Spielekritik «The Last of Us Part 2» ist ein postapokalyptisches Meisterwerk

Von Domagoj Belancic

12.6.2020

In der postapokalyptischen Welt kann es auch mal idyllisch sein.
In der postapokalyptischen Welt kann es auch mal idyllisch sein.
Bild: Naughty Dog

Rund sieben Jahre nach der Veröffentlichung von «The Last of Us» setzt Entwickler Naughty Dog mit dem Nachfolger erneut Massstäbe in Sachen Storytelling, Gameplay und Grafik. Die brutale Rachegeschichte bricht mit jeglichen Videospiel-Konventionen und erschüttert den Spieler in seinen Grundfesten.

Dabei beginnt eigentlich alles relativ harmonisch. «Part 2» knüpft storytechnisch dort an, wo der Erstling aufgehört hat. Die beiden Hauptcharaktere Ellie und Joel haben sich nach den Abenteuern des Originalspiels in einer malerischen Siedlung niedergelassen und leben mittlerweile ein normales Leben. Zumindest so normal wie man in der Postapokalypse leben kann.

Die düstere Welt von «The Last of Us» wurde nämlich vor Jahrzehnten von einem tödlichen Pilz-Virus heimgesucht, der menschliche Wirte in blutrünstige, zombieartige Wesen verwandelt.



Noch gefährlicher als die pilzbefallenen Monster sind aber die Menschen, die die Apokalypse überlebt haben. Brutale Räuberbanden, fanatische Sekten und paramilitärische Organisationen kämpfen um die Vorherrschaft im postapokalyptischen Ödland. Die trügerische Sicherheit in der Siedlung währt dementsprechend nicht allzu lange.

Ellie sieht sich mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, das ihre Welt schlagartig auf den Kopf stellt. Getrieben von Wut und Hass, begibt sich der Spieler zusammen mit ihr auf einen rücksichtslosen Rachefeldzug, um die Verantwortlichen für die grauenvolle Tat zur Rechenschaft zu ziehen.

Jenseits von Gut und Böse

Die Story rund um Ellies Vergeltung ist meisterhaft erzählt und lässt den Spieler in die moralischen Grauzonen eines brutalen Kreislaufs der Gewalt eintauchen. Die nicht-lineare Erzählweise mit zahlreichen Rückblenden und Perspektivenwechseln führt dazu, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse allmählich verschwimmen.

Ellies Rachegelüste scheinen vor allem am Anfang des Games moralisch gerechtfertigt zu sein. Auch wenn ihr Handeln von Hass motiviert ist, dient es letztlich dem Ziel, Gerechtigkeit zu schaffen.



Im Verlaufe des Spiels schaukelt sich die Gewalt zwischen den involvierten Parteien jedoch so weit hoch, dass sich sowohl Ellie als auch der Spieler wiederholt die Frage stellen müssen: Ist es das wert?

Auf ihrem blutigen Weg wird Ellie teils von alten Bekannten und teils von neuen Gesichtern begleitet. Die Dialoge zwischen den Charakteren sind dabei stets extrem glaubwürdig geschrieben und verleihen auch Nebendarstellern und «Bösewichten» eine erstaunliche Tiefe, die sowohl in Zwischensequenzen als auch in beiläufigen Konversationen während dem Gameplay offenbart wird.

Die Gegner haben dazugelernt

Gameplaytechnisch erfindet «The Last of Us Part 2» das Rad nicht neu, sondern baut auf dem sehr soliden Fundament des ersten Teils auf.

Einen entscheidenden Schritt vorwärts gibt es bei der künstlichen Intelligenz der Gegner. Die Kampfsituationen fühlen sich aufgrund der schlaueren Feinde teilweise überwältigend an und sorgen für ordentlich Herzrasen – es gibt keine Verschnaufpausen, keine Zeit nachzudenken. Hauptsache überleben.

