Spielekritik «The Surge 2»: der Reiz am digitalen Masochismus

Von Pascal Wengi

2.10.2019

«Surge 2» fordert Spielern einiges ab.
«Surge 2» fordert Spielern einiges ab.
Bild: Focus Home Interactive

Nichts ist so gewiss wie die Veränderung und der Tod. Vor allem Zweiteres ist steter Bestandteil von «The Surge 2». Doch warum tun sich Spieler das an und spielen Games, in welchen sie dutzende Male am selben Gegner scheitern? Eine mögliche Erklärung.

Ein verlassenes Lagerhaus in einer zerstörten postapokalyptischen Welt: Der Klang von sich kreuzenden Klingen unterbricht immer wieder die epische, adrenalinpumpende Musik. Unter Funken und Blitzen schlagen zwei Cyber-Krieger auf sich ein. Jeder Schlag könnte tödlich sein, jeder Fehltritt das Ende bedeuten. Ein epochaler Zweikampf wie aus alten Göttersagen. Krieger gegen Krieger. Held gegen Titan. In diesem Fall tritt unser namenloser Held aber keinem riesigen Fabelwesen aus der Ilias von Homer gegenüber, sondern dem grössten Monster überhaupt: einem Menschen.

Seit einer gefühlten Ewigkeit steht unser Held diesem Bossgegner nun gegenüber, weicht seinen harten Schlägen in letzter Sekunde aus und wartet auf die Möglichkeit zum Konter. Beide landen fatale Treffer, welche den Gegner ins Taumeln bringen. Der Kampf mutiert zum Drahtseilakt, jeder Schritt könnte der letzte sein für beide Kontrahenten. Der Gegner ist einen Schlag vom Ableben entfernt, leider genauso unser Held. Dann ein Fehler und die Möglichkeit zum Angriff. Doch ein schwerer Schlag trifft uns wie ein Donnergrollen und setzt den Lebensbalken auf Null. Ich lege meinen Controller erschöpft hin. Der Boss hat mich zum zehnten Mal erwischt. Also wieder am Checkpoint starten und auf in den Versuch Nummer Elf.

Was versteht man unter «Souls-like»?

So oder ähnlich spielen sich fast alle Bosskämpfe in «Souls-like»-Spielen ab. Als «Souls-like» bezeichnet man Titel, welche in ihrem Aufbau stark am Genre-König «Dark Souls» angelehnt sind. Konkret sind das der fordernde aber faire Schwierigkeitsgrad, der Verlust von Währung oder Erfahrungspunkten beim Sterben und die Verwendung von Checkpoints in Form von Leuchtfeuern, Medizinstationen oder Schreinen.

Die bekanntesten Vertreter solcher Spiele sind neben «Dark Souls» auch «Bloodbourne», «Sekiro», «Nioh» oder eben «The Surge». Fast alle Titel haben eines gemeinsam: der Tod kommt schnell und oft. Denn die eigene Spielfigur hält nur wenige Treffer aus, Heilgegenstände sind stark begrenzt und selbst Standardgegner können den sicheren Tod bedeuten. All zu oft sieht man den ominösen schwarzen Bildschirm mit den roten Buchstaben: «Sie sind tot».

Üben, üben, üben

Doch was macht den Reiz solcher Spiele aus, dass sie sich einer so grossen Beliebtheit erfreuen? Was bringt Millionen Spieler dazu, sich freiwillig immer und immer am gleichen Gegner die Zähne auszubeissen? Normalerweise setzen Gameentwickler alles daran, dass ihre Spiele einem möglichst breiten Publikum zugänglich sind und sorgen für wählbare Schwierigkeitsgrade oder stellen dem Spieler andere Hilfsmittel zur Verfügung, um das Frustrationspotenzial möglichst gering zu halten. Nicht so bei «The Surge 2» & Co.



Hier wird alles daran gesetzt, den Spieler möglichst bald mit einem Game-Over-Screen zu konfrontieren. Manchmal mit fast schon sadistischen Fallen oder Hinterhalten («Mimik-Truhen» aus Dark Souls). Die Spiele verfolgen eine strikte Politik, was leichte oder anfängerfreundliche Modi betrifft: Gibt’s hier nicht! Streng nach dem Motto «Friss oder stirb». Sucht man online in der Community nach Hilfe, stösst man schnell auf den einen Satz, der alles mit wenigen Worten zusammenfasst: «Git gud!», also «Werde besser!». Dies bedeutet, dass es in diesen Spielen keinen anderen Weg gibt, als die Grundmechaniken zu trainieren und zu perfektionieren.

Das Gefühl des Triumphs

Genau das macht mitunter den Reiz dieser Spiele aus. Bei meinem Durchspielen von «The Surge 2» habe ich anfangs sogar bei den ersten und vermeintlich noch einfachen Gegnern immer und immer wieder das Zeitliche gesegnet. Mir fehlte es an Timing, Verständnis für die Angriffe und grundlegenden Spielmechaniken wie das Parieren in vier Richtungen. Ich habe mich so schleppend durch die Level gestorben, die meisten Gegner mit eher unkonventionellen Mitteln bekämpft oder habe den taktischen Rückzug einberufen.



Spätestens bei einem Bosskampf zwang mich das Spiel aber dazu, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Ich war weit entfernt von «Git gud». Ich habe bis dahin das Spiel und vor allem mich selbst «betrogen». «The Surge 2» zwang mich zu reflektieren und zu erkennen, dass ich das Spiel noch nicht beherrschte. Also übte ich. Tod um Tod. Immer wieder rannte ich vom Checkpoint zum Boss, nur um kurze Zeit später wieder am Checkpoint zu starten. Doch es stellten sich erste Erfolge ein. Plötzlich konnte ich gewisse Angriffsmuster des Bosses erkennen und las seine Attacken wie Seiten in einem Buch. Auf einmal wich ich Schlägen aus, welche mich vorher noch das Leben gekostet hatten und setzte dem Gegner mit Konterangriffen zu. Als ich dann den Boss endlich besiegte, hatte ich sogar das Gefühl, dass der Kampf gar nicht so schwer war. 

Das Spiel hat mich gefordert und weiter gebracht. Durch die Tode war ich gezwungen, mein Scheitern zu analysieren und daraus zu lernen. So frustrierend das Scheitern auch sein mag, umso grösser fühlt sich der Triumph an, nicht nur am Spiel, sondern auch an sich selber gewachsen zu sein. Und genau da liegt die Antwort, was solche Spiele so besonders macht. Es ist diese stete Anspannung zwischen Niederlage und Sieg. Die Hochs und Tiefs. Das Gefühl, dass der Triumph verdient war und man hart dafür gearbeitet hat, ohne dass das Spiel einem unter die Arme griff. Bis ich dann erneut zehnmal am selben Gegner scheitere und das Spiel für seine Unfairness verfluche.

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