Spielekritik «Watch Dogs: Legion» hackt sich in alle Fernweh-Herzen

Von Martin Abgottspon

28.10.2020

London in seiner ganzen Pracht: «Watch Dogs: Legion» hat sich bei der Gestaltung der Open World wirklich viel Mühe gegeben.
London in seiner ganzen Pracht: «Watch Dogs: Legion» hat sich bei der Gestaltung der Open World wirklich viel Mühe gegeben.
Ubisoft

Es ist ein schmutziges und korruptes London, das man in «Watch Dogs: Legion» antrifft. Aber es ist London. Und gerade im Coronajahr bei Weitem die beste Gelegenheit, der Weltmetropole mal wieder einen Besuch abzustatten.

Angespannt steuere ich meinen Spionage-Krabbler durch die Strassentrümmer eines Anschlags. Während ich damit an nicht mehr zugängliche Orte komme und weitere Hinweise auf den Terror-Akt erhalte, könnte mich jederzeit einer der Wachen aufspüren. Dann wär der blitzschnelle Einsatz meiner Nagelpistole wohl die einzige Option, um mich aus der misslichen Lage noch zu befreien: Willkommen im düsteren London der nahen Zukunft. 



Während die ersten beiden Teile der «Watch Dogs»-Serie noch in den USA, genauer in Chicago und San Francisco spielten, hat sich die terroristische Hintergrundbewegung nun in die europäische Weltmetropole verschoben. Soziale Unruhen sind an der Tagesordnung und werden von der privaten Sicherheitsfirma Albion unterdrückt. Dadurch gewinnt Albion immer mehr Macht, die sie gezielt für ihre eigenen Machenschaften einsetzen.

Mehr als neun Millionen spielbare Charaktere

Die Widerstandsbewegung ist bereits im Gang und hier kommen wir als Freiheitskämpfer ins Spiel. Dass sich «Watch Dogs: Legion» aber bei Weitem nicht nur um den anfänglich erstellten Charakter dreht, wird ziemlich schnell klar. Denn eines der coolsten Features, die das Spiel eingebaut hat, ist die Rekrutierung jedes erdenklichen Bewohners London. Vom Militaristen, über die Bingo spielende Oma bis hin zum erfolgreichen Manager lassen sich gemäss den Entwicklern über neun Millionen Charaktere für die Widerstandsbewegung von DedSec gewinnen.

Dabei bringen die Leute alle ihre individuellen Fähigkeiten mit, die bei der einen oder anderen Mission durchaus ihre Vorteile haben können. Warum soll man sich beispielsweise für einen Server-Diebstahl durch ein ganzes Hochhaus mit Wachen prügeln und schiessen, wenn man stattdessen mit dem angeheuerten Bauarbeiter und seiner Transportdrohne einfach direkt aufs Dach fliegen kann?

Für jeden die Herausforderung, die er sich wünscht

Natürlich lässt sich meist alles irgendwie mit Gewalt lösen. Vor allem, wenn man auch über starke Waffen und das nötige Zielgeschick verfügt. Doch wer in «Watch Dogs: Legion» wirklich eine Herausforderung sucht, wird diese auch bekommen. Im schwierigeren Modus kehren tote Mitstreiter beispielsweise auch nicht einfach ins Leben zurück.



Bei den erschwerten Bedingungen gewinnen auch die Technikpunkte, die man mit der Zeit sammelt, an Bedeutung. Mit diesen lassen sich nämlich verschiedene Gadgets oder Fähigkeiten freischalten, die einem das Hacker-Leben ein bisschen einfacher machen. Wer sich beispielsweise für kurze Zeit unsichtbar machen kann oder Leichen in digitalen Särgen «wegzaubert», hat an vielen Stellen eine wesentlich einfachere Zeit.

Im Kern des Spiels und dem Missionsdesign sind sich die Entwickler aber auch zu grossen Teilen treu geblieben. So werden wir immer wieder damit beauftragt, irgendwelche Daten zu stehlen, Einrichtungen zu sabottieren und natürlich alle möglichen Geräte zu hacken. An gewissen Stellen kommt hier auch eine gewisse Monotonie auf. Jeder, der sich zum zehnten Mal durch eine Reihe von Sicherheitskameras gehackt hat, um dann einen Zugangskey runterzuladen, wird zur gleichen Ansicht kommen.

Drohnen findet man in «Watch Dogs: Legion» einfach überall.
Drohnen findet man in «Watch Dogs: Legion» einfach überall.
Ubisoft

Keine Zeit für Sightseeing

Glücklicherweise wird diese drohende Einseitigkeit aber immer wieder durch die spektakuläre offene Welt Londons unterbrochen. Mit Ausnahme des «Flugsimulators 2020» wurde die reale Welt wohl noch nie so detailgetreu in einem Videospiel abgebildet.

In Momenten, wo man die Tower Bridge überquert und einen wunderschönen Blick auf die Themse bekommt oder von einer Bank im Hyde Park die Aussicht auf den Buckingham Palace geniesst, muss man sich auch ab und zu in Erinnerung rufen, dass man gerade nicht als Tourist, sondern als Agent unterwegs ist und es doch noch einiges zu tun gäbe.

Auch wenn das ganze Setting in der nahen Zukunft spielt, hat man es mit futuristischen Gimmicks zum Glück nicht übertrieben. Die überall schwebenden Drohnen sind zwar zum Teil etwas nervig, aber durchaus plausibel für eine Zukunftsversion unter den gegebenen Umständen.

Die KI hinkt etwas hinterher

Leider gibt es dann aber doch noch zwei bis drei Aspekte des Spiels, die man auch etwas bemängeln muss. Zum einen wäre das die Intelligenz der Gegner, die sich häufig doch sehr fragwürdig verhalten. So konnte ich mich nach einer heissen Verfolgungsjagd etwa mit Erfolg in einem Hinterzimmer verstecken und jeden der rund 12 Wachmänner niedertasern, nachdem sie alle einzeln das Zimmer betreten haben.

Die Steuerung am PC hat sich für mich zudem nicht immer so flüssig angefühlt. An einigen Stellen hatte ich den Eindruck, dass es zu einem minimer Input-Verzögerung kam, was aber auch an der Portierung liegen könnte und vor allem PC-Spielern wie mir überhaupt erst auffällt.

Alles in allem ist «Watch Dogs: Legion» aber wirklich ein gelungenes Abenteuer in einem stimmungsvollen London, das dem einen oder anderen Gamer die Wartezeit auf «Assassin's Creed Valhalla» oder «Cyberpunk 2077» für die nächsten Wochen angenehm versüssen dürfte.

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