Tipps für mehr Bewegung «Nehmen Sie den inneren Schweinehund an die Leine»

Von Sulamith Ehrensperger

4.1.2021

In Zeiten von geschlossenen Sportanlagen und Homeoffice ist es wichtig, die Chancen des Alltags zu nutzen, um fit und gesund zu bleiben. 
In Zeiten von geschlossenen Sportanlagen und Homeoffice ist es wichtig, die Chancen des Alltags zu nutzen, um fit und gesund zu bleiben. 
Bild: Getty Images

Manchen fehlt die Lust oder die Zeit, sich zu bewegen, manchen ist anderes gerade wichtiger. Doch dann meldet sich das schlechte Gewissen: Wieder nichts für den Körper getan. Wie es gelingt, weiss Sportarzt Walter O. Frey.

Herr Frey, ich erreiche Sie im Homeoffice in Davos statt wie sonst in dieser Jahreszeit auf der Piste mit der Schweizer Skinationalmannschaft. Wie schaffen Sie es, zu diesen Zeiten in Bewegung zu bleiben?

Die Bewegungsfreiheit zu Corona-Zeiten ist für uns alle eingeschränkt. Umso wichtiger ist es, auch die Bewegung ganz bewusst in den Tag einzuplanen. Im Moment ist vieles nicht möglich, da braucht es ein bisschen Fantasie. Ich selbst plane mir jeden Tag eine Zeit ein, um in Bewegung zu kommen. Im Moment sind es Spaziergänge, Langlauf oder auch mal der Hometrainer.

Wenig Bewegung, kein geregelter Tagesablauf und ein prall gefüllter Kühlschrank über die Festtage – eine echte Herausforderung für die Linie?

Die Tage zum Jahresende sind sicher die schwierigsten, um das Gewicht zu halten. Das war schon immer so. Doch nun sind wir viel mehr zu Hause, da fällt es schwerer, gut gefüllten Guetzli-Dosen und Kühlschränken zu widerstehen. Man nascht hier und da, das ist ja auch das Schöne zu dieser Jahreszeit. Dennoch braucht es eine gewisse Struktur bei den Essenszeiten. Denn: Eingeschlossen sein wegen Corona und dies umgeben von feinstem Essen ist das Worst-Case-Szenario für alle, die nicht noch mehr Bauch haben wollen.

Der Jahresbeginn ist auch die Zeit, wo sich viele sagen: Ich beginne mit Sport oder ich bewege mich mehr. Die aktuelle Situation verhindert wohl  manche sportlichen Neujahrsvorsätze. Wie gelingt es trotzdem?

Als Sportmediziner beobachte ich, dass viele motivierter sind, wenn sie sofort damit anfangen. Sonst schieben Sie es raus bis zum Sankt Nimmerleinstag. Warum also nicht gleich heute noch starten? Wichtig ist, dass Sie sich einer Bewegungsart widmen, die Ihnen liegt, und dass Sie in einer angenehmen Weise damit beginnen. Stricke zerreissen können Sie auch noch später. Dafür ist es umso wichtiger, dass Sie täglich in Bewegung kommen.

Zur Person: Walter O. Frey
Walter O. Frey Sportarzt und Chefarzt Swiss Ski
zVg

Walter O. Frey ist Sportarzt in Zürich und Chefarzt von Swiss Ski, berät und motiviert Olympiaathleten, Breitensportler und Bewegungsmuffel jedes Alters ganzheitlich.

Als Anfänger bekommt man oft einen Ganzkörper-Trainingsplan verpasst, den man dreimal die Woche durchziehen soll.

Es ist leichter, Sie tun es täglich als dreimal in der Woche. Denn ohne feste Trainingszeiten sind diese dreimal dann am Samstag und Sonntag, weil man Montag bis Freitag nichts gemacht hat. Viele werfen deshalb den Bettel allzu schnell hin. Ich bekomme oft zu hören, dass wer täglich trainiert, keine Ausreden mehr hat. Sie müssen ja nicht gleich einen Halbmarathon hinlegen, zügiges Spazieren um die 30 bis 40 Minuten reicht für den Anfang völlig.

Abnehmen dürfte für viele die Hauptmotivation fürs Training sein. Ist Sport wirklich das Rezept, um Kilos loszuwerden?

Unser Körper verbrennt zum Leben auch in Ruhe sehr viel Energie, das nennt man Grundumsatz. Das Herz muss schlagen, wir atmen und verdauen – jeder Vorgang im Körper braucht also Energie, die dieser aus den aufgenommenen Kalorien bezieht. Das Problem ist: Essen wir die üblichen Mahlzeiten, kommen wir über diesen Grundumsatz hinaus. Den Kalorienverbrauch können wir nur steigern, indem wir zusätzlich Kalorien verbrennen – und dies ist nur durch Bewegen möglich.

