Selbstüberschätzung Darum glauben viele, dass sie es besser wissen

tafu

24.11.2021

Ersetzt die kurze Internet-Recherche das Medizinstudium? Einige Menschen scheinen das zu glauben ...
Ersetzt die kurze Internet-Recherche das Medizinstudium? Einige Menschen scheinen das zu glauben ...
Bild: Keystone/Alessandro Della Bella

Kurz gegoogelt, und schon weiss ich mehr als ein studierter Virologe? Was absurd klingt, ist nicht erst seit der Pandemie ein verbreitetes Phänomen: die Selbstüberschätzung inkompetenter Menschen.

tafu

24.11.2021

«Ich weiss, dass ich nichts weiss» – schon Sokrates versuchte mit dieser Aussage zu verdeutlichen,  dass das Bewusstsein über das eigene Nicht-Wissen der Schlüssel zur wahren Weisheit ist. Diesem Phänomen versuchten über 2000 Jahre nach dem griechischen Philosophen auch zwei Sozialpsychologen auf die Spur zu kommen: David Dunning und Justin Kruger. 

1999 wollten die beiden Wissenschaftler an der Cornell University im US-Staat New York den Effekt erklären, warum Menschen mit wenig Wissen sich häufig selbst überschätzen und gleichzeitig die Leistung kompetenterer Menschen herunterspielen. Ein Phänomen, das besonders in der Corona-Pandemie allzu häufig zu beobachten ist.

Dunning und Kruger führten eine Studie durch, in der Studierende verschiedene Tests schreiben mussten. Anschliessend sollten sie einschätzen, wie sie im Vergleich zu den anderen Teilnehmenden abgeschnitten hatten.

Inkompetente Menschen überschätzen sich

Das Ergebnis: Diejenigen, die am schlechtesten abschnitten, waren zuvor davon überzeugt, die besten Lösungen gefunden zu haben. Auch als sie die Tests der besseren Studierenden zu sehen bekamen, waren sie noch immer von ihrer Überlegenheit überzeugt.

Ein Paradebeispiel des sogenannten «Dunning-Kruger-Effekts» sei ein Banküberfall, der sich 1995 in den USA ereignete, berichtet «SRF». Ein Mann raubte am helllichten Tag zwei Filialen aus und das ohne Maske, die sein Gesicht versteckte – ganz zum Erstaunen der Polizei. 

Bei der Verhaftung war die Überraschung des Täters gross: Zuvor habe er sich doch das Gesicht mit Zitronensaft eingerieben. Dieser funktionierte in vielen Ganovenfilmen als unsichtbare Tinte: Warum habe er denn nicht bei ihm geholfen?

Das Phänomen: Auffällig oft überschätzen inkompetente Menschen ihre eigenen Fähigkeiten, während sie gleichzeitig die Leistungen kompetenter Menschen unterschätzen. Und das sei ihnen nicht einmal bewusst.

Pandemie macht Laien zu Wissenschaftlern

Dunning und Kruger definierten hierfür vier Stufen der Selbstwahrnehmung: Inkompetente Menschen neigen zur Überschätzung ihrer Fähigkeiten – ihre eigene Inkompetenz können sie nicht erkennen. Dadurch lernen sie nicht dazu und bauen ihre Kompetenz nicht weiter aus. Das führt wiederum dazu, dass sie die Fähigkeiten kompetenter Personen nicht erkennen.

In Bezug auf die Corona-Pandemie lässt sich der Effekt heranziehen, um das Verhalten einiger Menschen in den sozialen Medien zu erklären. Durch eine kurze Recherche im Internet fühlen sich gewisse Personen wissender, als hätten sie ein anspruchsvolles Medizinstudium hinter sich gebracht. Gleichzeitig reden sie die Leistungen von Wissenschaftlern, speziell Virologen, klein.



Doch nicht erst seit der Pandemie lässt sich der «Dunning-Kruger-Effekt» beobachten. Viele Alltagssituationen zeigen dasselbe Phänomen: Sei es beim Fussball, wenn man als Zuseher oder Zuseherin glaubt,  Entscheidungen besser als Schiri oder Trainer treffen zu können. Oder politische Entscheidungen bemängelt, die man doch selbst besser getroffen hätte, wenn man denn in der Politik wäre.

Auch Casting-Shows zeigen oft perfekte Beispiele dafür: So mancher Teilnehmende scheint sich nicht bewusst zu sein, wie seine Performance einzuschätzen ist. Umso überraschender ist dann eine vernichtende Kritik seitens der Jury.

Niemand will Inkompetenz zugeben

Den Grund, warum sich Menschen immer wieder selbst überschätzen, sehen die beiden Psychologen darin, dass man stets ein positives Selbstbild aufrechterhalten möchte. Kaum jemand gibt gerne zu, dass er keine Ahnung von etwas hat.

Das bestätigt auch Sozialpsychologe Hans-Peter Erb bei «National Geographic»: «Wir alle haben ein positives Selbstbild, das wir aufrechthalten wollen», so der Wissenschaftler. Ausserdem könne diese Überschätzung sogar zu einer Belohnung führen. 

«Wer sich leicht selbst überschätzt, der ist eher erfolgreich, weil er auch Aufgaben angeht, die er nach realistischer Einschätzung vielleicht gar nicht angegangen hätte», so Erb. Wenn die Aufgabe dann auch noch zufällig zum Erfolg führt, haben diese Personen das Gefühl, alles richtig zu machen.

Wege aus der Selbstüberschätzung

Was kann man aber gegen die eigene Selbstüberschätzung tun? Dafür sind zwei Dinge von Bedeutung: Einsehen und Selbstreflexion. Zunächst einmal muss man einsehen, dass manche komplexen Probleme einfach nicht vom gesunden Menschenverstand durchdrungen werden können.

Ausserdem muss man sich bewusst machen, dass man eine Neigung zur Selbstüberschätzung hat. Oder wie es der zuvor erwähnte griechische Philosoph beschrieb: Man sollte wissen, wenn man nichts weiss.