Die Talente von 2012 heute Top-Werte von Swiss Ski – aber die beiden grössten Hoffnungen reüssierten nicht

Von Marcel Allemann

17.4.2022

Nils Mani (l.) und Ralph Weber räumten an der Junioren-WM 2012 im grossen Stile ab, aber im Weltcup wollte es bis heute mit dem grossen Durchbruch nicht klappen – Mani ist zurückgetreten, Weber wartet noch auf Top-Resultate im Weltcup.
Nils Mani (l.) und Ralph Weber räumten an der Junioren-WM 2012 im grossen Stile ab, aber im Weltcup wollte es bis heute mit dem grossen Durchbruch nicht klappen – Mani ist zurückgetreten, Weber wartet noch auf Top-Resultate im Weltcup.
Bild: Keystone

Vor zehn Jahren waren sie die grossen Talente – und heute? blue Sport hat sich in den Recherche-Keller begeben und geschaut, was aus ihnen geworden ist. Und wie gross in den drei Schweizer Top-Sportarten die Erfolgsaussichten auf eine grosse Karriere sind. Heute Teil 3: Ski.

Von Marcel Allemann

17.4.2022

Es war eine erfolgreiche Schweizer Expedition. 15 Fahrerinnen und Fahrer hatte Swiss Ski nach Roccaraso in den italienischen Abruzzen entsandt und diese brachten von der Junioren-WM nicht weniger als acht Medaillen nach Hause. Zu ihnen gehörte auch der heutige Topstar Corinne Suter. Doch für die herausragendsten Leistungen sorgte nicht die aktuelle Weltmeisterin und Olympiasiegerin in der Abfahrt, sondern andere im Team.

Etwa Ralph Weber, der im Super-G Gold holte und in der Abfahrt Silber. Oder Nils Mani, der hinter Weber Silber im Super-G und Bronze in der Abfahrt gewinnen konnte. Vor Leuten wie Aleksander Kilde, Johannes Strolz oder Henrik Kristoffersen.

Schweizer Medaillen an der Junioren-WM 2012

  • Gold Super-G Männer: Ralph Weber
  • Silber Abfahrt Männer: Ralph Weber
  • Silber Super-G Frauen: Joana Hählen
  • Silber Super-G Männer: Nils Mani
  • Bronze Abfahrt Männer: Nils Mani
  • Bronze Slalom Männer: Reto Schmidiger
  • Bronze Kombination Frauen: Corinne Suter
  • Bronze Teamevent: Jasmina Suter, Luca Aerni, Andrea Ellenberger, Bernhard Niederberger

Corinne Suter hatte indes das Pech, dass die Abfahrt wegen des schlechten Wetters gestrichen werden musste, sie im Super G-unglückliche Vierte wurde, dort Bronze um eine Hundertstel und Gold um fünf Hundertstel verpasste. Joana Hählen hatte als Zweite hinter der norwegischen Siegerin Annie Winquist mehr Glück. Immerhin blieb Suter am Ende zum Trost Bronze in der Kombination. 

Toptalent Mani ist jetzt wieder als Zimmermann tätig

Ein Blick ins Jahr 2012 zeigt, wie unberechenbar der Skisport sein kann, wenn man die Junioren-Erfolge mit der Erwachsenen-Realität vergleicht. Winquist, die mit zwei Medaillen in Roccaraso die Überfliegerin bei den Frauen war, beendete, geplagt von einigen Verletzungen, ihrer Karriere bereits im Alter von 21 Jahren und konzentrierte sich auf ihr Studium.

2013 wurde Nils Mani von der Sporthilfe als Nachwuchsathlet des Jahres ausgezeichnet, an die Weltspitze führte ihn dies aber auch nicht.
2013 wurde Nils Mani von der Sporthilfe als Nachwuchsathlet des Jahres ausgezeichnet, an die Weltspitze führte ihn dies aber auch nicht.
Bild: Keystone

Länger hielt Nils Mani durch, der Ende Januar dieses Jahres einen Schlussstrich unter den Skisport zog und bereits in seinen angestammten Beruf als Zimmermann zurückgekehrt ist. Der Speedspezialist aus dem Berner Oberland sah keine realistische Chance mehr, bis Ende Saison zu den Top 25 auf der Welt in der Abfahrt zu gehören.

