Abnehmen für Anfänger «Lieber jetzt mit dem Projekt ‹Sommerbody› anfangen»

Von Sulamith Ehrensperger

2.2.2021

Viele beginnen erst mit Abnehmen, wenn sie merken, dass die Badesaison näher rückt. Aber so schnell geht das dann doch nicht.
Viele beginnen erst mit Abnehmen, wenn sie merken, dass die Badesaison näher rückt. Aber so schnell geht das dann doch nicht.
Bild: Getty Images

Weniger Bewegung, kein Training und ein gut gefüllter Kühlschrank: Wer seine Figur halten will, braucht derzeit viel Disziplin. Ernährungspsychologin Jsabella Zädow über Fertiggerichte, einen Sommerbody und das schlechte Gewissen.

Frau Zädow, Homeoffice und Corona-Kilos schlagen vielen aufs Gemüt. Vor allem, wenn man weiss: Irgendwann muss die Businesshose wieder passen. Wie schaffe ich das rechtzeitig?

Indem Sie jetzt schon Schwung holen, um Ihr Vorhaben zu erreichen. Abnehmen braucht Zeit, das heisst, dass Sie am besten gleich anfangen, in einen guten Essrhythmus zu kommen.

Wie gelingt dies?

Die Faustregel lautet: zwei bis drei Mahlzeiten pro Tag. Dazwischen nichts essen, dafür zwei Liter kalorienfreie Getränke trinken. Ich empfehle, die Mahlzeiten so ausgewogen zu gestalten, wie man dies von der gesunden Ernährung her kennt: von allem ein bisschen auf dem Teller, vor allem aber viel Gemüse und auch Früchte. Letztere am besten als Dessert zu den Hauptmahlzeiten essen, besser nicht zwischendurch.

Die Fertigmahlzeit schnell aufwärmen, nebenbei noch das Online-Meeting beenden, oder doch lieber kurz zum Take-away rüber. Tönt verlockend, aber klappt es so auch mit Abnehmen?

Zur Person: Jsabella Zädow
Jsabella Zädow, Ernährungspsychologin
zVg

Jsabella Zädow ist Ernährungspsychologin. Sie ist Gründerin und Inhaberin des Kompetenzzentrums für Ernährungspsychologie in Zürich und hat sich auf die Behandlung von Übergewicht und Essstörungen spezialisiert.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Fertigmahlzeiten. Gerade diejenigen, die kochtechnisch nicht so versiert sind, profitieren von solchen Angeboten. Wichtiger ist, dass es einmal pro Tag eine warme Mahlzeit gibt. Ob diese selber zubereitet oder vom Take-away ist, spielt nicht so eine Rolle. Entscheidend ist, das Essen bewusst zu geniessen und nicht nebenbei andere Dinge erledigen wollen. Einen Punkt, den man allerdings beachten sollte: Take-away oder Fertigprodukte neigen dazu, dass sie kalorienreicher sind. Wenn Sie aber auch hier ein bisschen achtsam sind in Ihrer Wahl, können Sie sich sehr wohl auch mit wenig Aufwand gesund ernähren.

Auf was kann ich beim Kauf von Fertigprodukten schauen?

Dass Hauptmahlzeiten 500 bis 700 Kilokalorien nicht übersteigen. Bei Fertigprodukten sind diese Daten auf der Verpackung angegeben. Beim Restaurantbesuch beziehungsweise Take-away ist es ein bisschen schwieriger. Dort würde ich darauf schauen, dass immer genug Gemüse dabei ist und die Zubereitungsart nicht zu fettig.

Diät, Sport oder Ernährungsumstellung – was bringt den erwünschten Erfolg?

Es ist eine Kombination von Ernährungsumstellung und Bewegung, die beide langfristig umsetzbar sein müssen. Wichtig ist, sich realistische Vorhaben zu setzen: Beispielsweise ich bewege mich zwei- bis dreimal pro Woche und gewöhne mir einen guten Mahlzeitenrhythmus an. Eine Diät hat per se die Intention, dass Dinge weggelassen werden, dass man sie rigide und streng macht. Für eine kurze Zeit mag das funktionieren, aber sie ist eben keine Langzeitlösung. Das ist der Grund, weshalb Diäten häufig scheitern.

Warum setzen sich trotzdem so viele auf Diät?

Menschen mögen Diäten, weil sie nicht studieren müssen, sondern einfach befolgen, was vorgegeben wird. Das scheint auf den ersten Blick entlastend zu sein, langfristig hingegen ist die Flexibilität stark eingeschränkt. Man kann nicht nach dem Lustprinzip essen, weil man dann mit der Diät brechen würde. Damit knickt auch häufig die Motivation ein und es folgt der bekannte Dammbrucheffekt «Oh, jetzt habe ich es eh versiebt, also kann ich gleich ganz aufhören». Und das tun die meisten dann auch.

Weitere Stolpersteine beim Abnehmen?

