US-Präsident Biden zu Massaker an Schule «Wann in Gottes Namen bieten wir der Waffenlobby die Stirn?»

dpa/dor

25.5.2022 - 04:55

18-Jähriger erschiesst Grundschulkinder

18-Jähriger erschiesst Grundschulkinder

In einer Grundschule in Uvalde, im US-Bundesstaat Texas hat ein Mann zahlreiche Kinder und Erwachsene erschossen. Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus.

25.05.2022

Erneut erschüttert ein Schusswaffenmassaker die USA, diesmal trifft es eine Primarschule in einer texanischen Kleinstadt. Der mutmassliche Schütze erschiesst 19 Kinder und zwei Erwachsene. US-Präsident Joe Biden fordert schärfere Waffengesetze.

25.5.2022 - 04:55

Ein junger Mann hat an einer Primarschule in Texas nach Polizeiangaben mindestens 19 Kinder und zwei Erwachsene erschossen. Mindestens einer der getöteten Erwachsenen war ein Lehrer. Der mutmassliche Schütze wurde von einem Beamten der Grenzschutzpolizeibehörde Border Patrol erschossen, der gerade in der Nähe war und in die Schule rannte, ohne auf Verstärkung zu warten, wie ein Ermittler mitteilte.

Der Amoklauf ereignete sich am Dienstag in der rund 135 Kilometer westlich von San Antonio gelegenen Stadt Uvalde. Beim Tatverdächtigen handelte es sich um einen Ortsansässigen, wie Gouverneur Greg Abbott sagte. Er habe die Robb Elementary School mit einer Handfeuerwaffe sowie vermutlich mit einem Gewehr betreten und das Feuer eröffnet. Abbott hatte zunächst von 14 Kindern und einer Lehrkraft gesprochen, die auf «entsetzliche und unbegreifliche» Weise getötet worden seien. Mindestens zwei Polizeibeamte wurden laut dem Gouverneur vom Angreifer angeschossen, seien aber nicht schwer verletzt.

Eine Frau weint beim Verlassen des Gemeindezentrums in Uvalde. (24. Mai 2022)
Eine Frau weint beim Verlassen des Gemeindezentrums in Uvalde. (24. Mai 2022)
Bild: Keystone/The San Antonio Express-News via AP/William Luther

Über die Zahl der verletzten Kinder und Erwachsenen lagen zunächst keine Angaben vor, doch sprach der für den Schulbezirk zuständige Polizeichef von «etlichen Verletzungen». Ein lokales Spital meldete zuvor, dass 13 Kinder eingeliefert worden seien. Aus einer anderen Klinik hiess es, eine 66-Jährige sei in kritischem Zustand. Die Frau war kurz vor dem Massaker in ihrer Wohnung angeschossen worden. Laut einem Beamten schien die Frau die Grossmutter des Schützen zu sein. 

Biden fordert schärfere Waffengesetze

Der Polizeichef des betroffenen Schulbezirks, Pete Arredondo, sagte später auf einer Pressekonferenz, dass der Tatverdächtige allein gehandelt habe. Sein Tatmotiv und in welchem Zusammenhang das Massaker an der Schule mit der Tat in der Wohnung der 66-jährigen Frau steht, war zunächst unklar.

Am Dienstagnachmittag (Ortszeit) war ein grosses Polizeiaufgebot auf dem Schulgelände, Sicherheitskräfte in dicken Schutzwesten umstellten den Komplex und leiteten den Verkehr um. FBI-Agenten gingen ein und aus.

US-Präsident Joe Biden war zum Zeitpunkt der Tat an Bord der Air Force One, auf dem Rückweg nach Washington nach einer fünftägigen Asien-Reise. Nach seiner Ankunft im Weissen Haus forderte Biden schärfere Waffengesetze. «Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden», sagte Biden am Dienstagabend (Ortszeit). «Die Vorstellung, dass ein 18-jähriger Junge in ein Waffengeschäft gehen und zwei Sturmgewehre kaufen kann, ist einfach falsch.»

US-Vizepräsidentin Kamala Harris forderte neue politische Massnahmen. «Genug ist genug», sagte Harris am Dienstagabend (Ortszeit) in Washington. «Als Nation müssen wir den Mut haben, zu handeln.» Es müssten Massnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass derartige Verbrechen nicht mehr geschehen, sagte Harris – ohne konkret zu werden. «Unsere Herzen werden immer wieder gebrochen.» US-Präsident e Biden wolle sich später im Detail dazu äussern, sagte sie weiter. Etliche Demokraten fordern nach dem Blutbad in Uvalde schärfere Waffengesetze.

Erinnerungen an Sandy Hook

Biden erinnert auch an jene Attacke von 2012, die diesem Angriff in Texas auf so erschreckende Weise ähnelt: In Newton im Teilstaat Connecticut drang damals ein 20-Jähriger mit schweren psychischen Problemen in seine frühere Primarschule ein und tötete dort 20 Schulkinder und sechs Lehrer, nachdem er zuvor seine Mutter erschossen hatte. Das Massaker an der Sandy Hook Elementary School stach selbst im Land der ständigen Schiessereien auf brutale Weise heraus. Doch wer dachte, dass die Waffenanhänger im Land spätestens nach diesem unfassbaren Verbrechen zur Vernunft kommen würden, der täuschte sich. Alle Versuche, die Waffengesetze in den USA deutlich zu verschärfen, schlugen auch nach dem Blutbad von Sandy Hook fehl.

