaltërina Latifi gleich das Wort, ohne dass der Talkmaster eine Frage stellen muss.

Die Essayistin teilt nicht nur in ihren Kolumnen, die sie für «Das Magazin» schreibt, viel Persönliches. Auch in der Sendung spricht sie offen und ungeschönt über ihre kosovo-albanische Herkunft und das Aufwachsen in der Schweiz. 

Die heute 38-Jährige erzählt, wie ihre Eltern sie mit fünf Jahren in die Schweiz geholt hatten. Wie sie die Ankunft in der Schweiz traumatisiert habe. So musste sie sich etwa als kleines Mädchen von ihrer geliebten Grossmutter verabschieden und zu den ihr unbekannten Eltern nach Adelboden im Berner Oberland ziehen. «Ich bin in der Küche der kleinen Wohnung gesessen, habe meine Eltern angeschaut und mich fremd gefühlt», sagt Latifi.

Diese Erfahrung habe sie so sehr geprägt, dass sie bis heute keine Wurzeln schlagen könne: «Es drängt mich immer irgendwohin.»

In ihren Texten schreibt die Autorin nicht nur über ihre Wurzeln und ihre Suche nach Heimat. Sondern auch über veraltete Rollenbilder im kosovo-albanischen Umkreis: Die Vorstellung etwa, dass die Frau dem Mann nach wie vor unterstellt sein soll.

Kritik für klare Worte an veralteten Rollenbildern

Für ihre klaren Worte erntet Latifi auch Kritik. Mit ihren Kolumnen will sie aber gegen Tabus anschreiben und diese brechen. Würde jemand ohne Migrationshintergrund so deutlich werden wie sie, würde diese Person als Nazi beschimpft, ist sie überzeugt. Bei ihr hingegen drücke man ein Auge zu, erklärt sie.

«Das ist falsch verstandene Solidarität», sagt Latifi. Gewisse Leute würden sich scheuen, Missstände anzuprangern. Manche hätten auch das Gefühl, jenen Menschen, die in der Schweiz diskriminiert werden oder wurden, müsse man ihnen immer zustimmen. Das sei aber falsch, findet die Essayistin. Der Talkmaster fasst es mit dem Begriff «Cancel Culture» zusammen.

Latifi: «Das ist eine falsch verstandene Solidarität»

Latifi: «Das ist eine falsch verstandene Solidarität»

Kaltërina Latifi spricht darüber, wie sich Menschen davor scheuen Missstände bei Minderheiten oder diskriminierten Menschen zu benennen – weil die vermeindliche Opfer sein könnten.

09.12.2022

Als letztes Hauptthema spricht Roger Schawinski die Integration der kosovo-albanischen Menschen in der Schweiz an. Ob die denn grundsätzlich gelungen sei? Kurz darauf nennt er zwei der bekanntesten Namen, jene der Fussballnationalspieler Granit Xhaka und Sherdan Shaqiri. Die laut Schawinski durch besonders viel Fleiss, Engagement und Talent auffallen würden. Für Latifi ist dies nicht aussergewöhnlich: «Als Ausländer hat man das Gefühl, mehr Gas geben zu müssen.» 

Latifi: «Als Ausländer hat man das Gefühl, mehr Gas geben zu müssen»

Latifi: «Als Ausländer hat man das Gefühl, mehr Gas geben zu müssen»

Latifi spricht über erfolgreiche Integration und warum man aus Ausländer das Gefühl hat, mehr Gas geben zu müssen.

09.12.2022

Zum Schluss der  Sendung schliesst sich der Kreis wieder – die beiden landen erneut bei der Suche nach Heimat.

Schawinski will wissen, wie der Einbürgerungsprozess in der Schweiz für die Schriftstellerin und ihre Familie gewesen sei und warum sie auch noch die deutsche Staatsbürgerschaft erworben habe? Mittlerweile lebt Latifi in London, wo sie für ihre Professur an der Queens Mary University forscht und arbeitet. Wo denn ihre Heimat sei, will Schawinski wissen. Die Antwort bleibt offen.

Den ganzen Talk mit Kaltërina Latifi siehst du am Sonntag, 18:15 Uhr (Wiederholung 22.10 Uhr), in der Sendung «Schawinski» auf blue Zoom.

Der «Schawinski»-Talk mit Kaltërina Latifi in voller Länge:

Schawinski – mit  Kaltërina Latifi

Schawinski – mit Kaltërina Latifi

Mit der Schweizer Autorin und Literaturwissenschaftlerin Kaltërina Latifi, die im Kosovo geboren ist, diskutiert Roger Schawinski über die Entwicklung im Land, über längst überholte Rollenbilder und über die wachsende Tendenz zur Selbstbestimmung.

09.12.2022