Kolumne am Mittag Systemsprenger und Neonazi

Von Carlotta Henggeler

14.1.2021

Wenn Hollywood bei ihm anklopfen sollte, dann bei seinem Agenten. Denn der deutsche Shootingstar Albrecht Schuch hat kein Handy. Waaaaas, Sie kennen ihn noch nicht? Höchste Zeit!

Kennen Sie dieses Gefühl, wenn Sie aus dem Kino laufen und sich die Geschichte auf Ihre Netzhaut und in Ihre Gedanken gebrannt hat? Sie mehrere Tage nicht mehr loslässt, bis Sie sie verdaut haben? 

So erging es mir letztes Jahr an der Berlinale, nachdem ich «Berlin Alexanderplatz» im Friedrichstadt-Palast gesehen hatte. Ich hatte dem abgrundtief menschenverachtenden und bösen Drogenboss Reinhold alias Albrecht Schuch direkt in die irren Augen geblickt. Reinhold ist eine kaputte Seele, die seine innere Wut und Durchgeknalltheit an anderen auslässt. Er kennt kein Pardon.

Das erinnerte an Jack Nicholson in «Shining». Dort kann man zusehen, wie er in der Abgeschiedenheit des Winterhotels langsam, aber unaufhaltsam in den Irrsinn abdriftet. 

So ähnlich war es auch bei «Berlin Alexanderplatz». Nur, dass Reinhold von Anfang an komplett gaga ist und es dank seinem Charisma, dem Versprechen eines besseren Lebens und viel Geld arme Seelen in seinen Bann zieht. 

Und wer einmal in die Fänge von Drogenbaron Reinhold gerät, der kommt da nicht mehr raus. Man ist in dieser Abwärtsspirale, die direkt in die Hölle führt. Und als Zuschauer*in ist man diesem kruden Spiel ausgeliefert.

Ich hatte das abgrundtief Böse auf Grossleinwand gesehen. Und das Böse trug das Antlitz von Albrecht Schuch. 

Das ist grosses Kino: Nachhaltig, stark.



Dieser fantastisch-verrückte Reinhold heisst in Wirklichkeit Albrecht Abraham Schuch. In Deutschland bereits ein grosser Name, dessen Palmares schon gut gefüllt ist mit mehreren Grimmepreisen, dem Max-Ophüls-Preis, dem Deutschen Schauspielerpreis, der Goldenen Kamera.

Und jetzt kommt die Nomination zum European Shooting Star dazu: Die European Film Promotion hat gestern die zehn europäischen Nachwuchsschauspieler*innen bekannt gegeben, die als European Shooting Stars 2021 geehrt werden. Aus Deutschland wurde Albrecht Schuch ausgewählt.
 Eine internationale Fachjury, 2021 bestehend aus der amerikanischen Casting-Direktorin Cassandra Han, der kosovarischen Regisseurin Antoneta Kastrati und dem dänischen Produzenten René Ezra, kürte die European Shooting Stars 2021, schreibt die deutsche Filmakademie.

Wer weiss, vielleicht ist dies nun sein Ticket nach Hollywood? Wäre denkbar. Bei Schuchs Schauspiel-Kollegin Helena Zengel, die er als Anti-Aggressions-Trainer in «Der Systemsprenger» zu bändigen versuchte, hat es bereits geklappt. Die Berlinerin ist an der Seite von Tom Hanks in «Neues aus der Welt» zu sehen.

Bleibt lediglich die Frage, ob Schuch überhaupt an einer Karriere in den USA interessiert ist. An Talent und Erfahrung fehlt es nicht. Spielte der gebürtige Ostdeutsche zum Beispiel schon in der internationalen und gehypten TV-Serie «Bad Banks» mit. 

Ein Hollywoodstar ohne Smartphone? Zumindest bis 2016 besass er noch keines, wie er im Interview mit «Prisma» verriet: «So bewahre ich mir im Alltag Ruhe. Es erspart mir eine Menge Stress. Ich habe abends dann eine halbe Stunde Schreibtischzeit am Computer, und mehr nicht. Kein ganztägliches Eintrudeln von Nachrichten. Ausserdem bin ich davon überzeugt, dass die Fantasie abnimmt, wenn man ständig im Smartphone alles nachschauen kann und Antworten findet. Man denkt nicht mehr selbst nach. Jedes fantasievolle Gespräch wird doch sofort unterbrochen, indem man seine Fragen googelt und somit vermeintliches Wissen auf dem Silbertablett erhält.»

Wäre doch jammerschade, würde so ein Handy Schuchs Fantasie klauen. Die braucht er für seinen Job, egal ob in Berlin oder Los Angeles.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

Zurück zur Startseite