Kolumne am Mittag Benedict Wells' neues Buch hat mich geärgert, bis sie sich küssten

Von Bruno Bötschi

1.3.2021

Vergangene Woche ist der neue Roman von Bestsellerautor Benedict Wells erschienen.
Vergangene Woche ist der neue Roman von Bestsellerautor Benedict Wells erschienen.
Bild: Heike Bogenberger

Der seit einiger Zeit in Zürich lebende Bestsellerautor Benedict Wells hat dieser Tage einen neuen Roman herausgebracht. In «Hard Land» begleitet er einen Teenager und erzählt vom Erwachsenwerden in den 1980er-Jahren.

Geplant hatte ich, einen Verriss zu schreiben. Als ich den neuen Roman von Benedict Wells las, wollte mich die Geschichte einfach nicht richtig packen  – bis etwas passiert ist, das mich zwang, meine Gedanken neu zu sortieren und meine Kritik umzuschreiben.

Aber ich fange vorne an: Wells wurde 1984 in München geboren. Nach Jahren in Barcelona lebt er heute in Zürich. In seinem neuen Roman «Hard Land», es ist sein sechster, schreibt er über die US-amerikanische Popkultur der 1980er.

Ich ertappte mich, wie ich den Autor kontrollieren wollte

Im Buch begleitet er Teenager Sam am Ende der Pubertät. Sam ist einsam. Seine Mutter ist an Krebs erkrankt, der Vater arbeitslos. Um vor den Problemen daheim zu fliehen, nimmt er im Sommer einen Ferienjob in einem Kino an. Sam findet Freunde und verliebt sich zum ersten Mal – bis etwas passiert, das ihn zwingt, erwachsen zu werden.

Geplant hatte ich, einen Verriss zu schreiben. Für mich schreibt der 35-jährige Wells ein bisschen zu perfekt über eine Zeit, die er selber nicht erlebt hat. «Bevor ich eine Zeile getippt hatte, erstellte ich eine 80s-Playlist mit mehreren Hundert Titeln», verriet der Autor in einem Interview, «dann ging ich oft stundenlang spazieren, hörte die Songs und arbeitete an den Figuren oder stellte mir Szenen vor.»

Diese Liste war einer der Auslöser für meinen Ärger während der Lektüre des Romanes. Statt mich auf die Geschichte von Sam zu konzentrieren, ertappte ich mich beim Lesen immer wieder, wie ich den Autor kontrollieren wollte. Dröhnte im Buch Musik von Bruce Springsteen aus den Boxen, schaute ich sofort im Internet nach, in welchem Jahr der Song erschienen ist.

Eine verletzte Journalistenseele

Gern hätte ich mit Benedict Wells über sein neues Buch gesprochen. Er wollte leider nicht: «Er ist ja sehr zurückhaltend mit Interviews», antwortete mir der Diogenes-Verlag, «da er möchte, dass seine Bücher im Vordergrund stehen, nicht seine Person.» Resultat: eine verletzte Journalistenseele.

Geplant hatte ich, einen Verriss zu schreiben – bis ich vergangene Woche das Interview mit Wells im «Tages Anzeiger» las.

Wells erzählt darin, wie er als Kind der 1990er mit einer gewissen Verklärung der US-amerikanischen Popkultur grossgeworden sei. «Hätte ich über die selbst erlebten 1990er-Jahre geschrieben, hätte ich nur meinen eigenen Blickwinkel gehabt, es hätte mich limitiert und wohl auch gelangweilt.» So sei ihm jedoch beim Erzählen alles offen gestanden, die Weite eines anderen Landes und einer anderen Zeit.



Wells erzählt weiter, wie er 2008 während einer USA-Reise mit Freunden in einem Ort am Missouri-River vorbeigekommen sei und eine besondere Schwingung gespürt habe. Damals habe er gedacht: «Eines Tages werde ich eine Geschichte schreiben, die hier spielt.»

Ein Verriss wäre unverschämt gewesen

Sein Roman «Hard Land» ist diese Geschichte. Der Schriftsteller ging also sage und schreibe 13 Jahre mit der Geschichte schwanger, bevor er anfing sie aufzuschreiben. Als ich dies las, spürte ich eine grosse Versöhnung mit dem Autor, weil ich realisierte, wie viel Sehnsucht, Herz, Arbeit und Zeit er in «Hard Land» gesteckt hat.

Ich erinnerte mich an meine eigene Pubertät, und warum es damals oft so schwierig schien, Freunde zu finden, weil man sein Pickelgesicht hässlich und sich als Ganzes total uncool fand. Auch bei Sam dauert es Wochen, bis die anderen «Kino-Teenager» ihn in die Gruppe aufnehmen und Kirstie, das einzige Mädchen, ihn küsst und er endlich in den Bund der Coolen aufgenommen wird.

Geplant hatte ich, einen Verriss zu schreiben. Heute weiss ich, ein Verriss wäre unverschämt gewesen.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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