Komiker Michael Elsener «Es geht um mehr als meine sexuelle Orientierung»

Von Bruno Bötschi

13.9.2022

Der Zuger Comedian Michael Elsener steht ein für die Rechte von queeren Menschen. Ein Gespräch über sein kürzliches Cross-Dressing, die AHV und warum er keine Lust auf ein grosses Coming-out in den Medien hatte.

Von Bruno Bötschi

13.9.2022

Michael Elsener, vor ein paar Wochen wurde aus Michael die Michèle. Wie kam es zu diesem Cross-Dressing?

Ich habe einige theoretische Abhandlungen über Geschlechter-Rollen gelesen. Was in unserer Kultur ein Mann angeblich tut und was nicht, woher diese Verhaltensmuster kommen. Irgendwann fand ich: ‹Bloss theoretische Texte dazu lesen und darüber diskutieren, das ist mir zu wenig.›

Du wolltest es selbst ausprobieren.

Genau. So eine äusserliche Veränderung triggert automatisch auch eine innere Reaktion. Ich habe mich gefragt: ‹Sollte ich mit diesem Kleid, das eine Mehrheit als Frauenkleid liest, nun auch femininer spazieren? Oder mache ich eben genau das Gegenteil.› Cross-Dressing ist eine extrem verspielte Art, die eigenen Vorurteile und Stereotype zu hinterfragen und zu durchbrechen. Die Art, wie eine Frau oder ein Mann angeblich zu sein hat, legen wir ja selbst fest, können wir eigentlich jeden Tag wieder neu definieren. Darum sage ich: Ausprobieren. Ich finde es spannend, damit zu spielen. Und so auch gewisse politische Diskussionen zu entkrampfen. Ich war von mir selbst so was von überrascht.

Welche Reaktionen hat dein Cross-Dressing in deinem Freundeskreis auslgelöst? Und wie hat die Öffentlichkeit darauf reagiert?

Wir haben bei einem Abendessen intensiv über unsere Rollenbilder und Stereotype diskutiert. Meine Freund*innen meinten am Ende, ich solle dies unbedingt wiederholen. Ein paar Freundinnen wollen mit mir so mal Party machen. Erstaunt hat mich: Mein Vater hat mich auf dem Foto zu Beginn nicht erkannt. Als der «Blick» dann aber ein grosses Interview zu meinem Cross-Dressing gebracht hat, glaubte er es.

Was hält dein Vater von deinem Cross-Dressing?

Er meinte, ich solle bei der nächsten Verwandten-Feier so auftauchen.

Und wirst du das tun?

Natürlich. Mein Vater hat tolle Ideen.

Tom Neuwirth alias Conchita Wurst sagte vor drei Jahren in der deutschen Zeitung «Die Zeit»: «Ich habe zu all meinen Freunden gesagt, sie müssen einmal Drag ausprobieren.»

Das sage ich auch. Man erfährt direkt selber, dass wir die Art, wie eine Frau oder ein Mann angeblich zu sein hat, selbst festlegen und jeden Tag wieder neu definieren können. Ich finde es spannend, damit zu spielen. Dass wir uns in andere Menschen hineinversetzen können, ist der Schlüssel für unser Zusammenleben. Empathie ist eine wichtige Eigenschaft.

Welche Erfahrungen hast du beim Cross-Dressing sonst noch gemacht?

Die Erfahrung, die ich gemacht habe, als ich als Michèle Elsener in eine Bar ging, hat mich schon sehr beschäftigt. Ich hätte nie gedacht, dass es so klischiert ist.

Willst du mehr darüber erzählen?

Ich wurde in der Bar von Männern nicht nur angesprochen, sie haben mich dabei auch an der Schulter oder am Arm angefasst. Und dies, obwohl ich meinte, klar signalisiert zu haben, dass ich mit ihnen nicht reden möchte. Wenn ich als Michael unterwegs bin, werde ich in solchen Situationen nicht gleich berührt. Als ich als Michèle auf einem Barhocker sass, legte der Mann daneben seine Hand auf meinen Oberschenkel. Bevor ich etwas sagen konnte, muss er mein Beinhaar gespürt haben und es hat ihn im wahrsten Sinne vom Hocker gehauen.

Hast du erwartet, dass es immer noch so viele übergriffige Männer gibt?

Ich ging völlig ohne Erwartung in die Bar rein. Ich wollte zwei Freunde überraschen.

Was hast du den Männern gesagt, die dich in der Bar ungefragt berührt haben?

Egal welches Geschlecht, man respektiert den Raum des anderen. Das habe ich versucht zu vermitteln.

Hast du mit deinen Freundinnen über deine Erfahrungen als Frau gesprochen.

Die meisten sagten: ‹Klar. Kenn ich.› Oder ‹Wir haben irgendwie gelernt, damit zu leben.› Dass dies immer noch so oft passiert, dass da noch ein so weiter Weg zu gehen ist, das beschäftigt mich.

Ehrlich gesagt bin ich positiv überrascht, wie progressiv du in letzter Zeit mit queeren Themen in der Öffentlichkeit umgehst.

Als Comedian und Satiriker freut es mich natürlich, wenn ich dich überraschen kann. Jedes meiner Programme ist voll mit Überraschungen. Jede Pointe ist eine Überraschung. Ich lebe von Überraschungen. Deine Frage erhofft sich wohl eine wenig überraschende Gegenfrage. Ich stell sie gern: Warum überrascht es dich?

