Bildungsgerechtigkeit Algorithmus versaute britischen Schülern die Noten

dj

18.8.2020

Auch vor dem Wahlkreisbüro von Bildungsminister Gavin Williamson gab es wütende Proteste.
Auch vor dem Wahlkreisbüro von Bildungsminister Gavin Williamson gab es wütende Proteste.
Keystone

Ein Algorithmus, der die Abschlussnoten von Schülern berechnete, sorgte für Chaos im britischen Bildungssystem.

Grossbritannien ist das am schwersten vom Coronavirus getroffene Land in Europa. Die Pandemie führte dazu, dass dort die zentralen Abschlussprüfungen für die Matura (die «A-Levels») abgesagt wurden.

Stattdessen sollten die Lehrer anhand der bisherigen Leistungen eines einzelnen Schülers dessen Abschlussnote vorhersagen sowie mitteilen, wie gut dieser im Vergleich zu den anderen Schülern derselben Schule ist. Ein Algorithmus der für die Abschlussprüfungen zuständigen Behörde Ofqual berechnete dann für jeden Schüler im Land dessen Abschlussnote.

Eingebaute Ungerechtigkeit

Doch der Algorithmus bezog noch einen weiteren Faktor mit ein: Wie waren die A-Levels-Noten der Schüler in einer Schule im Vergleich zu den Noten anderer Schüler an anderen Schulen in den Vorjahren? Dabei ist das britische Bildungssystem berühmt-berüchtigt für seine Ungerechtigkeit. Die Absolventen einer Handvoll von teuren Privatschulen und Internaten machen einen deutlich überproportionalen Teil der Studierenden an den führenden Universitäten des Landes, vor allem Cambridge und Oxford, aus.

Der Algorithmus führte nun dazu, dass diese bestehenden Ungerechtigkeiten noch verschärft wurden. Gute Schüler an mittelmässigen Schulen wurden benachteiligt und mittelmässige Schüler an guten Schulen wurden bevorteilt. Das wurde bei der Bekanntgabe der Noten letzte Woche deutlich.

Bei 59 Prozent der Schüler gab es keine Veränderung gegenüber den von den Lehrern vorhergesagten Noten, bei 2 Prozent machte der Algorithmus die Noten besser und bei 39 Prozent der Schüler schlechter. Bei diesem doch sehr beträchtlichen Teil regte sich sofort heftiger Widerstand, weil nach all den Einschränkungen der Pandemie ihnen nun durch einen undurchsichtigen Algorithmus auch noch die Zukunft verbaut werden könnte.

Kehrtwende nach Massenprotesten

Im ganzen Land gab es Proteste wütender Schüler. Auf Social-Media-Plattformen warfen junge Menschen der Regierung vor, ihr Leben ruiniert zu haben. Vor dem Bildungsministerium in London versammelten sich Tausende und riefen: «Fickt den Algorithmus!» Bildungsminister Gavin Williamson weigerte sich über Tage, von den Algorithmus-Noten abzukehren, bevor er gestern nach massivem öffentlichem Druck eine Kehrtwende machte.

Nun werden ausschliesslich die Einschätzungen der Lehrer für die Abschlussnote verwendet. Das bereits entstandene Chaos lässt sich aber nicht mehr rückgängig machen. Denn zahlreiche britische Universitäten haben bereits anhand der von dem Algorithmus berechneten Noten ihre Studienplätze vergeben. Einige bereits zugelassene Schüler könnten nun nachträglich eine Ablehnung bekommen, andere vom Algorithmus benachteiligte wiederum nun doch akzeptiert werden.

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