Und so blieben zwei Top-10-Klassierungen im Weltcup der Höhepunkt einer Karriere, die so verheissungsvoll begann. Denn 2013 an der folgenden Junioren-WM in Québec hatte Mani noch eins draufgelegt und Gold in der Abfahrt geholt.

Frustriert über seinen Karrierenverlauf äusserte er sich in seiner Rücktrittserklärung dennoch nicht: «Ich bin glücklich über alles, was ich in dieser Zeit erleben und erreichen durfte. Während meiner Schulzeit hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal zehn Jahre im Weltcup dabei bin und 60 Weltcuprennen für die Schweiz fahren darf.»

In einem Interview mit der Jungfrau Zeitung sprach der 29-jährige Diemtigtaler aber auch über die Kehrseite der Medaille. Man müsse sich stets bewusst sein, dass es sich bei seinem ehemaligen Berufszweig um ein «knallhartes Business» handle, bei dem nur die Besten der Besten mithalten können.

Corinne Suter hat schon alles gewonnen, was man gewinnen kann

Kollege Weber ist zwar noch immer dabei, aber der grosse Weltcup-Durchbruch lässt beim Champion auf Junioren- und Europacup-Ebene weiter auf sich warten und allmählich wird die Zeit für den 28-jährigen St. Galler knapp. Auch für ihn waren bislang zwei Top-10-Klassierungen im Weltcup das höchste der Gefühle. 

Derweil hat Corinne Suter in dieser Zeit alles gewonnen, was man als Speed-Spezialistin gewinnen kann: Olympia-Gold, WM-Gold und die kleinen Kristallkugeln in der Abfahrt und im Super-G. Suter ist zwar die mit Abstand Erfolgreichste aus der 15-köpfigen WM-Mannschaft, aber auch andere hinterliessen nachhaltige Spuren.

An der Junioren-WM 2012 im Pech, an den Olympischen Spielen 2022 im Glück: Corinne Suter mit ihrer Goldmedaille.
An der Junioren-WM 2012 im Pech, an den Olympischen Spielen 2022 im Glück: Corinne Suter mit ihrer Goldmedaille.
Bild: Keystone

Denn auch Jasmine Flury und Priska Nufer können inzwischen je einen Weltcupsieg ausweisen. Letztere zeigte mit ihrem überraschenden Sieg im Februar in der Abfahrt von Crans Montana, dass es sich lohnen kann, einen langen Atem zu haben und der grosse Durchbruch auch länger dauern kann. Flury und Nufer konnten im Gegensatz zu Mani und Weber übrigens an einer Junioren-WM nie eine Medaille gewinnen.

