Überraschende Kehrtwende Liz Truss ist nach «demütigender Entscheidung» bereits angezählt

Von Benedikt von Imhoff und Larissa Schwedes, dpa

3.10.2022 - 16:18

Die britische Premierministerin Liz Truss (rechts) und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng (rechts) am 2. Oktober 2022 auf dem Tory-Parteitag in Birmingham.
Die britische Premierministerin Liz Truss (rechts) und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng (rechts) am 2. Oktober 2022 auf dem Tory-Parteitag in Birmingham.
Bild Keystone

Die britische Premierministerin Truss muss bereits zu Beginn ihrer Amtszeit bei einem ihrer wichtigsten Vorhaben nachgeben: Der Widerstand in der eigenen Partei war zu gross.

3.10.2022 - 16:18

Angesichts heftiger parteiinterner Kritik hat die neue britische Premierministerin Liz Truss gleich zu Beginn ihrer Amtszeit eine krachende Kehrtwende hingelegt. Nachdem mehrere Abgeordnete ihrer Konservativen Partei gedroht hatten, gegen die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes für Topverdiener zu stimmen, nahm Finanzminister Kwasi Kwarteng das Vorhaben zurück. «Wir haben es verstanden, wir haben zugehört», teilte er am Montag vom Tory-Parteitag in Birmingham aus mit.

Die Märkte reagierten positiv, das zuletzt stark unter Druck geratene Pfund schoss in die Höhe. Doch die Auswirkungen für Truss, die noch am Vorabend ihre Pläne verteidigt hatte, könnten verheerend sein. «Ihre Kritiker, von denen es viele gibt, erhalten die Botschaft, dass andere unpopuläre Massnahmen – etwa Kürzungen der öffentlichen Ausgaben – ebenfalls über den Haufen geworfen werden können», kommentierte der Sender Sky News. Der Ruf der 47-Jährigen, die angekündigt hatte, auch umstrittene Entscheidungen unerschütterlich durchzusetzen, hat enorm gelitten.

Das Pfund rauschte in den Keller

Der Politologe Mark Garnett nannte die Kehrtwende «die demütigendste Entscheidung» einer britischen Regierung seit Jahrzehnten. «Grossbritannien steht nun einer verlängerten Phase wirtschaftlicher Stagnation gegenüber und das mit einer Regierung, deren Reputation bereits irreparabel zerstört wurde», sagte Garnett der Deutschen Presse-Agentur.

Ein Parteitagsbesucher mit guten Verbindungen in die Tory-Fraktion sagte, die Abgeordneten seien zutiefst verunsichert. «Sie trauen sich nicht, die Regierungslinie öffentlich zu verteidigen, weil sie fürchten müssen, dass die Linie sich über Nacht ändert», sagte der Mann.

Finanzminister Kwarteng hatte vor gut einer Woche unter anderem angekündigt, den Spitzensteuersatz für Jahreseinkommen von mindestens 150'000 Pfund (rund 166'000 Franken) von 45 auf 40 Prozent zu senken. Die Regierung will damit das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Nach der Ankündigung der über Schulden finanzierten Pläne rauschte der Pfund-Kurs in den Keller.

Der Finanzminister steht im Feuer

Die britische Notenbank sah sich gezwungen, einzuschreiten und Staatspapiere mit langer Laufzeit zu erwerben – ohne Obergrenze. Mehrere prominente Mitglieder der Tory-Partei wie die Ex-Minister Michael Gove und Grant Shapps kritisierten die Steuererleichterungen für Wohlhabende in Zeiten von steigenden Lebenskosten scharf und deuteten an, im Parlament dagegen zu stimmen. An anderen, ebenfalls umstrittenen Teilen des Wirtschaftsplans will Kwarteng aber festhalten.

Der Finanzminister steht nun enorm im Feuer. Truss hatte am Sonntag nicht nur eingeräumt, sie und Kwarteng hätten die Entscheidung im Alleingang getroffen. Die Premierministerin betonte auch, die Steuersenkung für die Reichsten sei Kwartengs Idee gewesen. Dass der ehemalige Hedgefonds-Mitarbeiter am Abend nach der Ankündigung seiner Pläne an einem Empfang mit Hedgefonds-Managern teilnahm, sorgte ebenfalls für Empörung.

Dennoch dürfte Kwarteng erst einmal im Amt bleiben. Denn ein Wechsel auf diesem wichtigen Posten würde die Märkte wohl noch stärker verunsichern. Experte Garnett sieht noch einen weiteren Grund, warum die umfassende Rebellion ausbleiben dürfte. «Die Tory-Abgeordneten sind unwillig, schon wieder ihre Parteichefin auszutauschen», sagte er. Denn dann sei eine Neuwahl kaum vermeidbar – Umfragen zufolge würden in diesem Fall aber zahlreiche Tories ihre Mandate verlieren.

dpa/uri

Von Benedikt von Imhoff und Larissa Schwedes, dpa