Sprachpfleger Das Wörtchen ganz – mal klein, mal gross, mal knifflig

Von Mark Salvisberg

10.6.2021

Ganz vermag einen vor grosse Aufgaben zu stellen.
Ganz vermag einen vor grosse Aufgaben zu stellen.
Bild: Getty Images

Manche Formulierungen machten einen verrückt, weil man sich über deren Schreibweise nicht im Klaren sei, sagt der Sprachpfleger: die Brücke als ganze/ganzes oder etwa Ganzem? Hilfe naht.

Von Mark Salvisberg

10.6.2021

Das Wörtchen ganz flösst auf Anhieb niemandem Furcht ein. Doch so unscheinbar dieses sprachliche Beigemüse bald bei dieser, bald bei jener Wortart spriesst, so knackig erweist sich seine Schreibung in gewissen Kombinationen.

Ganz Grundlegendes

Zunächst ist festzustellen: Ganz ist ein Adjektiv, denn es kann zwischen Artikel und Nomen stehen: die ganze Klasse. Es wird auch adverbial eingesetzt: Sie hat den Kuchen ganz verschlungen. Ganz kann Teil von Wendungen sein: ganz und gar, sie ist ganz die Mutter, ich bin ganz Ohr. Es ist Ausdruck von Inhalt und Intensität: eine ganze Flasche Wein, ein ganzer Kerl, ganz Afrika, sie ist ganz aufgeregt.

Einmal ganz Substantiv

Adjektive lassen sich substantivieren: gut – das Gute, ganz – das Ganze. Anwendungen davon sind im grossen Ganzen sowie im Grossen und Ganzen. Bei Ersterem beschreibt das eine (grossen) das ihm Folgende (Ganzen), beim Zweiten gilt zweimal Grossschreibung, weil im sich klar auf beides, Grossen, Ganzen, bezieht.

Jetzt wird’s ganz anspruchsvoll

Ganz vermag einen vor verzwickte Aufgaben zu stellen. Heisst es die Brücke als Ganzes/ganzes ... ganzer/Ganzer ... oder gar ganzem/Ganzem?

Ausschliessen dürfen wir den «Dativ»: die Brücke als ganzem? Nein, der Dativ für weibliche Nomen endet auf -er. Der einzige Anlass, hier den Dativ zu wählen (zum Beispiel der Bau der Brücke als «ganzem»), ist die schlechte Angewohnheit, diesen unbedacht und unerlaubterweise an Genitivfügungen anzuhängen, wie oft gelesen: Er erwehrte sich seines Feindes und «den zahlreichen» Intriganten (statt: ... der zahlreichen).

Die ganze Herrlichkeit

Die standardmässig korrekte Schreibung lautet die Brücke als Ganzes. Ebenfalls einwandfrei ist die adjektivische Form: die Brücke als ganze (Brücke). Eine gestelzte Variante sei auch genannt: die Brücke als ein Ganzes.

Einige fragen sich bestimmt, wie es denn stehe mit der Brücke als solche/solches. Hier ist es einfacher, denn solche ... wird immer kleingeschrieben, da es sich um ein Pronomen handelt. Im Weiteren ist es wie beim Adjektiv: ... die Brücke als solches/solche.

Kompliziertere Konstellationen habe ich hier einmal ganz weggelassen.


Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.

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