Zu grosse Ziele in kurzer Zeit, beispielsweise zehn Kilo in sechs Wochen abnehmen. Das wird relativ schwierig. Die ersten zwei bis drei Kilos sind schnell weg, aber im Verlauf geht es immer langsamer. Studien zeigen, dass Abnehmwillige drei- bis viermal so schnell ihr Ziel erreichen wollen, wie das biologisch effektiv möglich ist. Die meisten nehmen sich doppelt oder dreifach so viele Kilos vor, wie der Körper schaffen kann. Abnehmen ist harte Arbeit: Es braucht viel Ausdauer und Aufmerksamkeit, geht aber nur langsam voran. Ein Frustpotenzial, das vielen zum Stolperstein wird. Man gibt auf, und nimmt wieder zu – der berühmt-berüchtigte Jo-Jo-Effekt.

Abnehmen braucht also einen langen Schnauf.

Ich glaube, das Geheimnis liegt darin, dass man sich mental auf einen Langstreckenlauf einstellt. Deshalb ist es auch gescheiter, jetzt mit dem Projekt ‹Sommerbody› anzufangen und nicht erst im Frühling. Viele beginnen erst damit, wenn sie merken, dass die Badesaison näher rückt. Aber so schnell geht das einfach nicht.

Was wäre ein realistisches Abnehmziel?

5 bis 10 Prozent des Körpergewichtes innerhalb eines halben Jahres ist realistisch. Jemand, der 80 Kilo wiegt, könnte also vier bis acht Kilo innerhalb eines halben Jahres schaffen. Studien zeigen aber, dass nur 15 Prozent dieses Ziel erreichen und das Gewicht auch mindestens zwei Jahre lang halten können. Abnehmen ist wirklich gar nicht so einfach, wie das scheint.

Braucht es einen ‹Abnehm-Buddy›, einen Coach oder eine App, der einen anspornt und langfristig motiviert?

Einen Buddy zu haben, hilft in jeder Lebenslage. Das kann jemand aus dem eigenen Umfeld sein, eine Fachperson oder auch eine App. Bei virtuellen Coaches muss man ein bisschen aufpassen, dass einem dieser Begleiter wirklich gut gesinnt ist und nicht einer, der einen jeden Tag tadelt. Es ist nicht so motivierend, wenn die App jeden zweiten Tag sagt: Ziel nicht erreicht. Untersuchungen zeigen, dass man mit einem Commitment gegen aussen viel eher dranbleibt, als wenn man das still mit sich selber ausmacht. Auch Zwischenziele können helfen, die man feiert, wenn man sie erreicht hat: Sich auf die Schulter klopft und etwas Kalorienfreies gönnt. So bleiben Sie motiviert, den nächsten Schritt zu tun.

Intermittierendes Fasten, Low Carb oder vegan: Wie verführerisch ist es, einer der Ernährungsphilosophien bei Instagram und Co. zu folgen?

Ich glaube, die Kunst ist, die Ernährungsform zu finden, die einem persönlich am besten entspricht. Wer schon immer häufige Mahlzeiten pro Tag gegessen hat, wird mit Intervallfasten leiden. Wer hingegen morgens nie Hunger hat, wird damit vielleicht Erfolg haben. Ich sehe den Fehler eher darin, dass die Leute dazu tendieren, zu viele dieser Ernährungsphilosophien zu mischen. Intervallfasten plus Low Carb, No-Fat und vegan kann nicht funktionieren – und man ist danach hundertprozentig mangelernährt. Die Ernährung rein aus dem Kopf zu steuern, funktioniert nicht. Essen ist und bleibt eine Bauchsache und sollte mit Genuss verbunden sein.

Wie gehe ich mit Rückschlägen um, wenn ich über die Stränge geschlagen habe, und mich ein schlechtes Gewissen plagt?

Rückfälle sind ganz normal und menschlich. Auch im Beruf läuft schliesslich nicht jeder Tag gleich gut. Ich empfehle, mit sich selber grosszügig umzugehen. In der Beratung sage ich meinen jungen Klienten: ‹Sagen Sie sich: ‹Shit happens›. Ziehen Sie einen Strich darunter, morgen ist ein neuer Tag›. Statt sich abzuwerten, hilft es, versöhnlich mit sich zu sein.

Kann Abnehmen auch Spass machen?

Absolut! Wenn Sie sich das Ziel nicht zu hochstecken und Ihre Vorhaben nicht allzu streng definiert sind. Dann ist Abnehmen auch ein Akt der Selbstfürsorge, der Spass machen kann. Sie entdecken dabei Ihre eigenen Vorlieben: Was passt zu mir? Was macht mir Freude? Was motiviert mich? Das ist ein ganz anderer Zugang als der restriktive Ton, den die meisten mit der Thematik verbinden. Abnehmen heisst nicht darben, sondern sich Zeit nehmen fürs Essen, für Bewegung und für die guten Gefühle, die damit erwachen.



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