Kolumne Instagram ist ein fatales Sammelsurium von Irrglauben

Von Jürg Hösli

22.2.2021

Ungefähr jeder neunte Influencer befasst sich damit, der Audience Ernährungstipps zu geben. Wie zuverlässig sind solche Ratschläge? 
Ungefähr jeder neunte Influencer befasst sich damit, der Audience Ernährungstipps zu geben. Wie zuverlässig sind solche Ratschläge? 
Bild: Getty Images

Alle können auf Instagram Ratschläge zum Thema Ernährung geben. Das birgt Risiken: Die meisten Tipps basieren auf Erfahrungswissen. Elf häufig gelesene Behauptungen im Check-up. 

Instagram-Stars und -Sternchen haben in Gesundheitsfragen einen Einfluss auf unsere Jugend, von dem jeder Professor träumt. Doch Influencer weisen kaum je eine fundierte Wissensbasis auf, sondern prägen die Jugendlichen mit einem Scheinwissen, das bei näherer Betrachtung keiner Prüfung standhält.

Bei Instagram geht es nicht um Realität, sondern um scheinperfekte Menschen, die genau diese Perfektion über Bilder und Informationen verkaufen. Neben Photoshop sind oft auch Essstörungen und Dopingmittel der Grund für diese perfekten Körper. Süchtig nach Likes verkaufen sie alles, was möglichst extrem ist. Das Tragische an der ganzen Sache ist, dass süchtige Menschen keine Verantwortung übernehmen können, aber sie sind die wichtigsten Lehrerinnen für Gesundheit, weil wir dies ja nicht in der Schule lernen.

Darum ist es auch nicht erstaunlich, dass viele Ernährungsweisheiten bei Instagram oft wenig Wahrheitsgehalt haben. Viel schlimmer ist aber, dass viele Aussagen sogar massiv gesundheitsgefährdend sind. Die häufigsten Behauptungen sollen im Folgenden unter die Lupe genommen werden.

1. «Es spielt keine Rolle, wann ich etwas esse, am Ende der Woche muss die Kalorienmenge stimmen.»

Unser Essen hat sehr wohl eine Uhr, wann und vor allem wie viel wir essen. Wer über den Tag wenig isst, nicht frühstückt, dann aber alle Nährstoffe am Abend reindrückt, der nimmt zu und vor allem im Bauchbereich.

Zum Autor: Jürg Hösli
Jürg Hösli
erpse

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur, Zürich und Solothurn.

Der Körper speichert Nährstoffe über das Hormon Insulin. Dessen Funktionalität nimmt über den Tag ab, darum lagert der Körper, je länger der Tag geht, automatisch mehr in den Fettzellen ab. Das wussten übrigens schon unsere Urgrosseltern und haben absolut recht mit der Aussage: am Morgen wie ein Kaiser, am Mittag wie ein König und am Abend wie ein Bettler.

Wer seine Kalorien nicht nach diesem Grundsatz verteilt, kämpft häufig mit diesen Problemen: Müdigkeit, Dünnhäutigkeit, Energielosigkeit, unruhiger Schlaf, schlechtere Wundheilung, erhöhtes Entzündungsgeschehen, insbesondere im Bereich Lunge, Darm und Haut.

2. «Kohlenhydrate machen dick.»

Kohlenhydrate braucht unser Körper für den Sauerstofftransport und das Funktionieren des Nervensystems. Die rund 130 bis 170 Gramm bilden das Minimum einer ausgewogenen Ernährung. Da wir aber einen begrenzten Speicher für die leckeren Kohlenhydrate haben, spielt der Zeitpunkt und die Menge der Aufnahme eine wichtige Rolle. In einem Auto würden wir auch nicht zweimal gleich hintereinander tanken, sonst würde das eine Sauerei am Boden geben. Das Gleiche passiert beim Körper, nur sammeln sich die Kohlenhydrate dann in der Bauchregion als Fettdepot.

