«Swisscom Magazin» Einblick ins Leben einer Schweizer Cosplayerin

Christoph Widmer / Swisscom Magazin

24.1.2019

Ruth schlüpft als Cosplayerin in Kostüme jeder Art.
Ruth schlüpft als Cosplayerin in Kostüme jeder Art.
Bild: Swisscom

Als Cosplayerin schlüpft Ruth ins Kostüm ihrer Lieblingsfiguren aus Games und Filmen wie «League of Legends», «Fluch der Karibik» oder «Star Wars». Dabei beweist sie nicht nur ihr Können als Schneiderin, wie sie im Porträt erzählt.

Wer Ruths Wohnung betritt, taucht in eine andere Welt ein: Schwerter, Säbel und Poster von Videospiel-Charakteren schmücken die Wände, im Wohnzimmer sind «League of Legends»-Actionfiguren ausgestellt. Auf dem Sofa liegen Kissen mit «Game of Thrones»-Bezügen, und eine Schaufensterpuppe trägt die Garderobe von Kylo Ren aus «Star Wars Episode 7: Das Erwachen der Macht». Gerade dieses Kostüm lässt erahnen, welchem Hobby Ruth mit Leidenschaft nachgeht – genauso wie das kleine Nähzimmer, wo sich Stoffe und Schnittmuster türmen und die Arbeitsflächen mit Pinseln, Farben und Klebern übersät sind.



Ruth ist Cosplayerin. Cosplay ist ein Kofferwort aus «Costume» und «Play» und hat – zumindest als grössere Bewegung – seine Wurzeln im Japan der 80er Jahre, als Manga- und Anime-Fans begannen, sich wie ihre Lieblingscharaktere zu verkleiden und ihre Kostüme auf entsprechenden Messen vorzuführen. Mit dem Manga- und Anime-Boom verbreitete sich die Bewegung auch in den USA und Europa. Doch Cosplay beschränkt sich nicht mehr bloss auf japanische Comics und Zeichentrickfilme oder -serien; inzwischen ahmen Fantasy- und Fiction-Fans alle erdenklichen Charaktere nach; etwa Helden aus Literatur, Hollywood-Filmen, Fernsehserien, amerikanischen Cartoons und Comics oder Videospielfiguren.

«Star Wars» machte den Anfang

2016 kam Ruth über «Star Wars» zum Cosplay: «Ich war schon immer ein bisschen ein Nerd – und vor allem grosser «Star Wars»-Fan», sagt Ruth, die während des Gesprächs ein «Star-Wars»-Shirt trägt, mit einem Lachen. «Bei meinem ersten Besuch einer Comic-Convention – der Fantasy Basel – war ich begeistert von all den Kostümen und wollte das unbedingt auch machen. Und es war für mich von Anfang an klar, dass es ein ‹Star Wars›-Kostüm werden soll.» Zu Beginn war Ruth Mitglied eines reinen «Star Wars»-Kostümclubs. Durch die Bekanntschaften, die sie dort machte, kam sie schliesslich zum breiteren Cosplay. Seither schlüpft sie in die unterschiedlichsten Rollen: Eowyn aus «Herr der Ringe» gehören genauso zu ihrem Repertoire wie Ahri oder Gnar aus «League of Legends» oder Wonder Woman.

Für die Wahl ihrer Charaktere und Kostüme nennt Ruth verschiedene Gründe: «Entweder mag ich einfach den Charakter – sei es wegen seines Aussehens, seines Wesens oder seiner Hintergrundgeschichte», erklärt sie. «Bei Videospielen sind es oftmals auch neu veröffentlichte Skins, also Charakter-Outfits, die mich begeistern. Oder ich fertige Kostüme speziell für Gruppencosplays an, für die ich angefragt werde.»

Nachdem die Figur feststeht, beginnt für sie die Suche nach möglichst vielen Referenzbildern – von allen Seiten, um einen möglichst genauen Eindruck vom Kostüm und seinen Details zu erhalten. Um die Kleidungsstücke noch besser zu verstehen, greift Ruth auch gern einmal selbst zu Stift und Papier und fertigt Skizzen der einzelnen Teile an. Danach prüft sie, ob sie die dafür notwendigen Materialien bereits zuhause hat. Dazu zählen nicht nur Stoffe in den entsprechenden Farben; auch Modelliermassen wie Worbla, das sich unter Hitze beliebig formen und zusammenfügen lässt, Holz, Leder oder Schaumstoffe kommen zum Einsatz. Fehlt etwas, dienen Online-Shops, Bastelläden oder Baumärkte als Bezugsquelle.