Hier sind die 15 Schweizer Skifahrer von der Junioren-WM 2012 gelandet

  • Ralph Weber (B-Kader, 1 Podestplatz im Weltcup mit dem Team)
  • Nils Mani (Rücktritt 2022, ohne Podestplätze im Weltcup)
  • Reto Schmidiger (B-Kader, 4 Podestplätze im Weltcup, alle mit dem Team, davon 3 Siege)
  • Joana Hählen (A-Kader, 3 Podestplätze im Weltcup, 2 in der Abfahrt, 1 im Super-G)
  • Corinne Suter (Nationalmannschaft, Olympia-Gold Abfahrt 2022, WM-Gold Abfahrt 2021, WM-Silber Abfahrt 2019 und Super-G 2021, WM-Bronze Super-G 2019, 4 Weltcupsiege, 3 Abfahrt, 1 Super-G, total 19 Podestplätze im Weltcup)
  • Jasmina Suter (A-Kader, ohne Podestplätze im Weltcup)
  • Luca Aerni (A-Kader, WM-Gold Kombination 2017, Olympia-Gold Team 2018, 2 Podestplätze im Weltcup, 1 im Slalom und 1 Sieg mit dem Team)
  • Andrea Ellenberger (A-Kader, WM-Gold Team 2019, 1 Sieg im Weltcup mit dem Team)
  • Bernhard Niederberger (Rücktritt 2018, ohne Podestplätze im Weltcup)
  • Priska Nufer (Nationalmannschaft, 1 Weltcupsieg Abfahrt)
  • Andrea Thürler (Rücktritt 2015, ohne Weltcuprennen)
  • Jasmine Flury (Nationalmannschaft, 1 Weltcupsieg Super-G, 1 weiterer Podestplatz Abfahrt)
  • Daniel Yule (Nationalmannschaft, Olympia-Gold Team 2018, WM-Gold Team 2018, 6 Weltcupsiege, 4 im Slalom, 2 mit dem Team, total 12 Podestplätze im Slalom)
  • Gino Caviezel (Nationalmannschaft, 1 Weltcupsieg Team, 1 Podestplatz Riesenslalom, 1 Podestplatz Super-G)
  • Ramon Zenhäusern (Nationalmannschaft, Olympia-Gold Team 2018, Olympia-Silber Slalom 2018, WM-Gold Team 2019, 5 Weltcupsiege, 2 davon im Slalom, 2 in Parallel-Rennen, 1 mit dem Team, total 11 Podestplätze)

Dies sieht bei Daniel Yule, Ramon Zenhäusern und Luca Aerni, die in den letzten Jahren zu den Schlüsselfiguren des starken Schweizer Slalomteams geworden sind, anders aus. Aerni langte an der Junioren-WM 2012 gemeinsam mit Bernhard Niederberger, Andrea Ellenberger und Jasmina Suter im Team-Wettbewerb mit Bronze ein erstes Mal auf Junioren-WM-Stufe zu, in den beiden Folgejahren kamen noch drei Silbermedaillen (Slalom und Team) dazu. Yule holte 2014 in Jasna Bronze und Zenhäusern gewann 2013 in Québec Silber.

Gemeinsam sorgte dieses Techniker-Trio für 13 Weltcupsiege (6 Yule, 5 Zenhäusern, 2 Aerni), 3 mal WM-Gold (jeder je einmal) und jeder von ihnen hat Zuhause auch eine gemeinsam errungene Olympia-Goldmedaille (2018 mit dem Team) hängen. Bei Zenhäusern kommt noch Olympia-Silber 2018 im Slalom dazu.

Langwierige Verletzungen als Stolperstein

Das grösste Schweizer Slalomtalent der damaligen Generation war aber Reto Schmidiger, der 2010 und 2011 jeweils Junioren-Weltmeister wurde und 2012 mit Bronze nachlegte. Doch auf Erwachsenen-Stufe haben Yule, Zenhäusern und auch Aerni die grösste Schweizer Slalom-Hoffnung deutlich abgehängt. In seiner Paradedisziplin sind zwei Top-10-Klassierungen der bis jetzt bescheidene Bestwert von Schmidiger.

Reto Schmidiger hat viel Arbeit und Schweiss in seine Ski-Karriere investiert, aber bis jetzt relativ wenig zurückerhalten.
Reto Schmidiger hat viel Arbeit und Schweiss in seine Ski-Karriere investiert, aber bis jetzt relativ wenig zurückerhalten.
Bild: Keystone

Dies vor allem auch, weil der Nidwaldner immer wieder mit heftigem Verletzungspech zu kämpfen hatte. Unter anderem wurde er 2017 durch einen Kreuzbandriss und 2020 durch eine weitere schwere Knieverletzung gebremst. Langwierige Blessuren (oft schwere Knieverletzungen) sind im Skirennsport ohnehin ein Stolperstein für hoffnungsreiche Talente – so oft wie sonst wohl in kaum einer anderen traditionellen Spitzensportart.