Weil mir vor einigen Jahren im Vorfeld eines Interviews vorab von deinem Management mitgeteilt wurde, dass du nicht über dein Schwulsein reden möchtest.

Ich hatte damals einfach unterschieden zwischen der Stadt-Öffentlichkeit sowie meinen Freund*innen und Bekannten, wo ich offen lebte, und der Medien-Öffentlichkeit. Damals gab es eine Häufung von Anfragen von Journalist*innen an mich, mit dem Fokus: ‹Oute dich bei uns.› Es geht in meinem Leben aber um mehr als nur um meine sexuelle Orientierung. Ergo wollte ich keine stereotype mediale Outing- beziehungsweise Coming-out-Story. Darum habe ich dann ein Video produziert mit dem Titel «Das ist kein Outing», das zeigt, warum es eigentlich keines braucht. Apropos: Können wir noch über andere Dinge aus meinem Leben reden?

Erinnerst du dich an eine Situation, in der du dich nicht getraut hast, dich zu outen?

Ah, also keine anderen Themen mehr? Du solltest dir mein Video anschauen, dann würdest du mir diese Frage nicht stellen.

Was bedeutet es heute in der Schweiz als Mensch, nicht heterosexuell zu sein?

Ich finde diese vermeintliche Zweiteilung der Welt in «heterosexuell» und «homosexuell» nicht sinnvoll. Unsere Welt ist viel bunter. Wenn wir allen Menschen, die Lebensformen gewählt haben, die wir bis jetzt nicht gekannt haben, mit Offenheit und Empathie begegnen, dann entsteht ein spannendes Leben. Nicht die Gegensätze betonen, sondern die Gemeinsamkeiten. Das ist eine grundsätzlich menschliche Eigenschaft. Du bringst mich grad dazu, wie ein Politiker zu reden nach dem Wahlkampf.

Das passt gut, nachdem du dich mit deinen Abstimmungsvideos «Elsener erklärts» regelmässig ins Schweizer Politgeschehen einmischst.

Als Satiriker, der eigentlich Politikwissenschaftler ist, kann ich nicht anders. Ich kämpfe mich eben raus aus einem Berg Statistiken über unser Renten-System. Ich habe beispielsweise herausgefunden, dass ich im Vergleich zur AHV zwar viel mehr von meinem Lohn in meine PK einzahle, doch am Ende bekomme ich aus der PK eine tiefere Rente als von der AHV. Das hat mich sehr überrascht. Solche neuen Zusammenhänge möchte ich mit meinen satirischen Clips möglichst unterhaltsam rüberbringen.

So grundsätzlich: Was erhoffst du dir von deinen satirischen Polit-Videos?

Seit Jahren geht weniger als die Hälfte von uns wählen und abstimmen. Viele sagen mir: Die Dinge sind mir zu kompliziert beschrieben. Das finde ich eigentlich auch. Darum tauche ich vor jeder Abstimmung tief in die Materie ein. Ich rede mit Menschen von der Bundesverwaltung, lasse mir Tabellen erklären, treffe mich mit Expert*innen und versuche so herauszufinden, welche Grundfrage hinter der Abstimmungsvorlage steckt. Und dann versuche ich das möglichst unterhaltsam rüberzubringen. Ich baue eine Geschichte drum herum. So, dass es auch auf TikTok geschaut wird. So, dass man hoffentlich denkt: Politik mit Michael ist so unterhaltsam wie Netflix.

In Netflix-Serien wie «Élite» oder «Sex Education» wird Homosexualität nicht mehr problematisiert. Diese Produktionen drehen sich nicht nur ums grosse Outing, sondern Liebe kommt ganz selbstverständlich vor. Wunderbar, nicht?

So ist es ja auch im Leben. Dieses Thema scheint dich irgendwie anzuziehen … (lacht) Wollen wir noch über anderes reden?

LGBTIQA+ lautet im Moment der politisch korrekte Oberbegriff der queeren Szene. Arg kompliziert, nicht?

Ich finde «SRG SSR idée suisse», «SBB CFF FFS» oder «Confoederatio Helvetica» wesentlich kompliziertere Buchstaben-Ansammlungen. Es ist doch wichtig, dass all die Menschen, die bis anhin nirgendwo wirklich offiziell vorgekommen sind – weil es keine Beschreibung für sie gab – dass wir all diesen Menschen vermitteln können: ‹Euch gibt es auch offiziell. Ihr gehört alle dazu.›

Macht der Genderstern oder der -doppelpunkt die Welt gerechter?

Eine sehr zugespitzte Frage. Macht ein zweiter Vorname automatisch schlauer? Wenn Freundinnen von mir, die viel besser ausgebildet sind als ich und grosse Teams leiten, mir erzählen, dass sie weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen auf gleicher Stufe, dann wäre das ein Punkt, um anzusetzen, um die Welt gerechter zu machen. Doch wie alle Veränderungen fangen sie bei der Sprache an, die unser Denken prägt. Von daher: Ja, der Doppelpunkt kann die Welt gerechter machen. Punkt. Ein generelles Verbot von zweiten Vornamen macht die Welt wohl etwas dümmer.

Michael Elsener ist aktuell mit seiner Soloshow «Fake Me Happy» und gemeinsam mit Riklin & Schaub mit «Songs und Stand Up» auf Tour. Mehr Infos und die Daten findest du unter diesem Link.