Konflikt mit UltraorthodoxenIsraelische Regierung geht gegen «koschere» Handys vor
DPA/dj
19.7.2022 - 00:00
Handys sind den Rabbis in der Gemeinschaft der ultraorthodoxen Juden in Israel ein Dorn im Auge. Sie fürchten schlimme Einflüsse von aussen und haben für ihre Gläubigen sozusagen eine sauberere Telefon-Variante eingeführt. Aber die Regierung spielt nicht mit.
19.07.2022, 00:00
19.07.2022, 08:41
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Schmuli blickt angstvoll durch die Fenster seines Mobiltelefon-Ladens nach draussen, zupft nervös an seinem langen Bart und den Seitenlocken. «Bitte fotografiert mich nicht», bittet er. «Sprecht nicht laut.» Dann verschärft sich sein Ton: «Verschwindet. Geht weg. Jetzt.»
Schmuli (nicht sein wirklicher Name) hat Grund, sich zu fürchten. Mehrere Läden nahe Jerusalems grösstem ultraorthodoxen Stadtviertel Measchearim, die wie er Handys und andere digitale Technologien verkaufen, sind verwüstet worden. Kund*innen wurden tätlich angegriffen, und in Strassen in der Umgebung kam es zu Krawallen.
Handys sind in der Gemeinschaft der Ultraorthodoxen oder Charedim seit April zu einer explosiven Angelegenheit geworden – seit Israels Kommunikationsminister es für Angehörige dieser streng religiösen Richtung des Judentums leichter gemacht hat, Smartphones ohne Wissen ihrer Rabbiner zu benutzen. Es gibt sowohl Spannungen innerhalb der Gemeinschaft als auch zwischen ihr und dem Rest der israelischen Gesellschaft.
Charedische Juden machen 12,6 Prozent der israelischen Bevölkerung oder 16 Prozent der israelischen Juden aus und sind eine der am schnellsten wachsenden Gemeinschaften im Land. Sie befolgen die Thora und das jüdische Gesetz in allen Lebensbereichen. Rabbis, die das Gesetz studiert haben, verkünden Urteile über alles Mögliche, von Anforderungen weiblicher Sittsamkeit über Fragen persönlicher Gesundheit bis hin zu ehelichen Beziehungen.
Charedim betrachten sich selbst als Bewahrer des authentischen Judentums, und die meisten leben in dicht verwobenen Gemeinden – ein Lebensstil, den manche als «freiwilliges Ghetto» bezeichnen. Ultraorthodoxe Schulen sind weitgehend dem Religionsunterricht verpflichtet, Fächer wie Englisch, Wissenschaft oder Mathematik gibt es zumeist nicht. Charedim haben auch ihre eigenen Zeitungen und Magazine geschaffen, und ihre Rabbiner verbieten Läden in ihren Gemeinden den Verkauf säkularer Blätter.
Auch Fernsehen war verboten
Als 1965 das Fernsehen in Israel eingeführt wurde, untersagten sie es den Gläubigen, die «bösen Kisten» zu benutzen. Statistiken zufolge haben heute weniger als die Hälfte der charedischen Haushalte ein TV-Gerät.
Aber digitale Kommunikationen sind in den Augen der Rabbis eine noch grössere Bedrohung für die kulturellen Mauern, die die Ultraorthodoxen umgeben, bieten sie doch nicht nur Zugang zu unlauteren Inhalten, sondern auch zu Chat-Gruppen und Anwendungen wie WhatsApp, wo Charedim die Rabbis kritisieren und sich gar säkularen Quellen als Autoritäten zuwenden können.
Ursprünglich hatten die Rabbiner das Internet ganz verboten, aber als es sich als zunehmend notwendig im täglichen Leben erwies, liessen sie eine gefilterte Version für Computer daheim zu.
Aber bei den Handys zogen die Rabbis die Grenze. Sie bildeten ein Komitee, das zusammen mit Israels drei grösseren Mobilfunkanbietern das «koschere» Handy schufen – ein abgespecktes Telefon, das Nachrichtenübermittlungen, Videos, Radio und Internet blockiert. Zudem wurde ein spezielles Netz von Nummern mit eigener Vorwahl geschaffen, wodurch es sofort ersichtlich ist, wenn ein Anruf von einem unkontrollierten Gerät eingeht.
