Friends-forever-Kolumne «Toxische Freundschaften sind nicht mehr auf Augenhöhe»

Von Gabriella Alvarez-Hummel

21.1.2022

Vor allem Frauen-Freundschaften werden gern als toxisch dargestellt, zum Beispiel in der Teenie-Serie «Pretty Little Liars».
Vor allem Frauen-Freundschaften werden gern als toxisch dargestellt, zum Beispiel in der Teenie-Serie «Pretty Little Liars».
Disney General Entertainment Content via Getty Images

Von toxischen Paar-Beziehungen hört man immer öfter. Aber was, wenn man in einer toxischen Freundschaft steckt? Eine Psychotherapeutin erklärt.

Von Gabriella Alvarez-Hummel

21.1.2022


In meiner Jugend gab es eine Freundschaft, die ich retrospektiv wohl als toxisch bezeichnen würde. Lügen prägten die Beziehung mit dieser Person und ich habe mich lange Zeit gefragt: Wie konnte mir das passieren?

Dank Psychotherapeutin Felizitas Ambauen weiss ich nun: Es gehören zwei dazu.

Felizitas Ambauen, woran kann ich erkennen, dass ich in einer toxischen Freundschaft bin?

Toxische Freundschaften zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie nicht mehr auf Augenhöhe sind, dass ein Machtungleichgewicht besteht und man als Person mit seinen eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlen nicht mehr gesehen wird. Persönliches Wachstum, Individualität und jegliche Weiterentwicklung werden als bedrohlich erlebt und nicht gefördert.

Welche Muster können sich in toxischen Freundschaften abspielen?

Wenn zum Beispiel eine Seite A gern etwas Individuelles unternehmen möchte, beispielsweise eine Reise mit anderen Leuten, kann das bedrohlich sein. B denkt: Sie geht weg, sie braucht mich nicht mehr, sie mag mich nicht mehr. B reagiert mit Kränkung, vielleicht auch mit manipulativem Verhalten und will A in der bestehenden Beziehung behalten.

Werden Leute heutzutage zu schnell pathologisiert bzw. als toxisch abgestempelt?

Mir fällt auf, dass psychologische Konzepte sehr schnell verwendet werden (Narzissmus, toxisch, depressiv, Borderline), ohne dass man genau weiss, was diese bedeuten. Was ich begrüsse ist, dass Psychologie in der grossen Bevölkerung angekommen ist und ein grosses Interesse besteht. Viele Menschen haben ein riesiges Bedürfnis, die Dinge kategorisieren zu können. Das gibt ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, aber die Realität ist so viel komplexer, als es so ein Begriff in Worte fassen mag. Wenn 100 Narzisst*innen bei mir auf der Couch sitzen, ist keine*r von ihnen gleich gestrickt. Das muss man im Hinterkopf behalten.

Zur Person: Felizitas Ambauen
ZVG

Felizitas Ambauen ist Psychotherapeutin in eigener Praxis und produziert gemeinsam mit Journalistin Sabine Meyer den Podcast Beziehungskosmos. Zur Vertiefung in die Thematik empfiehlt sie die Podcast-Folgen zu Narzissmus, Kollusionen, Inneres Kind und Schemata. Um die eigenen Muster besser zu verstehen, empfiehlt sie zudem das Buch «Raus aus Schema F».

Warum fühlt man sich zu toxischen Menschen oft so hingezogen?

Das ist eine spannende Frage, weil es eben nicht allen Menschen so geht. Nur denen, die so gestrickt sind, dass ihre Prägung wie Schlüssel und Schloss zur Toxizität passt. Wenn jemand aus dem, wie ich es nenne, «gesunden Erwachsenen-Ich» heraus agiert, wird er sofort von toxischen Menschen Abstand nehmen. Weil er sie sofort als übergriffig und manipulativ erlebt. Die eigenen Muster und Fallstricke zu verstehen, ist der erste Punkt zu Veränderung.

Es braucht also zwei dafür, dass eine toxische Freundschaft entsteht?

