Kolumne Ich habe genug Freunde, oder?

Von Gabriella Alvarez-Hummel

9.12.2021

In der Netflix-Serie «Dead to Me» lernen sich Judy (Linda Cardellini, links) und Jen (Christina Applegate) in einer Selbsthilfegruppe für Trauernde kennen und werden Freundinnen.
In der Netflix-Serie «Dead to Me» lernen sich Judy (Linda Cardellini, links) und Jen (Christina Applegate) in einer Selbsthilfegruppe für Trauernde kennen und werden Freundinnen.
Saeed Adyani / Netflix

Unsere Kolumnistin findet, ihr Freundeskreis genüge ihr. Stimmt das wirklich? Oder ist es als Erwachsene einfach viel schwieriger, neue Freundschaften zu schliessen?

Von Gabriella Alvarez-Hummel

9.12.2021

Ich brauche keine neuen Freund*innen. Die meisten meiner Freundschaften sind ein oder zwei Jahrzehnte alt. Oft denke ich: Ich hätte gar keine Zeit für mehr Menschen in meinem Leben. Es ist schon schwierig genug, bei den Engsten up to date zu bleiben.

Gleichzeitige frage ich mich: Brauche ich keine neuen Freundschaften oder finde ich einfach keine? Mache ich es mir zu leicht und verschliesse ich mich neuen Menschen gegenüber schon im Vorhinein?

Die Antwort, die ich mir gebe: gut möglich.

Als Erwachsene neue Freundschaften zu schliessen, ist nicht mehr so einfach wie damals im Studium. Zudem ist meine Persönlichkeit gefestigter, vielleicht auch starrer, als früher. Bei meinen bestehenden Freund*innen weiss ich, dass sie mich mögen, wie ich bin. Aber neue Leute? Ich müsste von vorn beginnen: mit meiner Geschichte, meinen Tiefs, meinen Schwächen. Kein Wunder, sträubte ich mich unbewusst davor, mich neuen Menschen zu öffnen. Ist ja auch anstrengend. Und macht verletzlich.

Neue Leute, neue Perspektiven

Aber weil ich nicht nur in Selbstsabotage gut bin, sondern auch in Optimismus, frage ich mich: Was wären denn die Vorteile von neuen Freundschaften?

Neue Leute würden mich sehen, wie ich heute bin. Nicht, wie ich früher war. Das könnte ein Vorteil sein. Sie kennen meine Ex-Freunde nicht, und vor allem nicht mich in Beziehung mit ihnen, die Glückspilze. Sie würden neue Perspektiven und Realitäten in mein Leben bringen. Auch das: ziemlich cool.

Umfrage
Wie viele enge Freunde hast du?

Ich öffne mich nun also zaghaft der Möglichkeit, neue Leute in mein Leben zu lassen. Wenn ich Menschen kennenlerne, gebe ich dieser Frage einen Freipass: Würde ich gern mehr Zeit mit dieser Person verbringen?

Was mich zum nächsten Dilemma bringt: Wie lernt man eigentlich neue Leute kennen? Wie findet man Freund*innen, wenn man erwachsen ist?

Ich habe keine Ahnung, also zapfe ich die Instagram-Schwarmintelligenz an. Etwa die Hälfte der Leute hatte gute Tipps, die andere Hälfte bat mich darum, die Liste zu teilen. Das Bedürfnis nach neuen Freundschaften jenseits der 30 scheint also, zumindest in meiner Bubble, gross zu sein.

So findet man als Erwachsene neue Freund*innen:

  • Instagram: Wurde überraschend oft genannt. Bedingt aber, dass man selber aktiv postet. Hat den Vorteil, dass man weiss, auf wen man sich einlässt, wenn man Kontakt aufnimmt.
  • Weiterbildungen, Kurse, Reisen, Events, Hobbys, Sport: Im besten Fall allein unterwegs sein. Als Einzelperson ist es viel einfacher, neue Menschen kennenzulernen.
  • Dating-Apps: Mehrere Menschen berichteten, statt Romanzen auch schon Freundschaften geschlossen zu haben.
  • Über andere Freund*innen: Manche wurden von gemeinsamen Freund*innen verkuppelt. Andere versuchten auf Partys, bewusst mit jenen zu sprechen, die sie noch nicht kennen. Man könnte auch bestehende Freund*innen ins Boot holen: Kennst du jemanden, mit dem ich mich gut verstehen würde?
  • Neuer Job: Die wohl klassischste Art, im Erwachsenenalter noch neue Freund*innen zu finden. Aber deswegen den Job wechseln?
  • Kind, Hund: Sorry für die Gruppierung, aber Gemeinsamkeiten schweissen zusammen, ob im Hundekurs oder auf dem Spielplatz.
  • Spontacts, Meet-up, Foren (z.B. Ronorp, Facebook): Online-Tools nutzen, um Leute zu finden für gemeinsame Aktivitäten und Interessen.

Viele berichteten auch, dass der Ort nicht unbedingt das Wichtige sei, sondern viel eher die Art und Weise. «Einfach drauflos plappern», wurde mehrere Male geschrieben. Aber: Sich nur verfügbar machen, reicht nicht. «Dranbleiben», schrieb jemand. Man muss auch auf längere Sicht etwas dafür tun, dass ein neuer Kontakt bestehen bleibt. 

Nach all den schönen Antworten auf Instagram bedankte ich mich in einer Story und schrieb, ich wolle mit allen in dieser tollen Community befreundet sein. Meine Freundin Tina antwortete mit einem Augenzwinkern: «Nein, willst du nicht.» Ich musste lachen. Sie hatte sich oft genug Ausrufe über mein Freunde-Embargo anhören müssen.

Nun, Menschen ändern sich. Vielleicht werde ich bald Plädoyers dafür halten, als Erwachsene unbedingt neue Freundschaften zu schliessen. Ich halte euch auf dem Laufenden.


Friends-forever-Kolumne
zVg

Es gibt Elternblogs, Beziehungsratgeber, was aber ist mit Freundschaften? Warum werden sie im öffentlichen Diskurs so vernachlässigt? Die freie Autorin Gabriella Alvarez-Hummel will das mit ihrer Kolumne ändern. Hast du eine Frage oder einen Themenvorschlag? Immer her damit per Privatnachricht auf Instagram.