Nehammer trifft Putin «Was für eine Selbstüberschätzung des Kanzlers»

Von Andreas Fischer

11.4.2022

Österreich: Putin soll «Realität ausserhalb des Kremls» anerkennen

Österreich: Putin soll «Realität ausserhalb des Kremls» anerkennen

Die EU-Aussenminister beraten in Luxemburg über weitere Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine. Der österreichische Aussenminister Alexander Schallenberg äusserte dort zum Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer in Moskau, der als erster Regierung

11.04.2022

Karl Nehammer trifft als erster westlicher Regierungschef seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine Wladimir Putin – und spielt ihm womöglich in die Hände. Was verspricht sich der Österreicher davon?

Von Andreas Fischer

11.4.2022

Die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien waren die ersten europäischen Spitzenpolitiker, die nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gereist sind. In den vergangenen Tagen folgten einige westeuropäische Kollegen: die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der britische Premierminister Boris Johnson – und am Wochenende auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer.

Nehammer hat den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen und sich in Butscha ein Bild von den Kriegsverbrechen der russischen Armee gemacht. Nach seinem Besuch in der Ukraine fliegt Nehammer weiter: Erstmals seit Beginn des Krieges reist ein europäischer Regierungschef nach Moskau.

Nehammer will Kreml-Chef Wladimir Putin am Montagnachmittag in der russischen Hauptstadt treffen. Das Gespräch ist für 15 Uhr Moskauer Zeit (14 Uhr MESZ) angesetzt. Bereits kurz nach der Ankündigung wurde der geplante Besuch deutlich kritisiert.

Der Vize-Bürgermeister der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol zeigte sich in der «Bild»-Zeitung fassungslos: «Das gehört sich nicht zur heutigen Zeit.» Sergej Orlow verstehe nicht, «wie in dieser Zeit ein Gespräch mit Putin geführt werden kann, wie mit ihm Geschäfte gemacht werden können.»

Österreichs Kanzler Karl Nehammer hat gerade erst Wolodymyr Selenskyj in Kiew besucht. Nun reist er nach Moskau zu Wladimir Putin.
Österreichs Kanzler Karl Nehammer hat gerade erst Wolodymyr Selenskyj in Kiew besucht. Nun reist er nach Moskau zu Wladimir Putin.
Evgeniy Maloletka/AP/dpa

«Risikomission» ohne Erfolgsaussicht

Mit Kritik musste der Politiker rechnen. Auch dass er mit einem persönlichen Treffen mit Putin den Krieg nicht beenden wird, dürfte Österreichs Regierungschef bewusst sein. Was will Karl Nehammer also bei Wladimir Putin? Was kann er beim Kreml-Chef erreichen?

«Karl Nehammer befindet sich eingestandenermassen auf einer Risikomission», schätzt Russlandexperte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen gegenüber blue News ein. «Er ist über die Lage in der Ukraine schockiert und versucht, eine Verhandlungslösung zu finden.»

Das tönt ziemlich optimistisch, Putin ist seit Beginn der Invasion nicht durch Kompromissbereitschaft aufgefallen. Auch Schmid glaubt, dass es «unwahrscheinlich ist, dass Nehammer die Verhandlungen voranbringen kann. Putin wird kaum auf Kompromissvorschläge eingehen. Putin will auf jeden Fall sein Gesicht wahren.»

In Österreich selbst ist man über die Moskaureise des Kanzlers nicht glücklich. Kritik kommt sowohl vom Koalitionspartner («Das hat mit Diplomatie nichts zu tun.») als auch von Fachleuten: «Ich halte diesen Besuch nicht für eine kluge Entscheidung, ganz und gar nicht», sagte der Politologe Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck im österreichischen Fernsehen.

Nehammer spielt Putin in die Hände

Keine Aussicht auf Erfolg, dazu Gegenwind auch aus der Heimat: Warum also fährt Nehammer überhaupt nach Moskau? Hätte nicht ein Telefonat gereicht, um den Dialog mit Wladimir Putin aufrechtzuerhalten? «Ein Telefongespräch», so Experte Ulrich Schmid zu blue News, «hätte nicht genügend Gewicht zu diesem Zeitpunkt.»

Nehammer wolle eine «persönliche Diplomatie» betreiben. «Möglicherweise folgt er auch einem innenpolitischen Kalkül und spekuliert auf eine Stärkung seiner eigenen Position», analysiert Schmid. Dabei ist «Putin nach dem Überfall auf die Ukraine für die meisten westlichen Regierungschefs toxisch geworden.»

Politisch ist das Manöver des Österreichers nicht nur ein Wagnis, es könnte Putin sogar nutzen. «Nehammer spielt auf alle Fälle Putin in die Hände, wenn er nach Moskau reist. Der Kreml wird diesen Besuch als Prestigegewinn verbuchen und in den Medien als Erfolg präsentieren», ist Ulrich Schmid sicher und drückt sich damit diplomatischer aus als ein ukrainischer Diplomat, den die «Bild»-Zeitung zitiert: «Was für eine Selbstüberschätzung des österreichischen Kanzlers, dass er ernsthaft glaubt, eine Reise zum jetzigen Zeitpunkt hätte irgendeinen Sinn.»