Auch danach gingen die Amokläufe und Schiessereien weiter: in Schulen, in Supermärkten, in Kirchen, Synagogen. Allein im vergangenen Jahr zählte die US-Bundespolizei FBI 61 Amokläufe mit Schusswaffen im Land – etwa ein Amoklauf alle sechs Tage. Und das ist nur ein minimaler Ausschnitt. Das Ausmass an Waffengewalt insgesamt ist in den USA ungleich grösser. Pistolen und Gewehre sind extrem leicht zu kaufen. Laut einer Statistik der Gesundheitsbehörde CDC etwa wurden im Jahr 2020 rund 20'000 Menschen in den USA erschossen – das sind mehr als 50 Tote pro Tag.

Amerika dürfe die tägliche Waffengewalt nicht einfach akzeptieren, fordert eine Mutter, die 2012 ihren kleinen Sohn bei dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Primarschule verlor, im Interview mit dem Sender CNN. «Man kann sich nicht vorstellen, was die Eltern dort gerade für einen Horror durchleben», sagt sie mit Blick auf Uvalde und schiebt nach: «Ich weiss nicht, wie viel mehr unser Land noch aushalten kann.»

Konservative: Recht auf Waffenbesitz ist Heiligtum

Das Recht auf Waffenbesitz ist für viele Konservative in den USA eine Art Heiligtum, der Inbegriff von Freiheit, ein Grundrecht, das nicht anzutasten ist. Die Waffenlobby in den USA ist enorm mächtig. Gleich nach dem Amoklauf an der Primarschule in Texas beginnen einzelne Republikaner einmal mehr eine Debatte, dass nicht Waffen das Problem seien, sondern lediglich einzelne ihrer Besitzer.

Ein demokratischer Senator, Chris Murphy, lässt seinem Frust über den politischen Stillstand bei dem Thema freien Lauf: «Was machen wir?», fragte Murphy bei einem emotionalen Auftritt in der Kongresskammer. An seine Senatskollegen gerichtet wettert er: «Warum machen Sie sich die Mühe, diesen Job zu bekommen (...), wenn Ihre Antwort lautet, dass wir nichts tun, während diese Metzelei zunimmt und unsere Kinder um ihr Leben rennen?» Murphy kommt aus Connecticut, jenem Teilstaat des Sandy-Hook-Massakers. Die Waffengewalt sei eine Besonderheit der USA, meint er. «Nirgendwo sonst gehen kleine Kinder mit dem Gedanken zur Schule, dass sie an diesem Tag erschossen werden könnten», sagt Murphy. «Es ist unsere Entscheidung, ob das weitergeht.»

Die Robb Elementary School wird von etwa 600 Schülerinnen und Schülern besucht, Uvalde hat rund 16'000 Einwohner. Es war das schlimmste Massaker an einer US-Primarschule seit Sandy Hook.

Texas: Wiederholt folgenschwere Schusswaffenattacken

Gerade in Texas kam es in den vergangenen Jahren wiederholt zu folgenschweren Schusswaffenattacken. 2018 erschoss ein Mann an einer High School in Santa Fe im Grossraum Houston zehn Menschen. Ein Jahr zuvor tötete ein Mann in einer Kirche in der texanischen Kleinstadt Sutherland Springs mehr als zwei Dutzend Gottesdienstbesucher. 2019 tötete ein Bewaffneter in einem Geschäft in El Paso 23 Menschen aus rassistischen Motiven.

Vor weniger als zwei Wochen erschoss ein Mann in einem Supermarkt in Buffalo im Staat New York zehn schwarze Kunden und Mitarbeiter – auch dort war laut Ermittlern Rassismus – und die Ideologie der Vorherrschaft von Weissen, die sogenannte White Supremacy – das Motiv.

Ebenfalls vor knapp zwei Wochen tötete ein Mann bei einem Angriff auf vorwiegend taiwanesische Gottesdienstbesucher in einer Kirche in Südkalifornien eine Person und verletzte fünf weitere mit Schüssen, vier von ihnen schwer. Der 68-jährige Schütze war nach Auffassung der Ermittler von Hass auf Menschen aus Taiwan geleitet.

Waffenlobby tagt am Freitag – Trump tritt auf

Das Massaker von Uvalde ereignete sich wenige Tage vor dem Beginn der Jahreskonferenz des Waffenverbands NRA in Houston. Gouverneur Abbott gehört zu jenen prominenten Republikanern, die als Redner auf einem für Freitag geplanten Forum der Lobbygruppe der Organisation auftreten sollen, weiter sollen Ex-Präsident Donald Trump und der republikanische Senator Ted Cruz auf der Konferenz sprechen.

dpa/dor