Die Rabbis blockierten jegliche Telefon-Sex-Dienste, aber auch Sozialbehörden der Regierung und Einrichtungen, an die man sich im Fall sexueller und häuslicher Gewalt wenden kann. Gläubige ohne eine genehmigte Nummer wird auch der Zugang zu manchen religiösen Diensten und Angeboten verwehrt.
Trend zum Zweithandy
Offiziell funktionierte die Kampagne, und die meisten Charedim benutzen ein «koscheres» Handy, wenn auch keine offiziellen Zahlen vorliegen. Aber manche legten sich schlicht zwei Telefone zu – eines zur Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft und eines für alles andere.
Dazu zählt der 58-jährige Dovid, der in der Nähe von Schmulis Laden steht und nur seinen Vornamen nennen will. «Ich bin ein Wohnungsmakler in der Charedim-Gemeinde. Natürlich folge ich meinen Rabbs und verehre sie», sagt er. «Aber meine Arbeit kann ohne ein Smartphone nicht funktionieren. So ist das einfach in der modernen Welt, leider.»
«Schlimmer als der Holocaust»
Aber für die Rabbiner kommt es nun sogar noch schlimmer. Israels jüngste Regierungskoalition, die keine Charedim einschliesst, hat das orthodoxe Monopol im mehreren religiösen Angelegenheiten beendet und der derzeitige Kommunikationsminister Joas Hendel im April neue Regeln verabschiedet, die Transfers von den speziellen «koscheren» Telefonnummern zu Anbietern ohne Restriktionen erlauben. Die Reform tritt Ende Juli in Kraft.
«Kommunikationsminister Joas Hendel versucht, dem Lebensstil der ultraorthodoxen Öffentlichkeit Schaden zuzufügen», schäumte der Chef des charedischen Parteibündnisses Vereinigtes Thora-Judentum, Mosche Gafni.
Andere gingen noch weiter. «Schmad», klagte ein Rabbi – ein emotionsgeladener Begriff, der sich auf Dekrete ausländischer Machthaber bezieht, um Juden zur Loslösung von ihrer Religion zu zwingen. «Das ist schlimmer als der Holocaust», meinte sogar ein anderer. Die Rabbiner sagen, dass nun Kinder durch Pornografie und anderen unheiligen Content korrumpiert würden.
Hendel antwortete in einem Interview der «Jerusalem Post», es gehe «um den Charakter Israels als jüdischem und demokratischem Staat. Wir müssen uns einig sein, dass es keine Autonomien geben darf. Die koscheren Telefone sind eine Art von Monopol, ausserhalb von Recht und Ordnung. Ich kann nicht akzeptieren ... dass es ein Monopol von Judentum gibt, das nur der charedischen Gemeinschaft gehört.»
Schlomo Fischer, der Soziologie an der Hebräischen und der Ben-Gurion-Universität lehrt, sagt, dass die Empörung nichts mit Inhalten zu tun habe: «Chat-Räume und die Kontrolle von Information sind Macht. Die Rabbis haben Angst, dass sie ihre Autorität verlieren.» Fischer zufolge hat diese seit dem Beginn der Corona-Pandemie gelitten, als die Rabbiner sich gegen sozialen Sicherheitsabstand wandten und darauf beharrten, dass die Schulen geöffnet blieben. Die Gemeinschaft erlitt zahlreiche Infektionen und Todesfälle.
Als Antwort auf den zunehmenden Ungehorsam haben es selbsternannte Bürgerwehren in die Hände genommen, die Einhaltung der Handy-Restriktionen durchzusetzen – mit Gewalt. Moische, anscheinend ein Mann in seinen späten Zwanzigern, lauert in der Nähe von Schmulis Geschäft. «Haut ab aus unserem Viertel!», schreit er einen Journalisten an. «Ihr könnt uns melden. Die Polizei kann uns festnehmen. Aber wir werden es nicht erlauben, dass diese unreinen Abscheulichkeiten unser heiliges Leben zu zerstören.»