Das Game ermutigt den Spieler oft, die Kämpfe im Schleichmodus anzugehen und Feinde im Stillen zu überraschen. Leichter gesagt als getan – ein kleiner Fehltritt, ein zu lautes Geräusch und schon wird Ellie von den Gegnermassen überwältigt.

Die Feinde kommunizieren miteinander, suchen die Umgebung systematisch ab, greifen gleichzeitig von allen Seiten an und setzen Spürhunde ein, die Ellies Spur meterweit verfolgen können.

Auch die künstliche Intelligenz der Infizierten hat sich im Vergleich zum ersten Teil merklich verbessert. Je nach Infektionsgrad verhalten sich die Pilzmonster unterschiedlich und können den Spieler sogar im Dunkeln mittels Echoortung ausfindig machen.

Damit Ellie für die zahlreichen Kämpfe gewappnet ist, muss sie die verwinkelten Level in klassischer Survival-Horror-Manier nach seltener Munition, Zutaten für Medipacks, Bomben, Molotov-Cocktails sowie Materialien für Waffenupgrades durchsuchen.

Besonders gründliche Spieler freuen sich zudem über zahlreiche sammelbare Gegenstände und Easter Eggs, die sie bei ihren Plünderungen finden werden.

Wer auf düstere postapokalyptische Settings steht, kommt mit der unbarmherzigen Welt von «The Last of Us» voll auf seine Kosten.
Wer auf düstere postapokalyptische Settings steht, kommt mit der unbarmherzigen Welt von «The Last of Us» voll auf seine Kosten.
Bild: Naughty Dog

Nichts für schwache Nerven

Im Vergleich zum ohnehin schon brutalen Original, werden die Kämpfe im Nachfolger noch gewalttätiger inszeniert.

Gewalt wird aber niemals zum Selbstzweck oder aus Effekthascherei eingesetzt – vielmehr ist es ein effektives Storytelling- und Gameplay-Tool, das den Spieler emotional aufwühlen kann und ihn an der Sinnhaftigkeit des Rachefeldzugs zweifeln lässt.

Wenn Ellie auf dem Schlachtfeld einem Gegner die Kehle durchschneidet und ihn röchelnd im Gras liegen lässt oder einen wehrlosen Feind mit einem Baseballschläger erschlägt, kann man als Spieler kaum hinsehen und geht der nächsten Konfrontation vielleicht sogar ganz aus dem Weg.

Rache um jeden Preis? Die explizite Gewaltdarstellung ist definitiv nichts für schwache Nerven.
Rache um jeden Preis? Die explizite Gewaltdarstellung ist definitiv nichts für schwache Nerven.
Bild: Naughty Dog

Wunderschöne Postapokalypse

Die grafische Präsentation des Games ist allgemein sehr gelungen und sieht sogar auf der mittlerweile veralteten PS4 phänomenal gut aus. Neue Massstäbe setzt das Game vor allem bei den Charaktermodellen und Animationen.

Kein anderes Game vermag es solch realistische und flüssige Bewegungsabläufe in hektischen Kampfsituationen darzustellen. Sowohl Ellie als auch ihre Verbündeten und Gegner weisen ein breites Repertoire an Animationen auf, die unglaublich flüssig ineinander übergehen. Die Qualität der Animationen ist so hoch, dass einige Kampfsituationen aussehen wie vorgerenderte Zwischensequenzen.

Abgerundet wird die grafische Präsentation durch einen prägnanten Soundtrack mit Ohrwurm-Qualitäten.

Sowohl die hektischen Kämpfe als auch ruhigere Momente werden wieder von den unverkennbaren Gitarrenklängen des argentinischen Filmkomponisten Gustavo Santaolalla begleitet, der schon im ersten Teil einen entscheidenden Beitrag zur dichten Atmosphäre des Spiels beigetragen hat.

Zusammen mit dem hervorragenden Sounddesign wird im Game ein bedrückender Klangteppich kreiert, der nicht nur in der Videospielbranche seinesgleichen sucht.

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