Sprachpfleger Vollverb oder Hilfsverb? Wie man sich selbst kein Ei legt

Von Mark Salvisberg

31.3.2021

Manchmal wird die Satzbildung zum Eiertanz. 
Manchmal wird die Satzbildung zum Eiertanz. 
Bild: Getty Images

Effizienz ist die ewige Begleiterin des Menschen. In der Sprache hat sie aber dort ihre Grenzen, wo einem Vollverb im gleichen Satz auch noch die Rolle des Hilfsverbs aufgezwungen werden soll.

Von Mark Salvisberg

31.3.2021

Der Satz klingt harmlos: Der Präsident will Gratistests und rund um die Uhr impfen lassen. Den Rahmen des grammatisch Erlaubten sprengt er gleichwohl. Denn der erste Teil steht für sich: Der Präsident will Gratistests. Will ist Vollverb und darf dem zweiten Satzteil nicht auch noch als Hilfsverb dienen.

Der Beispielsatz lässt sich auf mancherlei Art berichtigen, zum Beispiel mit zwei Vollverben: Der Präsident will Gratistests und plant Impfungen rund um die Uhr. Oder mit zwei Hilfsverben: Der Präsident will alle gratis testen und rund um die Uhr impfen lassen.

Vermeidbarer Fauxpas

Das Durcheinanderbringen von Voll- und Hilfsverb ist verbreitet. Die einfachste Art, es zu korrigieren, ist die Wiederholung des Verbs: Der Präsident will Gratistests und will rund um die Uhr impfen lassen. Korrekt bedeutet aber nicht immer einfallsreich. Besser ist es, im zweiten Teil ein ähnliches Verb zu verwenden: ... und möchte rund um die Uhr impfen lassen.

Ein weiterer solcher Fall: Er ist Schreiner und schon letzte Woche hier gewesen. Die elegante Lösung (mit zwei Vollverben): «Er ist Schreiner und war schon letzte Woche hier.»

Auch die Passivform verführt zum Fehler

Ein ähnlicher Lapsus liegt folgendem Satz zugrunde: Sie wurde zur Sportlerin des Jahres gewählt und im nächsten Jahr Weltmeisterin. Die Formulierung «wurde ... gewählt» steht im Passiv. Dieses wurde darf nicht für die Fügung «... und im nächsten Jahr Weltmeisterin» herangezogen werden. Richtig lautet der Satz: Sie wurde zur Sportlerin des Jahres gewählt und errang im nächsten Jahr den Weltmeistertitel.

Äpfel und Birnen zum Dritten

Keineswegs knackig formuliert, wer ein Vollverb, zum Beispiel werden, mit der Zukunftsform kombiniert: Er wird bald Vater und seine Frau deshalb morgen zur Untersuchung begleiten. Korrekt ist: Er wird bald Vater und begleitet seine Frau deshalb morgen zur Untersuchung.

Wir bleiben auf Distanz zum grammatisch Denkbaren, diesmal geht es um den Ausdruck einer Vermutung: Sie wird bei diesem Regen wohl trotzdem draussen sitzen und ihrem Ruf als zähe Person vollauf gerecht. Wird ist hier auch nicht kompatibel, es sind zwei Sätze nötig: Sie wird bei diesem Regen wohl trotzdem draussen sitzen. So wird sie ihrem Ruf als ...

Äpfel und Birnen gemischt, das mag in kulinarischer Hinsicht munden; doch mit oben erwähnten Verfehlungen, sogenannten irregulären Ellipsen, legt man sich gleich selbst ein Ei. Frohe Ostern!


Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.

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