Knigge-Expertin «Ich sehe andauernd, dass Leute ihre Maske auf den Tisch legen – ein Graus»

Von Gil Bieler

25.12.2021

Wo man die Schutzmaske beim Essen verstaut, ist im Knigge nicht geregelt. Auf dem Tisch hat sie aber definitiv nichts verloren.
Wo man die Schutzmaske beim Essen verstaut, ist im Knigge nicht geregelt. Auf dem Tisch hat sie aber definitiv nichts verloren.
Bild: Getty Images

Das Leben verlagert sich wieder nach Drinnen, was für Gastgeber knifflig werden kann: Darf man Gäste nach ihrer Impfung fragen oder Corona als Gesprächsthema verbieten? Knigge-Expertin Katrin Künzle weiss Rat.

Von Gil Bieler

25.12.2021

Katrin Künzle, darf ich meine Gäste nach ihrem Impfstatus fragen?

Das kommt drauf an: Wo stehe ich persönlich in der ganzen Impfthematik? Und wer sind meine Gäste? Vielleicht sind ja vulnerable Personen darunter, die sich nicht impfen lassen können und denen es unwohl wäre, mit Ungeimpften und Ungetesteten an einem Tisch zu sitzen. Daher kann ich als Gastgeberin meine Wünsche äussern.

Aber die Frage nach der Impfung ist nun einmal sehr persönlich.

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Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 20. Oktober 2021.

Wir leben in verrückten Zeiten. Es herrscht eine Pandemie, da muss man alte Gepflogenheiten auch mal beiseiteschieben. Hier geht es darum, dass ich als Gastgeberin für alle Gäste schauen muss – und dabei orientiere ich mich an den verletzlichsten. Wenn zum Beispiel meine 95-jährige Mutter an diesem Essen teilnimmt, die sich nicht impfen lassen kann, dann würde ich die Frage nach dem Impfstatus stellen, auf jeden Fall.

Das ist also legitim?

Absolut. Und sonst kann man sich auch im Restaurant treffen, da hat sich die Frage dank der 3-G-Regel von allein erledigt.

Zur Person
zVg

Katrin Künzle ist Geschäftsführerin der Künzle-Organisation in Oetwil an der Limmat und lizenzierte Knigge-Trainerin.

Die Gäste treffen ein: Wie finde ich die richtige Begrüssungsform?

Früher war das einfach der Handschlag, heute gibt es ganz unterschiedliche Varianten. Hierbei gilt: Als Gastgeberin entscheide ich über die Begrüssungsform. Ich persönlich würde gleich beim Türöffnen freundlich erklären, was gilt. Zum Beispiel: «Wir geben uns nicht die Hand, ich hoffe, das ist in Ordnung für dich.» Damit ist es schon getan.

Was halten Sie von der Begrüssung mit der Faust, dem Fist Bump?

Ich bin kein Fan davon, auch nicht von der Begrüssung mit dem Ellbogen. Bei jungen Leuten mag das noch gehen, aber ab einem gewissen Alter wirkt das merkwürdig. Und im Geschäftsleben kommt das gar nicht gut an. Nochmals zum Ellbogen: Man sieht immer noch viele Leute in den Ellbogen niessen oder husten – und dieser wird dann zur Begrüssung gereicht? Das möchte ich gar nicht.

Was ist mit der Begrüssung mit den Füssen?

Sehen Sie: Bei einer Begrüssung blickt man sich in die Augen und lächelt sich an. Das sind die beiden wichtigsten Kriterien. Was aber mache ich bei dieser Fussbegrüssung? Ich schaue auf den Boden. Auch mit dem Ellbogen schaut man aneinander vorbei. Ich bin kein Fan von all diesen Begrüssungsformen.

Was wäre besser?

Man sollte eine offene Körperhaltung einnehmen, sich gerade hinstellen, lächeln und das Gegenüber begrüssen. Das reicht schon.

Angenommen, das Gegenüber holt schon Anlauf für die drei Küsschen. Wie entziehe ich mich dem möglichst stilvoll?

Früher galt gemäss Knigge: Eine angebotene Hand muss man immer annehmen. Das ist für mich aber völlig out. Schon vor der Pandemie haben es viele nicht geschätzt, mit Küsschen begrüsst zu werden, wobei das wiederum anderen egal war: Die haben ihr Gegenüber dann regelrecht an sich herangezogen und abgeküsst. Um dem zu entkommen, empfehle ich, eine offene Haltung einzunehmen und gleich anzusagen: «Ich würde lieber auf den Handschlag verzichten, wegen der Coronavirus-Situation. Ich hoffe, das ist in Ordnung.»



Wird das nicht als unhöflich empfunden?

Bei allem gilt: Es kommt darauf an, wie man etwas sagt. Wenn ich die Arme verschränke und laut schimpfe «Bist du verrückt, es ist doch Corona-Pandemie!», dann ist klar: Das Gegenüber reagiert mit Ablehnung und man hat die Begrüssung versaut. Darum ist es entscheidend, dass man die Höflichkeit wahrt und erklärt, wieso man keinen Handschlag möchte. Da kann einem niemand böse sein.