Sport allein hilft also nur bedingt beim Abnehmen.

Der durchschnittliche Grundumsatz einer Frau liegt bei 1200 bis 1500 Kilokalorien pro Tag, Männer kommen auf 1800 Kilokalorien. Verbrennen wir 200 bis 300 Kilokalorien zusätzlich, ist das nicht eine verrückte Leistung, aber genau dieses Quäntchen mehr braucht es, damit wir am Schluss nicht zunehmen. Die gute Nachricht: Bewegung verbrennt nicht nur Kalorien, sondern steuert auch unser Essverhalten. Nach dem Sport fühlen wir uns gut, wir haben mehr Lust auf gesundes Essen und trinken mehr.

Die viel gehörte Bewegungsformel lautet 10'000 Schritte am Tag zu gehen. Ein taugliches Rezept?

Die 10'000 Schritte kommen aus der Gesundheitsforschung. Man hat festgestellt, dass Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Zuckerkrankheit oder Herzerkrankungen mit dem Medikament Bewegung viel weniger auftreten. Man berechnete, wie viel Bewegung es braucht, um diese Krankheiten im Zaum zu halten. Ein gesundes Bewegungsmass wäre mindestens eine halbe Stunde täglich, dann sind Sie im grünen Bereich. Aus medizinischer Sicht zählt jeder Schritt, daher: Je mehr es sind, umso besser. 10'000 ist also ein guter Richtwert.

Was ist mit Menschen im Homeoffice, die seit Wochen unter Bewegungsmangel leiden?

Der vorwiegend sitzende Mensch heutzutage kommt ungefähr auf einen Drittel der Bewegung, die er braucht, um gesund zu bleiben. Das bedeutet: Wenn wir im Homeoffice arbeiten, haben wir quasi null Schritte aufs Gesundheitskonto gutgeschrieben. Die wenigen Schritte vom Bett ins Bad, vom Zmorge zum Pult können Sie vergessen, Sie verbrennen dabei nichts. Da hilft nur, den inneren Schweinehund zu überwinden und rauszugehen.

Viele tun sich schwer, sich zum Sport draussen aufzuraffen – vor allem, wenn es kalt, dunkel und nass ist. Wie könnte es trotzdem klappen?

Joggen Sie nicht einfach los. Es ist wegen der angespannten Corona-Situation doppelt so wichtig, dass man auf der sicheren Seite ist, wenn man sich sportlich betätigt. Wer frisch startet, soll doch einfach mal mit Spazieren anfangen und sukzessive nach dem Lustprinzip die Geschwindigkeit oder die Schwierigkeit steigern. Beim Spaziergang durchs Quartier oder Dorf gibt es tolle Sachen zu entdecken. Das kann allerdings nur, wer nicht mit Überschallgeschwindigkeit unterwegs ist.

Was ist mit jenen, die mit Outdoor-Sport nicht viel anfangen können: Sind Youtube-Tutorials, Online- und App-Programme eine Alternative?

Wichtig ist, dass Sie in diesem breiten Angebot etwas finden, das Ihnen entspricht. Ich finde, dass Indoor-Training ganz ohne Geräte relativ hart ist. Im Wort Bewegung steckt eine gewisse Weite drin, die in einem Zimmer von drei auf drei Metern nicht gegeben ist. Deshalb bleiben diese Bewegungsarten ein Kunstprodukt. Es ist härter, sich zu bewegen, wenn man sich eigentlich nicht bewegen kann. Dennoch können solche virtuellen Möglichkeiten eine Brücke bilden, dass dies trotzdem möglich wird.

Welchen persönlichen Motivationstipp können Sie uns mitgeben, damit die Bewegungsvorsätze länger halten als nur eine Woche?

Mein Rezept ist tägliches Training und das Gefühl von Gruppendynamik. Letzteres ist zurzeit schwieriger zu realisieren, weil viele Angebote nicht stattfinden können. Neben der sozialen Komponente bringt eine Verabredung auch eine gewisse Verpflichtung. Aus eigener Erfahrung – ich war mal Regattaruderer – weiss ich aber, dass ein Date einen auch bei Hundewetter nach draussen lockt. Bleiben wir gleich beim Hund, denn Hundebesitzer haben kein Problem, ihr tägliches Quantum Bewegung zu erreichen. Also mein Geheimtipp, um dranzubleiben: Den inneren Schweinehund an die Leine nehmen.

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