Ja, das möchte ich betonen: Es gibt in einer toxischen Freundschaft nicht einfach «die toxische Person» und die andere ist das «Opfer». Eine Beziehung kann nur toxisch werden, wenn beide Teile zusammen mischen. Oft wird auch ganz viel Eigenverantwortung abgeschoben, weil eben einer «toxisch» oder manipulativ ist. Aber dann muss man sich schon auch die Frage stellen: Warum lasse ich mich so gut instrumentalisieren? Und manipulieren?

Wenn man merkt, dass man in einer Freundschaft oft belogen und/oder manipuliert wird: Was kann man tun? Bringt Konfrontation etwas?

Konfrontation ist unbedingt notwendig, um sich befreien zu können. Allerdings fängt Konfrontation ja schon damit an, dass man es sich selbst eingesteht und sich fragt: Was läuft hier ab? Warum bin ich da hineingeraten? Welche Muster spielen? Dann kann man sich überlegen, wie man sich rausschälen könnte oder gegebenenfalls mit einer Fachperson sprechen. Wie sehr man dann in die echte Konfrontation mit der betroffenen Person geht, muss abgewogen werden.

Was kann man tun, wenn eine Person nur über sich selbst spricht? Wo ist die Grenze zwischen zuhören, da sein, auch in schlechten Zeiten, und nur noch Müllhalde sein?

Stopp sagen. Darauf ansprechen. Mehr Raum einnehmen. Selbst mehr sprechen. Von mir aus: dreinreden, wenn der Wasserfall nicht stoppt. Oder eben wieder: Im Nachgang in Ruhe eine E-Mail schreiben und mitteilen, was schiefläuft und was man sich wünscht. Und dann schauen, ob die Person darauf aufspringt oder wieder in die Vermeidungshaltung geht. Ohne Konfrontation kann man nicht herausfinden, ob die Freundschaft entwicklungsfähig ist.

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Und sonst?

Sich unbedingt auch fragen: Wie gut kann ich mich generell abgrenzen? Passiert mir das immer wieder, dass ich Müllhalde werde? Warum ist das so? Wie möchte ich sein? Spannend ist auch die Frage nach dem Schema, wie wir es in der Psychologie nennen: Wie viel hat die Beziehung zur toxischen Freund*in mit den Hauptbezugspersonen (meist Eltern) zu tun? Wie hat mich meine Herkunft gelehrt, diese Rolle einzunehmen? An wen erinnert mich meine Freundin? Wann habe ich mich als Kind auch so gefühlt?

Wie beendet man die Freundschaft zu einer toxischen Person? Muss man sich verabschieden? Oder kann man auch einfach auf Distanz gehen?

Was ich aus psychologischer Sicht schwierig finde, ist Ghosting. Das halte ich nur in Stalking-Situationen für adäquat. Ansonsten ist das meist ganz starke emotionale Vermeidung, weil man die unangenehmen Gefühle nicht aushalten möchte. Ich schlage sehr häufig vor, den Abschied quasi auf Distanz zu machen, per Brief oder E-Mail.

Was sollte man bestenfalls aus solchen «Befreiungen» mitnehmen?

Befreien ist schön und gut. Aber wenn man eben die Hausaufgaben bei sich nicht macht, wird man frisch-fröhlich in die nächste solche Beziehung stolpern. Gute Nachricht also: Die beste Lösung für toxische Beziehungen ist, bei sich selbst hinzuschauen.


Am 16. Februar, ab 20.30 Uhr, spricht die Autorin in einem Instagram-Live-Interview mit Felizitas Ambauen ausführlich über das Thema toxische Freundschaften. 


Friends-forever-Kolumne
zVg

Es gibt Elternblogs, Beziehungsratgeber, was aber ist mit Freundschaften? Warum werden sie im öffentlichen Diskurs so vernachlässigt? Die freie Autorin Gabriella Alvarez-Hummel will das mit ihrer Kolumne ändern. Hast du eine Frage oder einen Themenvorschlag? Immer her damit per Privatnachricht auf Instagram.