Trauern Sie den Küsschen oder dem Handschlag nach?

Wie gesagt, viele haben die Küsschen ohnehin nie geschätzt. Von daher finde ich es gut, dass wir mehr Distanz wahren. Der Handschlag wiederum gehört einfach zu unserem Kulturkreis. Damit liess sich bereits herausspüren, wie es dem Gegenüber geht und wie diese Person tickt: Eine Killerklaue zeigte Dominanz, ein schlapper Händedruck, dass jemand vielleicht nicht seinen besten Tag hatte. Das fehlt heute. Ich bin aber auch nicht unglücklich, dass wir uns momentan weniger berühren. Und generell erwarte ich, dass wir eine gewisse Distanz auch nach der Pandemie beibehalten werden.

«Viele haben die Küsschen ohnehin nie geschätzt»

Nun zum Thema Tischgespräche. Wenn ich als Gastgeber keine Lust auf das Thema Corona habe, darf ich das zum Tabu erklären?

So weit würde ich nicht gehen. Es gibt immer Themen, die explosiv sind. Früher war es US-Präsident Donald Trump, heute ist es Corona. Es gibt Impfgegner, aber auch Impfbefürworter, die eine extreme Meinung vertreten. Corona ist in den seltensten Fällen ein Thema, das Harmonie fördert. Darum muss ich mir überlegen, wer alles am Tisch sitzt und wie gross die Gefahr ist, dass die Wogen hochgehen. Ich würde nichts verbieten, aber erklären: «Wir haben hier verschiedene Ansichten am Tisch, was auch gut ist, aber vielleicht können wir das Thema Corona heute in der Schublade lassen.» Das kann man, solange der Ton höflich und respektvoll ist.

Sind kontroverse Themen für einen solchen Anlass generell ungeeignet?

Auch hier kommt es darauf an: Beim Apéro, wo ich in aller Regel nur ein paar Minuten mit jemandem spreche, bleibt einfach zu wenig Zeit für eine vertiefte Diskussion. Hier braucht es einen Eisbrecher, ein klassisches Smalltalk-Thema. Beim Essen wiederum sitzt und diskutiert man zusammen, es liegt also mehr drin. Auch hier sollte man aber Themen meiden, die den anderen den Appetit verderben: Krankheit, Tod, aber auch Politik gehören dazu. Auch Corona kann so viele starke Emotionen hervorrufen. Ich habe jedenfalls noch nie eine Situation erlebt, in der die Atmosphäre dadurch verbessert worden wäre.



Trotzdem findet sich jeder einmal in der Situation wieder, dass ein Gesprächspartner unbedingt über die Pandemie reden will. Wie ziehe ich mich da elegant aus der Affäre?

Im Zweiergespräch gibt es nur eines: Klartext reden.

Wie denn?

«Ich weiss, das Thema ist wichtig und aktuell, aber mir wäre es lieber, wenn wir heute über etwas anderes reden könnten.» Wenn man das höflich sagt, kann der andere das meist auch akzeptieren. Aber natürlich sind manche penetrant und lassen dennoch nicht locker.

Angenommen, das Thema Corona ist mir enorm wichtig und ich wähle eine sehr respektvolle Wortwahl: Habe ich einen Anspruch darauf, dass wir darüber diskutieren?

Nein. Wenn jemand sagt, er möchte darüber nicht diskutieren, dann ist das so. Es gibt da keinerlei Anspruch. Fragen kann man immer, aber man darf die Antwort nicht scheuen.

«Seine Maske auf dem Tisch liegen zu lassen, ist ein absolutes No-Go»

Die Gäste sitzen am Tisch: Wohin mit der Atemschutzmaske?

Schön, dass Sie diese Frage stellen. Ich sehe andauernd, dass Leute ihre Maske auf den Tisch legen, ein Graus. Im Restaurant habe ich von Angestellten schon gehört, dass sie Masken von Gästen entsorgen müssen. Seine gebrauchte Hygienemaske auf dem Tisch liegenzulassen, das ist ein absolutes No-Go, richtig schlimm.

Also nicht auf den Tisch damit. Aber wohin sonst?

Eine kniggekonforme Antwort kann ich Ihnen nicht geben. Ich persönlich packe meine Maske in einen Umschlag und verstaue sie entweder in der Handtasche oder entsorge sie gleich. Bei einem Mann ist das natürlich anders. Vielleicht ins Jacket damit, oder in die Hosentasche, aber bitte nicht auf den Tisch.

Wann haben Sie diesen Fauxpas denn zum letzten Mal beobachtet?

Vor etwa einer Stunde.

Was stört mehr am Tisch: Das Smartphone oder die Schutzmaske?

Beides, wobei bei der Maske noch der unhygienische Aspekt dazukommt. Das Smartphone am Tisch zeugt einfach von fehlendem Stil: Entweder esse ich, oder ich bin am Handy. Nur wenn ich einen sehr dringenden Anruf erwarte, dann darf ich es auf den Tisch legen. Sonst wird das Smartphone versorgt.

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