Wagner-Chef in Ungnade «Er überschätzt wohl selbst seinen eigenen Einfluss»

Von Andreas Fischer

25.1.2023

Wagner-Chef sieht Verräter im Kreml

Wagner-Chef sieht Verräter im Kreml

Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat Mitarbeitern aus dem Umfeld von Kremlchef Wladimir Putin in der Präsidialverwaltung Verrat vorgeworfen. Sie täten so, als seien sie auf Putins Kurs, störten aber in Wahrheit den Kriegsverlauf und warteten auf ein rasches Ende, um sich bei einer Niederlage Russlands den USA anzudienen, behauptete Prigoschin einer am Mittwoch veröffentlichten Mitteilung zufolge.

19.01.2023

Jewgeni Prigoschin hat sich viel erlaubt in den letzten Monaten und mit markigen Worten den Kreml attackiert. Doch nun wird der Chef der Söldnergruppe Wagner von Wladimir Putin kaltgestellt.

Von Andreas Fischer

25.1.2023

«Ein weiteres Anzeichen mangelnder Geschlossenheit in Moskaus Militärführung» – das britische Verteidigungsministerium drückt sich im täglichen Geheimdienst-Update recht gewählt aus. So viel Vorsicht in der Ausdrucksweise scheint aber gar nicht geboten: Seit Monaten ist offensichtlich, dass es ziemlich rumpelt in der Chefetage der russischen Streitkräfte. Die Misserfolge in Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigen bei den Generälen, beim Verteidigungsminister und bei Putin selbst Wirkung.

Erst vor zwei Wochen hat der Kreml-Herrscher den Oberbefehlshaber seiner Invasionstruppen und der Ukraine ausgetauscht und dem von Hardlinern geschätzten Kommandeur Sergej Surowikin den Kreml-treuen Generalstabschef Waleri Gerassimow vor die Nase gesetzt: «Putin will damit ein Autoritätssignal aussenden: Mit der bestehenden Führung ist dieser Krieg zu gewinnen», erläutert Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen auf Nachfrage von blue News.

Prigoschin poltert gegen neuen Kommandeur

Wohlgelitten ist der 67-jährige Gerassimov nicht in allen Teilen der Truppe: Zum einen, weil er für die gescheiterte Frühjahrsoffensive im vergangenen Jahr mitverantwortlich war. Zum anderen, weil er nach seiner Beförderung mit kleinlichen Vorschriften die Disziplin in der Truppe erhöhen will.

Macht die verordnete Einschränkung der Nutzung von Privathandys noch Sinn, um den eigenen Standort nicht zu verraten, stösst Gerassimows Befehl, dass sich russische Soldaten ordentlich rasieren sollen, auf wenig Gegenliebe: «Der Krieg ist die Zeit der Aktiven und Mutigen, nicht der ordentlich Rasierten», poltert etwa Jewgeni Prigoschin.

Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, hat in den letzten Monaten immer wieder mit markigen Worten harsche Kritik an der russischen Militärführung geübt – und ist eine treibende Kraft hinter deren Spaltung: «Er machte sich zum Sprachrohr der Kriegstreiber im Kreml», so Schmid. «Gleichzeitig drangen aber auch kompromittierende Informationen über seine Vergangenheit in die russische Öffentlichkeit. Damit wurde ihm signalisiert, er solle seinen Kopf nicht zu sehr herausstrecken.»

Russlands Präsident Wladimir Putin (rechts) lässt sich von Jewgeni Prigoschin, dem Chef der Wagner-Söldner, immer weniger gefallen.
Russlands Präsident Wladimir Putin (rechts) lässt sich von Jewgeni Prigoschin, dem Chef der Wagner-Söldner, immer weniger gefallen.
Keystone

«Er überschätzt wohl selbst seinen eigenen Einfluss»

Die Zeiten, in den sich Prigoschin alles erlauben konnte, scheinen vorbei zu sein. Zwar behauptet der Wagner-Chef gern, dass es allein seiner paramilitärischen Söldnertruppe zu verdanken sei, dass Russland überhaupt militärische Erfolge vorweisen kann. Aber ganz so wichtig, wie Prigoschin sie macht, ist seine Gruppe dann doch nicht, wie Ulrich Schmid einschätzt: «Es ist eine schnell mobilisierbare und erfahrene Kampfeinheit. Allerdings ist sie zu klein, um wirklich einen Sieg herbeizuführen.»

Prigoschins beständiges Eigenlob jedenfalls ist im Kreml nicht gut angekommen. Das Institute for the Study of War (ISW) sieht seinen Stern sogar im Sinken begriffen, nachdem er sein Versprechen, Bachmut mit eigenen Kräften einzunehmen, nicht eingelöst hat. «Er überschätzt wohl selbst seinen eigenen Einfluss», sagt auch Ulrich Schmid.

Dass Putin mit der Ernennung von Gerassimow als Kommandeur wieder auf konventionelle russische Streitkräfte setzt, führt laut ISW zu einer Marginalisierung der Wagner-Gruppe. Kommt hinzu, dass Prigoschin durch die Degradierung seines Verbündeten Sergei Surowikin weniger Einfluss innerhalb der russischen Militärführung zu seinem Vorteil geltend machen kann.

Putins Personalrochade nicht kriegsentscheidend

«Putin hat dem Verteidigungsministerium den Rücken gestärkt», ordnet Ulrich Schmid ein, sagt aber auch: «Das Verteidigungsministerium mit den Exponenten Schoigu und Gerassimow steht unter enormem Erfolgsdruck, aber unter diesem Druck steht auch der Präsident selbst.»

Dass der Krieg nicht nach den Vorstellungen des Kremls verläuft, ist vor allem Versäumnissen in der Militärführung geschuldet. Und das könnte den Kreml-Herrscher noch teuer zu stehen kommen, wie Ulrich Schmid einschätzt: «Putin weiss genau, dass nur ein militärischer Sieg seine Position retten kann. Die personellen Rochaden in der Kommandostruktur wirken aber erratisch und werden wohl keinen entscheidenden Effekt haben.»

Viel wichtiger werden laut Schmid weitere Mobilisierungswellen sein – und wie sie von der russischen Gesellschaft aufgenommen werden.