Ruth in ihrem Nähzimmer bei der Arbeit an einem neuen Kostüm.
Ruth in ihrem Nähzimmer bei der Arbeit an einem neuen Kostüm.
Bild: Swisscom

Spass am Kreativen

Sind alle Materialien vorhanden, beginnt Ruth zu schneidern und zu basteln – ohne spezielle Strategie: «Ich fange einfach mit irgendetwas an», sagt sie, ergänzt aber: «Womöglich beginne ich aber meistens mit dem, was mir am leichtesten fällt.» Wie viel Zeit verstreicht, bis ein Kostüm fertiggestellt ist, hängt von seiner Komplexität ab. Manche Verkleidungen habe sie in zwei Wochen fertiggestellt; an anderen arbeite sie mehrere Monate. «Bei grösseren Projekten kann es schon vorkommen, dass die Motivation manchmal etwas flöten geht,» gibt Ruth zu. «Doch wenn immer ich ein Kostüm fertigstelle, ist meine Begeisterung und Freude riesig.»

Zu Ruths absoluten Lieblingscharakteren gehört Ahri, die neunschwänzige Füchsin aus dem Rollenspiel «League of Legends». «Ich sehe in ihr ein wenig etwas von mir selbst: Auch sie ist auf der Suche nach ihrem Platz im Leben», sagt Ruth. «Sie ist stark, mutig – und ausserdem gefällt mir ihr Aussehen. Es gibt mir immer ein gutes Gefühl, wenn ich mich als Ahri verkleide.» Eines ihrer Ahri-Kostüme führt die begeisterte «League of Legends»-Spielerin für uns vor.

Ahri, die neunschwänzige Füchsin aus dem Computerspiel «League of Legends» ist Vorbild für Ruths Cosplay-Kostüm.
Ahri, die neunschwänzige Füchsin aus dem Computerspiel «League of Legends» ist Vorbild für Ruths Cosplay-Kostüm.
Bild: Swisscom

Selbstbewusst mit und ohne Kostüm

Auch habe Ruth von anderen Leuten gehört, bei denen sich das Verkleiden positiv auf ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstbild ausgewirkt hat. «Ich bin mir nicht sicher, ob Cosplay auch so einen Effekt auf mich hat», zweifelt sie. Als sie aber nach rund einer Stunde Verkleiden und Schminken in voller Montur durch die Wohnung stolziert, scheint die Verwandlung in die Magierin Ahri perfekt. Und beim Einnehmen von Ahri-typischen Posen gibt Ruth dann zu: «Ich würde mir wahrscheinlich blöd vorkommen, mich ohne Kostüm so zu bewegen.»

Selbstbewusst zeigt sich Ruth aber auch, als wir auf die Reaktionen zu sprechen kommen, die ihr Hobby bei ihrem Umfeld auslöst. Da sie erst mit 30 mit Cosplay angefangen hat, seien ihre Kostüme und Verkleidungen bei Freunden und Familie nie gross diskutiert worden. Wenn überhaupt, dann war das Feedback aber stets positiv. «Mein Umfeld bräuchte auch keine Kritik zu äussern», sagt Ruth bestimmt. «Es ist mein Leben. Und wer nichts mit meinem Hobby anfangen kann, hat halt auch nichts mehr dazu zu sagen.»

Dass Cosplay bei Jugendlichen zu hitzigen Diskussionen mit Eltern führen könnte, hält Ruth aber für möglich – vor allem bei jungen Frauen: Manch eine weibliche Figur aus Film oder Videospiel ist sexualisiert und trägt nur knappe Kleidung. «Nun, sex sells – das ist im Cosplay nicht anders», gibt Ruth zu. Vor allem unter den Cosplayerinnen gäbe es solche, die mit aufreizenden Kostümen und Posen mehr Likes auf Social Media zu erhaschen versuchen. Das sei aber nicht Kern der Sache. Wer möchte, dürfe sich so präsentieren. «Grundsätzlich geht es aber darum, sich einfach als Figur zu verkleiden, die man mag.» Und auf die Frage, ob das denn nicht Realitätsflucht sei, entgegnet sie versiert: «Auch wer ein Computerspiel spielt, flüchtet ein wenig von der Realität oder möchte entspannen. Genauso, wer ein Buch liest – oder sich betrinkt. Da ist doch Cosplay mit all seinen kreativen und sozialen Aspekten nicht die schlechteste Wahl.»

Dieser Artikel stammt aus dem «Swisscom Magazin», wo man auch weitere Geschichten rund um das Thema Digitalisierung findet.

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