Diese Erfahrung musste auch Andrea Thürler machen, die an der Junioren-WM 2012 ebenfalls dabei war. Wegen einer schweren Knieverletzung (Innen- und Aussenband, Kreuzband, Meniskus und Patellasehne) sah sie sich 2015 gezwungen, ihre Ski-Karriere zu beenden. Und das im zarten Alter von 22 Jahren. Dabei lieferte sie sich zuvor auf Junioren-Stufe jeweils noch heisse Duelle mit Wendy Holdener. Mal war Holdener vorne, mal Thürler.

«Wo Wendy steht, könnte ich genauso gut stehen»

Doch eine erste schwere Verletzung in Verbindung mit einem zeitgleichen revolutionären Wandel der Skis und der Radien beim Fahren hatte bei der Junioren-Weltmeisterin von 2010 im Super-G eine Bremswirkung auf ihre Entwicklung. Die guten Resultate blieben plötzlich aus, es kamen weitere Verletzungen und Rückstufungen in den Kadern dazu. Bis die Freiburgerin 2015 schliesslich aufgab – ohne es je auf die Startliste eines Weltcuprennens geschafft zu haben.

Einst ein grosses Talent, aber mit 22 bereits die Karriere beendet: Die Freiburgerin Andrea Thürler..
Einst ein grosses Talent, aber mit 22 bereits die Karriere beendet: Die Freiburgerin Andrea Thürler..
Bild: Keystone

Damals wurde Thürler von den Freiburger Nachrichten gefragt, was ihr durch den Kopf gehe, wenn sie die positive Entwicklung von ihrer früheren Mitstreiterin Wendy Holdener, die 2015 bereits im Weltcup für starke Resultate sorgte, sehe. «Es fühlt sich schon ein bisschen merkwürdig an, weil genauso gut ich dort stehen könnte. Aber ich mag es ihr gönnen. Sie ist immer drangeblieben und hat es sich verdient», antwortete Thürler.

Sie gab im selben Artikel aber auch zu bedenken, dass es letztlich auch mit viel Glück zu tun habe, ob man es schaffe oder eben nicht. «Wendy war nie richtig verletzt, konnte immer weitertrainieren und sich ständig verbessern.»

Die Prozentzahlen stellen Swiss Ski ein gutes Zeugnis aus

Neben Thürler und Mani hat mit Bernhard Niederberger ein dritter Junioren-WM-Fahrer von 2012 seine Karriere schon beendet. Auch bei ihm waren gesundheitliche Gründe ausschlaggebend. Dem Nidwaldner wurden chronische Rückenprobleme zum Verhängnis, so dass ein geregelter Trainingsbetrieb für ihn nicht mehr möglich war und er 2018 im Alter von 24 Jahren seinen Rücktritt verkündete.

Ein 21. Rang im Slalom von Zagreb im Jahr 2015 war seine einzige Weltcup-Klassierung in den Punkten. Von der Junioren-WM 2012 in Italien nahm er  mit Jasmina Suter, Luca Aerni und Andrea Ellenberger als gemeinsame Erinnerung an seine Ski-Zeit eine Bronzemedaille im Team-Wettbewerb mit nach Hause.

Mit 20 Prozent ist die Rücktritts-Quote von der WM-Equipe von 2012 in einem die Gesundheit so fordernden Sport wie Ski zehn Jahre danach trotzdem nicht hoch. Bei Swiss Ski können sie sich daher durchaus gegenseitig auf die Schultern klopfen. Erst recht wenn man bedenkt, dass im Verhältnis dazu 33 Prozent eine Olympia- oder WM-Medaille für die Schweiz gewinnen konnten, 80 Prozent es an eine WM bei den Grossen oder Olympische Spiele geschafft haben und 93 Prozent im Weltcup Punkte holten. Alle bis auf Thürler.

Ein kleiner Makel bleibt allerdings: Seine beiden grössten Hoffnungen aus dem WM-Team 2012 konnte Swiss Ski nicht (im Fall von Mani) oder noch nicht (im Fall von Weber) an die Weltspitze führen.

Morgen: Der Schweizerische Fussballverband, Swiss Ice Hockey und Swiss Ski  im Vergleich – wer hat die beste Erfolgsquote?