So weit ist die Aussage richtig. Gehen wir aber unter den Grundbedarf der obigen Menge Kohlenhydrate, lassen wir den Körper vermehrt das Stresshormon Cortisol produzieren. Die langfristigen negativen Effekte sind dann folgende: Magen-Darm-Probleme, Kurzatmigkeit, Dünnhäutigkeit bis depressive Verstimmungen, kalte Extremitäten, Schlafstörungen, Vergesslichkeit, Verstopfung, Verspannungen und Sehnenansatzprobleme. In der ausgewogenen Ernährung gehen wir von rund 40 Prozent Kohlenhydrate an den Gesamtkalorien aus.

3. «Vegan ist die gesündeste aller Ernährungsformen.»

Viele Influencer ändern von einer kohlenhydratarmen Ernährung auf eine vegane, essen endlich wieder mal mehr Kohlenhydrate und fühlen sich darum auch besser. Dies ist der ganze Zauber. Natürlich wollen sie dies die ganze Welt wissen lassen, sehen aber nicht die echte Ursache, warum sie plötzlich wieder schlafen können.

Vegan ist definitiv nicht gesünder als eine «normale» ausgewogene Ernährung, oft ist leider das Gegenteil der Fall. In wissenschaftlichen Meta-Studien erkennen wir deutlich mehr Knochenbrüche als bei Allesessern oder Vegetariern, die auch Milchprodukte und Ei essen. Veganer leiden regelmässig an diversen Mängeln, die nur durch Nahrungsergänzungen ausgeglichen werden können. Eine gesunde Ernährung sieht anders aus.

4. «Eine ketogene Ernährung macht weniger Entzündungen.»

Dieser Ernährungsform liegen drei Punkte zugrunde: Keine Kohlenhydrate heisst kein Insulin, was für diverse Krankheitsbilder, insbesondere Diabetes und entzündliche Erkrankungen, eine Verbesserung bedeuten würde. Leider sehen wir diesen Effekt nur in den ersten drei Monaten nach der Umstellung. Nachher folgen unten beschriebene Nebenwirkungen umso stärker.

Weiter hat man sich erhofft, dass durch eine starke Einschränkung von Kohlenhydraten und Abdeckung der Kalorien über Fett auch der Fettabbau maximiert wird. Auch hier gilt: Für die ersten Monate ist das korrekt, schon nach drei bis sechs Monaten ergeben sich aber wiederum sehr starke Nebenwirkungen.

Der dritte Punkt liegt in der Verminderung von Laktat, einem wichtigen Signalstoff bei Krebserkrankungen. Auch hier ergeben sich bald massive Nebenwirkungen, die den positiven Effekt deutlich überwiegen. Ursache der Probleme ist, dass der Körper immer weniger belastbar ist im intensiven oder anaeroben Stoffwechsel. Die Folgen sind dann: depressive Verstimmungen, Verstärkung von Angststörungen, Entzündungsgeschehen, Durchschlafstörungen und Minderung des Hungergefühls.

5. «Frühstück ist nicht so wichtig.»

Wer nicht frühstückt, schadet seinem Stoffwechsel. Der Sauerstofftransport verringert sich signifikant und somit auch die Regenerationsfähigkeit des Körpers. Leider scheint das bei vielen Influencern noch nicht angekommen zu sein. Somit bewerben sie eine Ernährungsform, die viele Menschen in Ermüdung und Energielosigkeit führt.

Es ist umso verwerflicher, wenn Schülerinnen und Schüler mit dieser Falschaussage geimpft werden und so auch in der Schule oder der Ausbildung weniger erfolgreich, dünnhäutiger werden, weniger gut schlafen können und ebenfalls mehr depressive Verstimmungen entwickeln.

6. «Zucker ist schädlich.»

Pauschal Zucker aus unserem Ernährungsplan zu verdammen, entbehrt jeder Logik. Es ist richtig, dass Zucker in grossen Mengen unserem Körper schaden. Aber wussten Sie, dass genau der gleiche Zucker vor und während des Trainings die Regeneration unterstützt und somit dem Entzündungsgeschehen entgegenwirkt? Durch härteres Training entwickelt der Körper auch vermehrt Puffersysteme gegen Stress und somit sind wir auch im Alltag, sowohl physisch wie auch psychisch, nicht nur leistungs-, sondern auch widerstandsfähiger. Zucker zum intensiven Training hat also vor allem grosse Vorteile.

7. «Gluten macht uns krank.»

