Die Kinder der Windsors «Schon Babys nehmen auf, wenn in Familien viel gestritten wird»

Von Bruno Bötschi

31.1.2023

Im Streit zwischen Harry und Meghan und dem Rest der britischen Royals gehen die Kinder vergessen. Wie erkläre ich dem Nachwuchs, dass der Lieblingsonkel plötzlich nicht mehr vorbeikommt? Familientherapeutin Katrin Lukas weiss Rat.

Von Bruno Bötschi

31.1.2023

Frau Lukas, vor zwei Wochen sprachen wir zusammen über den Streit innerhalb der britischen Königsfamilie. Ich denke, für Sie als Paar- und Familientherapeutin sind solche Auseinandersetzungen normaler Alltag, oder?

Ja, die Leute kommen wegen Konflikten in die Beratung. Konflikte, die sie nicht mehr selbst lösen können. Oft haben sie es lange allein versucht und sind nun mit ihren Lösungsversuchen am Ende und meist recht verzweifelt.

Gibt es bei der Familie Windsor aus London irgendwelche Besonderheiten zu beachten?

Der Druck der Öffentlichkeit, der gesellschaftliche und politische Einfluss und das Vermögen sind Besonderheiten, die mir bei meinen Paaren und Familien so nicht begegnen.

Die aktuellen Streitereien bei den britischen Royals sind Beweis dafür, dass Menschen einfach Menschen sind, egal wie berühmt sie auch sind.

Ja, so ist es. Jede Person bringt eine andere Geschichte mit und geht unterschiedlich mit belastenden Situationen und Konflikten um. In der Beratung ist genau dies das Thema: Wie können die Paare ihre Konflikte gut und konstruktiv lösen?

Zur Person: Katrin Lukas
Bild: zVg

Katrin Lukas, 43, ist Paar-, Sexual- und Familientherapeutin. Bei der Paarberatung & Mediation im Kanton Zürich, dem öffentlichen Kompetenzzentrum für Paarbeziehungen, bietet Lukas an drei Tagen pro Woche Paar- und Einzelberatungen und Mediationen an.

Wir betrachten also auch, was sie machen, wenn es schwierig wird. Und so haben sie die Möglichkeit, ihr Verhalten im Konflikt zu verändern. Denn Konflikte, die sind da, die gehören in jedes Paar- und Familiensystem.

In der Berichterstattung wird oft über den Bruderstreit, also die Unstimmigkeiten zwischen Harry und William geschrieben. Kaum Thema waren bisher die fünf Kinder der beiden Prinzen. Warum ist das so?

Die Brüder können sich positionieren und sind somit greifbar und angreifbar. Die Kinder können das noch nicht. So beraten wir bei der Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich auch hauptsächlich Erwachsene. Denn wenn die Paarbeziehung gut läuft, ist auch die Elternebene gestärkt und den Kindern geht es gut.

Streit in der Familie wird oft als etwas Privates angesehen, über das man nicht gern spricht. Wie muss es also erst den Kindern von William und Harry gehen, wenn plötzlich ihre Lieblingstante und ihr Lieblingsonkel von einem Tag auf den anderen nicht mehr zu Besuch kommen?

Für Kinder ist es in erster Linie wichtig, wie es zu Hause läuft und wie die Eltern oder Erziehungsberechtigten miteinander umgehen. Die Verwandtschaft aussenrum ist zweitrangig. Es ist in der Verantwortung der Eltern, mit ihren Kindern zu reden und ihnen Dinge zu erklären. Wenn Kinder eine für sie befriedigende Erklärung erhalten, dann können sie es einordnen.

Die Eltern müssen sich dafür ehrlich mit dem auseinandersetzen und überlegen, wie und was sie mit den Kindern besprechen. Oft kommen Fragen der Kinder ganz unerwartet und in verschiedenen Kontexten, da müssen Eltern darauf vorbereitet sein. Kinder merken, wenn sie mit irgendetwas Unehrlichem abgespeist werden.

Archie und Lilibet, die beiden Kinder von Harry und Meghan, sind noch sehr klein, werden also von den familiären Streitigkeiten kaum etwas mitbekommen haben. Wahr oder nicht?

Kinder haben feine Sensoren, sie nehmen Stimmungen und Atmosphären wahr. Wenn also in Familien viel unkonstruktiv und abwertend gestritten wird, nehmen dies auch schon Babys auf und zeigen es zum Beispiel durch Unruhe, Bauchschmerzen und erhöhten Bedarf an Körperkontakt. Auch speichern sie diese Erfahrungen. In erster Linie nehmen die Kinder wahr, was für eine Stimmung in der Elternbeziehung herrscht.

