Clubsterben Macht Berlin seinen Ruf als Partymetropole kaputt?

Bruno Bötschi

30.4.2019

Die Berliner Partyszene hat zwei grosse Probleme: Anwohner und Investoren.
Die Berliner Partyszene hat zwei grosse Probleme: Anwohner und Investoren.
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In Berlin müssen immer mehr Clubs schliessen, weil Anwohner sich beschweren und Investoren mehr Profit wollen. Jetzt nimmt die Politik Geld in die Hand, um den Ruf der hippen deutschen Hauptstadt zu retten.

Hauptstadt, Partystadt: Berlins Klubs, Restaurants und Theater ziehen jedes Wochenende Tausende auf die Strassen, unter ihnen auch viele Schweizerinnern und Schweizer. Was nach dem Mauerfall 1989 als Hinterhofphänomen begann, hat sich längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt.

Bis heute ist die Clubkultur das, was die Menschen nach Berlin zieht. «In welcher Stadt kannst du am Donnerstagabend in den Ausgang gehen und erst am Dienstag wieder nach Hause kommen? Wo sonst kannst du das tun?» fragt Musikproduzent Marc Houle in der TV-Dokumentation «Sound of Berlin», die die Tiefen des Nachtlebens und den Mythos Berlin erforscht.

Lohenmühleinsel: «Die Clubs dort haben ein Basspotenzial in der Dimension einer startenden Rakete.»
Lohenmühleinsel: «Die Clubs dort haben ein Basspotenzial in der Dimension einer startenden Rakete.»
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Nur: Die deutsche Hauptstadt fürchtet um ihren Ruf als tolerante Partymetropole, gar von einem Clubsterben ist die Rede.

Das klingt ein bisschen wie Waldsterben. Und wenn es nach Lutz Leichsenring, Sprecher der Clubcommission, einer Art Lobbyverband der Berliner Clubs ginge, wäre das genau der richtige Vergleich. «Es gibt doch diese Regel: Für jeden gefällten Baum, muss ein neuer gepflanzt werden», so Leichsenring gegenüber der «Berliner Zeitung». «Dieses Bewusstsein bräuchten wir für Clubs.»

Doch die Berliner Szene hat zwei Probleme: Nachbarn und Investoren.

Eines der letzten Refugien der Clubkultur

In den vergangenen 20 Jahren ist es in Berlins Innenstadt enger geworden. Wo einst Clubs entlang der Spree nebeneinander lagen, ragen jetzt Bürohäuser in den Himmel; wo in Kellern gefeiert wurde, stehen Kinderwägen. Ein Einkaufscenter nach dem anderen wird hochgezogen.

«Wenn wummernde Beats und grölende Partygänger ihm ständig den Schlaf rauben», schreibt der Berliner «Tagesspiegel», «ist es auch dem tolerantesten Nachbarn irgendwann zu laut. Deshalb wird die Polizei gerufen.»

Berlin fürchtet um den Ruf als tolerante Partymetropole, von einem Clubsterben ist gar die Rede.
Berlin fürchtet um den Ruf als tolerante Partymetropole, von einem Clubsterben ist gar die Rede.
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Aktuell für Diskussionen sorgt das Lärmproblem auf der Lohmühleninsel zwischen den beiden Stadtbezirken Kreuzberg und Treptow. Laut dem Berliner Stadtmagazin «Zitty», «eines der letzten Refugien der Clubkultur».

Kaum Anwohner, viel bespielbare Fläche. Sechs Clubs residieren auf der Insel, unter ihnen auch der berühmte «Club der Visionäre». Ein weiterer Club musste im vergangenen April schliessen. Der Mietvertrag wurde nicht verlängert. Manch ein Investor will keinen Underground-Club, sondern lieber teure Wohnungen in seinen Immobilien.

Rund um die Lohmühleninsel versammle sich ein Basspotenzial in der Dimension einer startenden Rakete, so «Zitty». Touristen und Tanzfreudige hätten das inzwischen mitbekommen, der Andrang wachse seit Jahren, die Anwohner ­begehren auf. «Die Schulkinder müssen durch Müll und Glasscherben, der Pissegeruch ist unerträglich», schreiben sie in einem Hilferuf an die Politik.

Das Ausgehen in Berlin ist heute so ganz anders als noch vor 20 Jahren: «In den 1990ern stand man mit lauter Deutschen in der Schlange vorm Club», sagen Insider. Heute kommen über 60 Prozent der Gäste aus dem Ausland. Längst gilt etwa das mythenumrankten «Berghain» im Bezirk Friedrichshain als Wallfahrtsort globaler Clubgänger.

