Kolumne Die Illusion vom autonomen Fahren

Von Herbie Schmidt

17.5.2019

Bitte Zeit lassen: So 50 Jahre wären schön.
Bitte Zeit lassen: So 50 Jahre wären schön.
Bild: Keystone

Noch vor Kurzem entstand der Eindruck, ab morgen seien alle Autos autonom unterwegs. Doch davon kann keine Rede mehr sein. Klar, es werden wieder einmal die klassischen Kämpfe geführt.

Schon seltsam irgendwie. Noch vor einem Jahr verging kein Tag, an dem nicht neue Heldentaten bei der Entwicklung selbstfahrender Autos vermeldet wurden.

Ein paar Monate später wussten zwar einige, die sich für das Thema aufgeschlossen zeigten, schon zwischen den verschiedenen Autonomiestufen zu unterscheiden, die eine Expertengruppe ausgetüftelt hat. Vom autonomen Fahren war nach zwei schweren Unfällen mit Todesfolge nicht mehr die Rede, sondern noch vom teilautomatisierten oder – noch komplizierter – maximal teilautomatisierten Fahren.

Marketing-Spezialisten versus Techniker

Es ist immer der gleiche Kampf zwischen den Ingenieuren, die solche Robotersysteme entwickeln, und den Marketing-Spezialisten, die das Auto, das für den Kunden alles erledigt, dringend verkaufen wollen. Hand aufs Herz, liebe Marketiere: Was Ihr den Kunden als Rundum-Sorglos-Paket nach dem Motto «Das Auto erledigt alles selbst» verkaufen wollt, war von den Technikern längst nicht so gedacht.

Mittlerweile ist es ruhig geworden, die Verkaufsabteilungen halten den Ball plötzlich flach. Inzwischen wird das Thema eher abfällig mit dem Hinweis auf völlig unrealistische Robotaxis abgetan. Chef-Disruptor Elon Musk macht wie so oft das Gegenteil: Er kündigt an, dass ab nächstem Jahr jeder sein Auto vollautomatisch fahren lassen und es in dieser Weise auch Dritten überlassen kann. Sozusagen Airbnb für Autos.

Dass es noch lange dauern wird, bis man von einem relevanten Anteil autonom und unbemannt fahrender Autos sprechen kann, kann sich jeder selbst ausmalen.

Unbemannte Autos auf Parkplatzsuche

Ich stelle mir stellvertretend einmal vor, dass ich mit dem Auto vor die Bürotür in der verstopften Innenstadt fahre. Ich steige aus und beauftrage meinen Wagen, sich einen Parkplatz zu suchen und mich am Abend wieder abzuholen, wenn ich ihn per SMS herbeirufe.

Wäre doch toll.

Nur bin ich ja nicht allein, gleichzeitig machen das viele Berufstätige genauso. Den ganzen Tag cruisen dann unbemannte Autos durch die Strassen auf der Suche nach Parkplätzen und erhöhen den Stau im Stadtzentrum. Am Ende holt mich mein Auto abends wieder ab, ohne einen Parkplatz gefunden zu haben. Was für ein Unsinn. Hoffentlich dauert diese Zukunftsentwicklung noch ein bisschen länger. So 50 Jahre wären schön.

An dieser Stelle gibt es an jedem Freitagmorgen eine Autoren-Kolumne –abwechselnd zu den Themen Mode, Essen, Digitales Leben und Mutter. Heute: Digitales Leben.

Herbie Schmidt, 57, leitet bei der NZZ den Bereich Mobilität und treibt sich privat auch noch auf Rennstrecken herum – meist am Steuer sitzend. In seiner Vita stehen sechs Jahre beim Sauber-F1-Team und 13 Jahre als Autojournalist.

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