Schmaler Grat im Combs-ProzessEs ist abstossend – aber ist «P. Diddy» auch schuldig?
dpa/toko
18.5.2025 - 22:12
Selbst seine Anwälte sprechen von «einem sehr fehlerbehafteten Menschen»: Sean Combs alias «P. Diddy»
Mark Von Holden/Invision via AP/dpa (Archivbild)
Niemand, nicht einmal die Verteidigung, bestreitet erschütterndes Fehlverhalten von Sean «Diddy» Combs. Doch ob der weltbekannte Rapper schuldig ist, hängt von etwas Anderem ab.
dpa/toko
18.05.2025, 22:12
18.05.2025, 22:26
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Gegen den US-Rapper Sean «Diddy» Combs läuft derzeit ein vielbeachteter Prozess.
Combs, der seit September in U-Haft sitzt, weist die Vorwürfe von Sexhandel und organisierter Kriminalität zurück.
Die Schlüsselzeugin, Combs' Ex-Freundin Cassie Ventura, schilderte, wie der heute 55-Jährige sie zu Sex mit fremden Männern gezwungen und sie mit dem Material erpresst habe.
Insbesondere beim Vorwurf der organisierten Kriminalität wird die Staatsanwaltschaft es schwer haben. Sie muss die Juroren überzeugen, dass der Angeklagte seine Handlungen zusammen mit einem Netz Eingeweihter betrieben hat.
Aufnahmen von Fotos und Videos sind genauso wenig erlaubt wie Audiomitschnitte – und trotzdem dominiert der Prozess gegen den weltbekannten US-Rapper nicht nur die amerikanischen Medien wie zuletzt nur das Verfahren gegen Donald Trump.
Mehr als fünf Jahre nach dem ersten Schuldspruch gegen Ex-Filmmogul Harvey Weinstein geht es erneut um männlichen Machtmissbrauch. Doch obwohl das Verhalten Combs' fast durchweg als skandalös gilt, dürfte die Staatsanwaltschaft in New York viel Arbeit vor sich haben, um die Geschworenen von den angeklagten Verbrechen zu überzeugen.
Das ist der Zwischenstand nach der ersten Prozesswoche:
1. Was bisher geschah
Der Prozess ist wegen zahlreicher schlüpfriger Aspekte ein Clickbait- und Boulevard-Fest. Die Berichterstattung ging zuletzt bis ins letzte Detail der Aussage von Schlüsselzeugin Cassie Ventura, die schwere Vorwürfe erhebt. Combs' Ex-Freundin schilderte, wie der heute 55-Jährige sie zu Sex mit fremden Männern gezwungen habe, diese Orgien auch unter Drogeneinfluss stattgefunden hätten, Combs sie dabei gefilmt und mit dem Material erpresst habe. Auch von wiederholter körperlicher Gewalt war die Rede.
Die Verteidigung versuchte, Ventura mit alten, teils intimen Textnachrichten als einvernehmliche Teilnehmerin der Akte darzustellen. Combs, der seit September in U-Haft sitzt, weist die Vorwürfe von Sexhandel und organisierter Kriminalität zurück. Im Fall einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft. Der Prozess ist auf etwa acht Wochen angesetzt.
2. Einvernehmlich oder erzwungen?
Die zentrale Frage ist nicht, ob Combs sich redlich verhalten hat – auch seine Anwälte sprechen von «einem sehr fehlerbehafteten Menschen» und räumen (nicht explizit angeklagte) häusliche Gewalt ihres Mandanten ein. Es geht vielmehr darum, inwieweit die Handlungen darüber hinaus die Schwelle zur Tat überschritten.
Wann wird aus einem Wunsch Druck – und aus Druck schliesslich Zwang? Ventura beschrieb Manipulation, Gewalt und Kontrolle durch Combs. Die Verteidigung hingegen Einvernehmen und einen gemeinsamen «Swinger Lifestyle».
Es stehen sich also zwei Narrative gegenüber: Combs Anwälte zeichnen das Bild einer zutiefst toxischen Beziehung, in der Ventura aber durchaus Handlungsmöglichkeiten gehabt hätte – und wenn es das Schlussmachen gewesen wäre.
Die Anklage jedoch dürfte argumentieren, dass Combs' Verhalten, jeden Aspekt von Venturas Leben zu kontrollieren – von ihrer Frisur und Kleidung bis hin zu ihren persönlichen Beziehungen und ihrer Karriere als Sängerin – zusammen mit seiner gewalttätigen Natur ein Umfeld psychischen Zwangs und Nötigung geschaffen habe. Ein mittlerweile weltbekanntes Video, in dem Combs auf Ventura einprügelnd zu sehen ist, dürfte diesen Eindruck unterstreichen.
3. «Organisierte Kriminalität»? Anklage muss Vorwurf belegen
Damit verbunden ist ein Anklagepunkt, der ursprünglich für Bandenkriminalität wie jene der Mafia geschaffen wurde: Die Verschwörung zur organisierten Kriminalität. Dieser Vorwurf wurde schon bei dem Prozess gegen Sänger R. Kelly erfolgreich eingesetzt, um eine systematische Struktur von sexuellem Missbrauch offenzulegen.
Dieser Anklagepunkt gegen Combs wiegt schwer – doch die Staatsanwaltschaft muss die Juroren überzeugen, dass der Angeklagte seine Handlungen zusammen mit einem Netz Eingeweihter betrieben hat. Und zwar mit dem Wissen aller Beteiligten, dass das Verhalten strafbar ist.
Bei den Zeugenvernehmungen in den kommenden Wochen von ehemaligen Mitarbeitern oder Partnern von Combs wird es deshalb darauf ankommen, ob es Anhaltspunkte für systematisches Verhalten gibt. Falls nicht, könnten die Geschworenen zu dem Schluss kommen, Combs' Mitarbeiter mit Wissen über die Orgien hätten einfach weggeschaut – ohne kriminelle Absicht.
4. Tritt Combs selbst in den Zeugenstand?
Es ist eine der grössten offenen Fragen in dem Prozess: Wird der Beschuldigte selbst aussagen?
Dafür spricht: Eine Aussage könnte Combs die Möglichkeit geben, seine Sicht der Dinge direkt zu schildern und die Vorwürfe glaubhaft zu entkräften. Er könnte versuchen, die Jury auf persönlicher Ebene zu erreichen und so Einfluss auf das Urteil zu nehmen.
Dagegen spricht: Eine Aussage birgt erhebliche Risiken. Die Staatsanwaltschaft könnte Combs im Kreuzverhör in die Zange nehmen, sodass er sich weiter belastet. Der Grammy-Gewinner wäre nicht der erste Angeklagte, der seine Verteidigung durch unbedachte Aussagen schwächt.
Neue Anklagepunkte gegen Sean «P. Diddy» Combs
Vor einem Bundesgericht in New York wurden am Montag sechs weitere Zivilklagen eingereicht, darunter auch von einem Mann, der dem US-Rapper vorwirft, ihn 1998 als Minderjährigen auf einer Party in den Hamptons sexuell missbraucht zu haben.