Die drei Kinder von William und Catherine sind schon etwas älter: George ist neun Jahre alt, Charlotte ist sieben und Louis vier. Wie erkläre ich einem Teenager, dass es innerhalb der Verwandtschaft grosse Probleme gibt und deshalb die Tante und der Onkel nicht mehr zu Besuch kommen?

Teenager*innen wollen da unter Umständen mehr wissen oder es interessiert sie im Moment überhaupt nicht und sie wollen einfach ihre Ruhe haben. Hier braucht es Fingerspitzengefühl und ein Abwägen. Die Eltern sollten sich im Klaren sein, was ihnen wichtig ist und sich einander darüber verständigen.

Am Wichtigsten ist das, was die Eltern tun und nicht, was sie im Gespräch sagen. Also, was leben sie vor als Paar und Eltern, wie gehen sie mit ihren Mitmenschen um, wie laufen Konflikte ab und welche Werte leben sie.

Wenn schon die Erwachsenen kaum mehr miteinander reden, wie soll dann die Kommunikation mit den Kindern ablaufen? Oder anders gefragt: Wann und wie sollen es William und Harry ihren Kindern sagen, dass es innerhalb der Verwandtschaft scheinbar unüberbrückbare Differenzen gibt?

Mit Kindern über spürbare Konflikte kindgerecht zu sprechen ist sinnvoll, so werden sie nicht mit ihren Gedanken und Gefühlen allein gelassen. Kinder verstehen ab drei Jahren einfache Zusammenhänge und wissen, was Streit ist. Dem vierjährigen Louis kann also gut erklärt werden, warum Tante Meghan und Onkel Harry nicht mehr zu Besuch kommen.

Worauf ist bei solchen Gesprächen besonders zu achten?

Es ist wichtig, die Fragen der Kinder ernst zu nehmen und zu beantworten. Wenn die Erwachsenen keine Antworten haben, sollten sie das sagen und nicht aus der Not eine Unwahrheit erzählen. Die Kinder können damit umgehen, dass es manchmal keine Antwort gibt.

Es kann zum Beispiel thematisiert werden, welche Gefühle dadurch entstehen. Hier wird das Kind mitgenommen und nicht mit seiner Frage stehen gelassen. Es geht um Interesse – interessiert mich, was mein Kind beschäftigt. Die Reaktion der Kinder kann beobachtet werden. Wenn sich Kinder abwenden, aufhören mit dem Gespräch, oder wenn Kinder Angst bekommen, ihnen die Angst nehmen.

Es gibt diverse Angebote und Methoden, Familienkonflikte professionell zu bearbeiten – zum Beispiel in einer Familientherapie oder einer Mediation. Ab welchem Alter werden Kinder bei solchen Angeboten von Ihnen als Therapeutin miteinbezogen?

Familienkonflikte sind zuerst auf der Elternebene zu lösen, also zwischen den erwachsenen Personen. Kinder sind Leidtragende des Konflikts, aber nicht Verursacher und tragen keinerlei Verantwortung. Dadurch, dass wir Paare und Eltern unterstützen, mit ihren Problemen umzugehen und Verhaltensmuster zu verändern, wird das ganze Familiensystem positiv beeinflusst. Die Eltern übernehmen die Verantwortung, und den Kindern geht es besser. So eignen sich Kinder Beziehungsfähigkeiten an, die sie für ihre jetzigen und späteren Beziehungen benötigen.

Es ist denkbar, dass George, also der älteste Sohn von William und Catherine, auch von seinen Schulkolleg*innen auf den Streit innerhalb seiner Familie angesprochen wird. Wie soll in so einem Fall vorgegangen werden?

Auch hier sind die Eltern verantwortlich, das Kind darauf vorzubereiten. Es braucht den Austausch und ältere Kinder können sich so eine Meinung bilden, die sie nach aussen vertreten können. Wenn das Kind sich angenommen und aufgehoben fühlt, wird es auch mit den schwierigen Situationen aus der Schule wieder zu den Eltern kommen.

Gefühle können thematisiert werden. Dies ist wertvoll, denn das Kind entwickelt so Selbstvertrauen: Meine Gefühle werden ernst genommen, sie sind okay – ich bin okay. Dieses Selbstvertrauen hilft dem Kind im Umgang mit anderen.


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