Gefriertruhe der HoffnungIn dieser Zürcher Gemeinde wachst du auf, wenn du dich für die Zukunft einfrieren lässt
Martin Abgottspon
4.2.2025
Für rund 200'000 Franken soll man die Chance bekommen, irgendwann in der Zukunft weiter zu leben.
IFL Science
Eine zweite Chance auf das Leben – für den Preis von zwei Sportwagen. Das verspricht ein deutsches Start-up. Eingefroren werden die Käufer dafür auch in einer Schweizer Anlage.
Mitten in Berlin auf einer kleinen Grünfläche steht ein unscheinbarer Krankenwagen. Der Wagen, geschmückt mit einer auffälligen orangen Linie, wirkt wie ein Spielzeug. Doch das Innere birgt modernste Technologie. Hier beginnt die Reise in die Zukunft – zumindest wenn es nach den Gründern des Start-ups Tomorrow.Bio geht.
Das Unternehmen betreibt seit einigen Jahren das erste Kryonik-Labor Europas und bietet für 200'000 Dollar an, Verstorbene einzufrieren und später wiederzubeleben. Ein gewagtes Versprechen. Insbesondere da bislang weltweit kein Mensch jemals erfolgreich aus dem kryonischen Schlaf zurückgekehrt ist.
So stellte sich die Unterhaltungsindustrie Ende der Achtziger-Jahre ein Aufwachen in der fernen Zukunft vor.
Twentieth Century Fox
Mit dem Tod beginnt der Schlaf im ewigen Eis
Emil Kendziorra, Mitgründer von Tomorrow.Bio und früherer Krebsforscher, will das ändern. Nachdem er den Fortschritt in der Krebsforschung als zu langsam empfand, verschrieb er sich der Kryonik. Für ihn ist die Idee der Wiederauferstehung durchaus realistisch, wie er in einem Gespräch mit der «BBC» sagt: «Vieles, das heute nicht funktioniert, wurde einfach noch nicht ausreichend erforscht.»
Bisher hat das Start-up drei bis vier Menschen und fünf Haustiere kryokonserviert. Weitere 700 Menschen haben sich laut Angaben auf der Webseite bereits registriert. In diesem Jahr plant das Unternehmen, seine Dienste auf die gesamten USA auszuweiten.
Der Ablauf folgt einem klaren Protokoll: Wird ein Patient für todkrank erklärt, sendet Tomorrow.Bio ein speziell ausgerüstetes Team. Sobald der Tod offiziell festgestellt ist, beginnt die Prozedur. Dabei wird der Körper langsam auf Temperaturen unter null Grad Celsius heruntergekühlt. Eine spezielle Kryoflüssigkeit ersetzt das Wasser in den Zellen, um schädliche Eisbildung zu verhindern. Am Ende erreicht der Körper eine Temperatur von -196 Grad Celsius. Erst dann wird er eingelagert.
Das Zürcher Unterland als perfekter Lagerort
Eine zentrale Rolle hierbei spielt der Schweizer Ort Rafz im Kanton Zürich. Denn in dieser hochmodernen Einrichtung mit Perfusionssystemen, computergesteuerte Kühlkammern und speziellen Kryobehältern werden die Toten für ein Leben in der fernen Zukunft aufbewahrt.
Der Standort für diese Einrichtung ist kein Zufall. Die Schweiz überzeugt mit seiner politischen Neutralität genauso wie mit seiner wirtschaftlichen Stabilität und der guten geografischen Lage. Ausserdem ist das Risiko von Naturkatastrophen in der Region minim. Das Zürcher Unterland ist weder für Erdbeben noch für Überschwemmungen anfällig.
Verfahren bleibt weiterhin umstritten
Während Kendziorra und sein Team an die Vision einer zweiten Chance glauben, bleiben viele Wissenschaftler skeptisch. Clive Coen, Professor für Neurowissenschaften am King’s College London, hält die Methode für unrealistisch: «Der Zerfall der Zellen beginnt unmittelbar nach dem Tod. Bei einer Wiederbelebung würde dieser Prozess einfach wieder einsetzen.»
Die Forschung an Organismen wie Würmern, die nach Kryokonservierung wieder voll funktionsfähig waren, stimmt das deutsche Start-Up hingegen optimistisch. Auch Studien an Ratten zeigen erste Erfolge: 2023 gelang es Forschern der University of Minnesota, Nieren nach 100-tägiger Lagerung in flüssigem Stickstoff erfolgreich zu transplantieren.
MyTech: der digitale Hotspot für alle Tech-Fans
blue News bietet dir täglich Insights aus der Techwelt: News, Hintergründe, Tipps und Ratschläge für deinen digitalen Alltag sowie Tests und Reviews zu Gadgets, Tools und Games.
Doch für Menschen fehlen bislang Vergleichsdaten. «Viele der notwendigen Technologien sind in einem frühen Stadium», gibt Kendziorra zu. Trotzdem sieht er die Kryonik in einer Reihe mit anderen medizinischen Durchbrüchen wie der Organtransplantation, die einst ebenfalls als undenkbar galt.
Alles nur eine utopische Vision?
Neben den wissenschaftlichen Herausforderungen gibt es ethische Fragen. Wer ist verantwortlich für die Langzeitlagerung und die Wiederbelebung in einer fernen Zukunft? Wie sichern Nachkommen die Aufbewahrung der Körper über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ab? Auch die Kosten werfen Fragen auf. Mit 200'000 Dollar pro Verfahren bleibt die Kryonik für die meisten Menschen unerschwinglich. Viele Kunden finanzieren die Prozedur durch Lebensversicherungen.
Kendziorra und sein Team sind zuversichtlich, dass technologische Fortschritte die Kryonik eines Tages realisierbar machen. Ihr ehrgeiziges Ziel: Bis 2028 möchten sie eine reversible Konservierung entwickeln, bei der die persönliche Identität und Erinnerungen erhalten bleiben.
Für Skeptiker bleibt es jedoch eine utopische Vision. «Ich kann nicht sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass alles klappt,» gibt Kendziorra zu. «Aber die Chance, dass es funktioniert, ist zumindest grösser als bei einer Einäscherung.»