Auf den Spuren von Hingis und Williams Die Geschichte hinter der Teenie-Sensation von New York

Von Luca Betschart

10.9.2021

Die 18-jährige Emma Raducanu ist die erste Spielerin in der Open Ära, die als Qualifikantin den Sprung ins Endspiel schafft.
Die 18-jährige Emma Raducanu ist die erste Spielerin in der Open Ära, die als Qualifikantin den Sprung ins Endspiel schafft.
Bild: Keystone

Die beiden Teenies Emma Raducanu und Leylah Fernandez machen den US-Open-Titel sensationell unter sich aus. Die Ausnahmetalente, die sich damit auf den Spuren von Martina Hingis und Serena Williams bewegen, begegnen sich aber bereits viel früher erstmals.

Von Luca Betschart

10.9.2021

Zum ersten Mal seit 22 Jahren kommt es bei den US Open zu einem Teenager-Final: Die 18-jährige Emma Raducanu duelliert sich mit der 19-jährigen Leylah Fernandez um den letzten Major-Titel des Jahres. Die Britin und die Kanadierin bewegen sich damit auf den Spuren von Serena Williams und Martina Hingis, die sich 1999 im grossen Endspiel gegenüberstanden. Mit Williams konnte damals die jüngere der beiden Finalistinnen am Ende den Turniersieg bejubeln.

Der grosse Unterschied zu damals: Während Hingis und Williams trotz jungen Alters in der Setzliste bereits an den Positionen 1 und 7 zu finden sind, sucht man die Namen von Raducanu und Fernandez in der Setzliste dieses Jahres vergebens. Die Britin (WTA 150) muss gar den Umweg über die Qualifikation nehmen – und ist die erste Qualifikantin der Open Ära, die sich bis in einen Major-Final vorkämpft. Raducanu vollbringt dieses Kunststück gar ohne Satzverlust über die sämtlichen neun bestrittenen Partien.

Fernandez: «Viele Leute zweifelten an mir»

Nicht weniger beeindruckend ist der Weg ins Endspiel von Leylah Fernandez, die ab dem Sechzehntelfinal zwar stets über drei Sätze gehen muss. Liest man allerdings die Namen ihrer Konkurrentinnen, bleibt nur das Staunen. Der Reihe nach schaltet Fernandez Naomi Osaka, Angelique Kerber, Elina Svitolina und Aryna Sabalenka aus.

«Das hat mir die Augen geöffnet, dass es für mein Potenzial keine Grenzen gibt. Ich kann auch gegen solche Spielerinnen drei Sätze spielen oder gewinnen», sagt Fernandez nach geschaffter Final-Quali an der Pressekonferenz. «Meine mentale Toughness war ein grosses Plus für mich. Ich bin einfach sehr glücklich, was ich in dieser Woche erreicht habe.»



Die aktuelle Weltnummer 73 hat zudem eine Botschaft an ihre Kritiker, die sie schlussendlich aber nur stärker gemacht hätten. «Viele Leute zweifelten an mir, meiner Familie und meinen Träumen. Sie sagten, ich werde keine professionelle Spielerin und dass ich aufhören sollte.» Besonders an einen Kommentar einer Lehrerin kann sich Fernandez bis zum heutigen Tag sehr gut erinnern. «Sie sagte mir, dass ich es nie schaffen werde und mich auf die Schule fokussieren solle.» Worte, die der Kanadierin bleiben und sie stets motivieren.

Die Distanz zur eigenen Mutter

Das sei allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Gemeinsam mit ihrer Familie habe sie viel durchmachen müssen. So zum Beispiel sei sie im Alter von zehn Jahren lange von ihrer Mutter getrennt gewesen, die in den USA arbeitete, während Fernandez mit dem Vater in Kanada trainierte. «Ich habe sie in der Zeit kaum gesehen – und wenn, war es, als würde ich eine Fremde treffen.» Auch das sei aber ein Antrieb gewesen. «Ich sagte mir, ich gebe alles in meiner Macht Stehende, um meine Träume zu erreichen, damit wir wieder zusammen sein können.»

Umso glücklicher sei sie nun, dass ihre Mutter in Flushing Meadows mit von der Partie sei. Fernandez' Dank gilt aber auch ihrem Vater. «Er hat eines Tages die Entscheidung getroffen, die Koffer zu packen und in die USA zu gehen, damit wir bei meiner Mutter sein konnten. Weil es zu viel war», erinnert sich die 19-Jährige.

Raducanu: «Es ist ziemlich verrückt»

Noch etwas jünger und unerfahrener ist Finalgegnerin Emma Raducanu, Tochter eines Rumänen und einer Chinesin, die nur wenig von der entfachten Euphorie in der Heimat in Grossbritannien mitkriegt. «Ich bin ehrlich gesagt nur physisch hier und schaue auch mein Handy nicht wirklich an. Aber ich bin sehr dankbar für die Unterstützung. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was zu Hause vor sich geht.»



Die Finalqualifikation komme für sie einem leichten Schock gleich: «In dieser Phase der Karriere in einem Grand-Slam-Final zu stehen, dafür habe ich keine Worte.» Schliesslich sei sie erst seit Wimbledon für ein, zwei Monate auf der Tour. «Es ist ziemlich verrückt für mich.»

Verrückt ist aber auch, dass sich die Wege der beiden verblüffenden US-Open-Finalistinnen bereits früh kreuzen. «Wir sind uns mit zwölf Jahren zum ersten Mal begegnet, weil ich in Toronto geboren bin und sie Kanadierin ist», erklärt Raducanu an der Pressekonferenz. Zu einem späteren Zeitpunkt habe es ein Direktduell beim Junioren-Turnier in Wimbledon gegeben. «Seitdem sind wir beide in unserem Spiel und als Menschen sehr weit gekommen. Ich bin sicher, es wird ganz anders sein als bei unserer letzten Begegnung.»