Bereits 170 Locations geschlossen

Illegale Open-Air-Partys gibt es in der Berliner Innenstadt schon seit Jahren kaum mehr – die Polizei ist meist schnell vor Ort. Aber nun bekommen auch die legalen Clubs mit Open-Air-­Bereich zunehmend Gegenwind. Die Nachbarn um die Lohmühleninsel haben eine Bürgerini­tiative gegründet und sind im Gespräch mit der Bezirks­politik und der Clubcommission.

Kommt es zu einer Klage, ziehen Clubs häufig den Kürzeren und müssen schliessen – auch, weil sie sich die Kosten für den Lärmschutz nicht leisten können.
Kommt es zu einer Klage, ziehen Clubs häufig den Kürzeren und müssen schliessen – auch, weil sie sich die Kosten für den Lärmschutz nicht leisten können.
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Es scheint fast so, als sei die Stadt Berlin gerade dabei, ihren Ruf als Partymetropole zu verlieren. Immer mehr Clubs sind bedroht, viele wurden bereits geschlossen. Es heisst, über 170 Locations seien in den letzten Jahren dichtgemacht worden.

Schon 2011 geschlossen wurde das legendäre «Knaack» (nach fast 60 Jahren), weil sich Anwohner über Lärm beschwert hatten. «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht verspiessern», warnte damals der Berliner Tourismus-Chef Burkhard Kieker. Die Szene dürfe nicht in die Randbezirke verdrängt werden. Berlin solle trendig bleiben.

Trotzdem wird seither die Situation für die Musikclubs immer komplizierter. Und kommt es zu einer Klage, ziehen Clubs häufig den Kürzeren und müssen in der Folge meist schliessen – auch, weil sie sich die Kosten für den Lärmschutz nicht leisten können.

Rettet die Politik die Clubs?

Ein Rettungsring für die Clubs könnte nun aus der Politik kommen: Ein Fonds soll Abhilfe schaffen. Vor wenigen Wochen stellte das Berliner Parlament eine Million Euro für die Minderung von Feierlärm zur Verfügung, zum Beispiel durch schallschluckende Einbauten, Lärmschutzwände in Aussenbereichen, aber auch für Mitarbeiter zur Sensibilisierung der Nachtschwärmer und Massnahmen wie Schallschutzfenster bei Anwohnern.

«Die Clubkultur hat Berlin so viel gegeben, dass die Stadt zur Rettung der Clubs jetzt auch mal in die Tasche greifen muss», sagt Georg Kössler, clubpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, der den Beschluss mit ausgearbeitet hat.

Die CDU-Fraktion hatte sogar fünf Millionen Euro für den Lärmschutz gefordert. Doch immerhin sei ein Anfang getan, sagt Christian Goiny, Clubexperte der CDU. Er findet es unmöglich, «wenn jemand eine teure Wohnung in einem der neuen Hochhäuser am Spreeufer kauft und sich dann über den Club gegenüber beschwert».

Konse­quente Einhaltung der Lärmgrenzwerte

Zurück auf der Lohmühleninsel: Die Clubs haben eine starke Lobby in Friedrichshain-Kreuzberg. «Der Bezirk hat viele aufgenommen,» schreibt das Stadtmagazin «Zitty», «die anderswo verdrängt wurden.» Statt die Clubs am Ufer auf Geheiss der ­Anwohner zu vertreiben, überlegt der Bezirk, für die Partymenschen Veloständer und Abfalleimer ­aufzustellen. 

Gleichzeitig wird jedoch von den Veranstaltern auch eine konse­quente Einhaltung der Lärmgrenzwerte gefordert. «Über weite Strecken ist es in letzter Zeit spürbar besser geworden», erklärt den auch ein Anwohner der «Zitty»Redaktion. Inzwischen könne er in manchen Nächten sogar nachts das Fenster offen ­lassen.

Aber der Partybetrieb wird weitergehen, der Schlaf der Nachbarn immer wieder gestört werden. Die Situation bleibt angespannt. Auf Dauer wird es jedoch vermutlich sowieso ruhiger auf der Insel. 2019 enden viele Mietverträge – und mit anderen Projekten könnte der Eigentümer aus dem inzwischen zentral gelegenen Areal weit mehr Geld ziehen.

Bleibt die Frage: Schaffen es die Berliner Politikerinnen und Politiker, den Wert einer florierenden Kreativwirtschaft für ihre Stadt zu erkennen und Immobilienhaie in die Schranken zu weisen, damit die deutsche Hauptstadt auch für junge Menschen lebenswert bleibt?

Oder bekommen bald jene recht, die behaupten, in einer Grossstadt sei es normal, dass die Szene sich verlagere?

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