Gluten ist ein Nahrungsbestandteil, der für Zöliakiekranke gefährlich ist. Für alle andern gilt: Gluten ist nicht das Problem, sondern andere Bestandteile von Getreidearten, die Gluten enthalten. Sie aktivieren das Immunsystem, zusätzliche Entzündungen können auftreten. Die Ursache ist aber stets eine Überlastung des Systems: zu viel emotionaler oder Alltagsstress, zu viel Training, zu wenig Schlaf.

Wenn wir unseren Körper mit einem Auto vergleichen, ist das Weglassen von Gluten gleich, wie wenn die Radaufhängung kaputt wäre und es nur noch auf glatten Strassen fahren würde. Viel besser wäre doch einfach die Radaufhängung zu flicken. Das Bild nun auf den Menschen übertragen: Nicht Gluten ist das langfristige Problem, sondern die Überlastung des Körpers durch einen falschen Lebensstil.

8. «1300 kcal pro Tag mit Sport»

Wer leisten will, muss essen. Wir können mit 1300 Kilokalorien nicht die Welt retten und zusätzlich trainieren. Wer das versucht, den bestraft der Körper mit ziemlich deutlichen Symptomen: Dünnhäutigkeit, Schlafstörungen, Angststörungen, Atemnot, Herzrhythmusstörungen bis hin zu schweren Schilddrüsenerkrankungen. Ist ja eigentlich logisch, oder würden Sie ohne Lohn arbeiten und dem Chef nicht die Meinung geigen?

9. «Ein Kaloriendefizit bringt automatisch weniger auf der Waage.»

Auch hier liegt ein grosser Denkfehler der Influencer vor. Wer weniger isst und trotzdem intensiv Sport macht, überlastet seine Muskulatur. Durch diese Überlastung werden in der Muskulatur weniger Nährstoffe der Verbrennung und Energielieferung zugeführt, sondern direkt ins Fett gespeichert. Der Frust ist dann gross, wenn die Waage hochgeht, die Sportlerinnen aber immer weniger essen. Dann hilft nur, die Regeneration ins Zentrum zu stellen und zumindest eine Zeit lang deutlich mehr zu essen. Sonst melden sich die Muskeln sehr schnell mit deutlicher Übersäuerung, Sehnenansatzproblemen und Verhärtungen.

10. «Darmsanierungen für den Stoffwechselturbo.»

Im Moment werden am laufenden Band Darmsanierungen verkauft. Es wird eine Woche oder länger gefastet und dem Darm «Ruhe» gegönnt. Natürlich werden  zusätzlich Pülverchen verkauft, die den Darm wieder aufbauen sollen. Das Problem ist nur: Wenn der Alltagsstress den Stoffwechsel des Darms so verändert hat, dass er mit den falschen Bakterien besiedelt worden ist, wird das Resultat nach zwei bis drei Monaten wieder das gleiche sein. Auch hier heisst das Zauberwort optimale Work-Life-Balance. Unser Darm ist ein fantastisches Sensorium für unsere Lebenssituation. Wenn wir in unserem Alltagsstress auf dem Holzweg sind, dann müssen wir nicht den Darm «sanieren», sondern unsere Prioritäten im Alltag.

11. «Wir brauchen Nahrungsergänzungen, weil unser Gemüse nichts mehr drin hat.»

Hier kann man es kurz machen. Der Wunschtraum der Vitaminindustrie wurde durch verschiedene Studien ad absurdum geführt: Gemüse und Früchte haben immer noch den gleichen Vitalstoffgehalt wie vor 30 Jahren. Wer eine ausgewogene Ernährung hat, der braucht keine Pillchen, sondern ab und zu einen Spaziergang in der Sonne.

Instagram ist ein fatales Sammelsurium von Irrglauben und Irrtümern im Ernährungsbereich, welche unsere jüngeren Generationen verunsichern und falsche Informationen verbreiten. Daraus ergeben sich für viele Jugendliche pathologische Folgen. Rund 10 Prozent der jungen Menschen, welche in eine Essstörung geraten, sterben an den Folgen! Genau darum sollte unserer Gesundheitspolitik Instagram nicht einfach egal sein, sonst zahlen später unsere Kinder den hohen Preis.

Mehr zu «blue News»-Kolumnist Jürg Hösli finden Sie auf der Seite des erpse-Instituts.

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