Kolumne Fluchen tut verdammt noch mal gut

Von Marianne Siegenthaler

8.11.2021

Fluchen hat einen positiven Effekt: es erleichtert. Ob darum so viele Menschen während des Autofahrens fluchen?
Fluchen hat einen positiven Effekt: es erleichtert. Ob darum so viele Menschen während des Autofahrens fluchen?
Bild: Getty Images

So richtig unflätig fluchen – das tut gut. Kraftausdrücke sind sozusagen ein sprachliches Ventil, das Schlimmeres verhindert.

Von Marianne Siegenthaler

8.11.2021

Zu Beginn machen wir ein kleines Experiment: Stell dir eine richtig stressige Situation vor. Und jetzt sprichst du laut und deutlich dein Lieblingsschimpfwort aus.

«Gopferteckel» zum Beispiel.

Darf aber auch vulgärer sein. Egal. Das tut gut, nicht wahr? Denn das Fluchen hat einen positiven Effekt: es erleichtert.

Woran das liegt?

Wenn wir an einer Situation nichts ändern können, wenn wir wütend oder frustriert sind, dann sind Kraftausdrücke einfach das perfekte Ventil. Sprachwissenschaftler Dr. André Meinunger vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaften (ZAS) in Berlin bestätigt: «Der Hauptgrund fürs Fluchen ist tatsächlich, dass wir Stress abbauen und uns abreagieren.»

Nicht salonfähige Kraftausdrücke

Kein Wunder, wird während des Autofahrens viel geflucht. Weil der Idiot da vorn einfach total lahmar...ig unterwegs ist. Oder die dumme Gans keine Kurven fahren kann. Und die Velo-Hirnis unbedingt nebeneinander herfahren müssen und so die ganze Strasse blockieren.

Zur Autorin: Marianne Siegenthaler
Bild: zVg

Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin, Texterin und Buchautorin. In ihrer Kolumne nimmt sie die grossen und kleinen, die schrägen und schönen, die wichtigen und witzigen Themen des Alltags unter die Lupe – mal kritisch, mal ironisch, mal mit einem Augenzwinkern. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt am Zürichsee. www.texterei.ch

Und dann auch noch eine endlose 30er-Zone, die sich irgendein Schreibtischtäter ausgedacht hat. Alles einfach total sch…….!

Ich gebe es zu: Wenn ich im Auto unterwegs bin, benutze ich Kraftausdrücke, die alles andere als salonfähig sind. Die würde ich auch niemals verwenden, wenn mir jemand zuhört. Und vielleicht wirklich nur in Extremsituationen. Wenn ich bewusst jemanden beleidigen will – was allerdings nur sehr selten vorkommt.

Fluchen lindert Schmerzen

Dann aber kann ich so richtig unflätig werden. Allerdings nur verbal. Das ist eben auch ein positiver Effekt des Fluchens: Es verhindert Schlimmeres. Also körperliche Angriffe. Oder das Zerschlagen von Porzellan. Oder ähnliche Gewaltakte. Und darum ist Fluchen okay.

Malediktologie heisst die Schimpfwort-Forschung, und sie fasst zusammen: Was immer in einer Kultur tabu ist, also beispielsweise Religion, Fäkalien, Sexualität, wird zur Quelle für Schimpfwörter. Die Bandbreite ist also gross, trotzdem hat wohl jeder sein halbes Dutzend Lieblingsschimpfwörter. Das reicht vom fast schon herzigen «Tubel» über den «Chotzbrocke» bis zur umgangssprachlichen Bezeichnung des Anus.

Fluchen kann aber noch mehr. Schmerz lindern zum Beispiel. Auch das ist wissenschaftlich erwiesen.

Und das kennt sicher jeder aus eigener, schmerzhafter Erfahrung. Jedenfalls wenn ich mal wieder beim Ausräumen der Spülmaschine den Kopf am offenen Küchenschrank stosse – was wirklich wehtut –, hilft eine kräftige Tirade von Flüchen, vom Schmerz abzulenken. Funktioniert auch bestens, wenn ich das Narrenbein auf die Tischkante haue. Oder den Finger einklemme.

«Du bist so hässlich wie ein Salat»

Flüche sind meist kurz und bündig. Es geht aber auch kreativer. So sagt man in Albanien: «Möge der Donner dein Klo treffen!» In China: «Du bist ein schimmelndes Ei!» Oder in Bulgarien: «Du bist so hässlich wie ein Salat.» Das nehme ich doch gern in meinen Fluchwortschatz auf.

Und falls du deinen Schimpfwortschatz erweitern möchtest, dann bist du beim Online-Generator richtig. Ich habe es gerade ausprobiert: «Rostige Spuckbeule» – das merke ich mir.


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