Stargeigerin tritt in Zürich aufAnne-Sophie Mutter über Roger Federer: «Da gibt es viele Parallelen»
Carlotta Henggeler
15.10.2025
«Die Schweiz ist meine kulturelle Heimat»: Stargeigerin Anne-Sophie Mutter.
Julia Wesely / DG
Mit frisch justierter Geige und grosser Leidenschaft kehrt Anne-Sophie Mutter in die Tonhalle Zürich zurück. Im Gespräch mit blue News spricht die Stargeigerin über ihre Parallelen zu Roger Federer, die verbindende Kraft der Musik – und über die Schweiz als ihre kulturelle Heimat.
Anne-Sophie Mutter (Violine), Yefim Bronfman (Klavier) und Pablo Ferrández (Violoncello) treten am 17. Oktober 2025 in der Tonhalle Zürich auf. Auf dem Programm stehen Beethovens Klaviertrio Nr. 7 B-Dur op. 97 «Erzherzogtrio» und Tschaikowskys Klaviertrio a-Moll op. 50. Weiter Informationen findest du hier.
Die Stargeigerin sieht in Musik einen Raum für Begegnung, Versöhnung und kulturelle Erinnerung – gerade in krisenhaften Zeiten.
«Musik ist ein Raum, in dem wir als Zuhörerinnen und Zuhörer für einen Moment emotional durchlässiger werden – offener, empfänglicher», sagt Anne-Sophie Mutter.
Frau Mutter, Spitzensportler lassen sich oft Körperteile versichern. Gibt es so etwas auch in Ihrer Branche – Künstlerinnen, die etwa ihre Hände oder Arme versichern lassen?
Anne-Sophie Mutter: (lacht) Gute Frage! Vielleicht einen Arm?
Haben Sie Ihre Arme versichert?
Nein, ich habe gar nichts versichert.
Ihre Arme und Hände sind Ihr wertvollstes Gut. Kann man das überhaupt versichern?
Ich glaube schon. Aber für mich war das nie notwendig. Ich sehe das schicksalshaft. Wenn es mich irgendwann treffen sollte, dann blicke ich auf fast 50 Jahre Konzerttätigkeit zurück – und freue mich darüber. Hoffen wir einfach, dass ich noch lange fit und gesund auf der Bühne der Tonhalle stehe.
Und Ihre Lieblingsgeige – ist sie versichert?
Die schon, gegen alles Mögliche. Der geht’s blendend! Sie war gerade beim Geigenbauer, der den Klang neu eingestellt hat – jetzt ist sie wieder ready to fly, ready to take off.
Das trifft sich ja gut. Sie treten diese Woche gemeinsam mit Yefim Bronfman und Pablo Ferrández in der Zürcher Tonhalle auf. Was bedeutet Ihnen dieses Zusammenspiel von Beethoven und Tschaikowsky?
Diese beiden Werke sind tatsächlich die Krone des Repertoires. Das Beethoven-Trio, das er seinem Gönner Erzherzog Rudolf gewidmet hat, ist ein besonders persönliches Werk. Es zeigt Beethoven von einer ungewohnt zarten und liebevollen Seite – kontemplativ, lyrisch und voller Wärme. Man begegnet hier nicht dem kämpferischen Weltverbesserer, sondern dem empfindsamen Freund.
Auch Tschaikowskys Trio ist zutiefst biografisch. Es entstand nach dem Tod seines Mentors Anton Rubinstein – ein furioses, fast 50-minütiges Tripelkonzert, das alles vereint, was man aus Tschaikowskys grossen Werken kennt. Und am Ende wird es still, fast wie ein musikalischer Abschied – melancholisch, berührend und voller Tiefe.
Was wünschen Sie sich, dass das Publikum nach dem Konzert mit nach Hause nimmt?
Musik erreicht uns alle – unabhängig von Herkunft oder Zeit. In ihrer Vielfalt und Tiefe spiegelt sie die Menschheit wider. Unsere Sorgen, Ängste, Wünsche und Träume sind seit Jahrtausenden dieselben – und Musik erinnert uns daran, dass wir mehr gemeinsam haben, als uns trennt.
Beethoven steht für mich exemplarisch für Versöhnung – gerade jetzt, wo wir hoffen, dass alle Geiseln in Israel und Gaza freikommen und sich vielleicht ein Weg zum Frieden auftut. Musik kann ein solcher Raum der Begegnung sein, in dem Menschen Erinnerungen teilen und neue schaffen.
Ich denke da an David Oistrachs Konzert in Basel oder meine Uraufführung mit Paul Sacher 1986 in der Tonhalle – Momente, die bleiben. Musik verbindet, sie schafft kulturelle Erinnerung – und trägt so zum Frieden und zum Zusammenhalt einer Gesellschaft bei.
Sie waren ein Jungtalent. Unter ihren ersten Fördererinnen war die Schweizerin Aida Stucki. Kann man sagen, Sie verdanken Ihre Karriere – ein Stück weit – der Schweiz?
Das Wort Karriere finde ich schwierig – in einem Beruf, der so unvorhersehbar ist. Ich hatte einfach das grosse Glück, meine Leidenschaft zu meiner Lebensaufgabe machen zu dürfen. Das verdanke ich Aida Stucki, die mich mit zehn Jahren in ihre Meisterklasse in Winterthur aufnahm.
Die Schweiz ist meine kulturelle Heimat. Ich habe hier grosse Teile meiner Jugend verbracht – eine prägende Zeit, nicht zuletzt durch Aida Stucki.
Später begegnete ich Paul Sacher, der meine Neugier für zeitgenössische Musik und bildende Kunst weckte. In seinem Haus hingen Werke von Picasso, Klee und Miró – dort habe ich verstanden, wie wichtig der Dialog zwischen den Künsten ist.
Sie haben einmal gesagt, Musik sei ein Raum der Begegnung. Auch eine Brücke zum Frieden?
Musik ist ein Raum, in dem wir als Zuhörerinnen und Zuhörer für einen Moment emotional durchlässiger werden – offener, empfänglicher. Das spüre ich besonders bei Benefizkonzerten.
Wir planen gerade ein Konzert im Juni zugunsten der Welthungerhilfe in Hamburg. Solche Anlässe liebe ich: Wenn Menschen aus völlig unterschiedlichen Lebensbereichen zusammenkommen, um sich mit Leidenschaft für eine gute Sache einzusetzen – das ist zutiefst berührend.
Für diesen Moment werden wir alle etwas offener füreinander – und vielleicht auch mutiger, hinzuschauen, wo wir sonst lieber wegsehen.
Sie sind ein grosser Roger-Federer-Fan. Sehen Sie Parallelen zwischen ihm und sich selbst?
Da gibt es viele. Federer ist als Einzelsportler jemand, der mit sich selbst im Reinen sein muss – mit seinen Erinnerungen, Ängsten und seiner Tagesform. Sein Beruf verlangt enorme Disziplin, weil er nicht im Team getragen wird, sondern sich selbst tragen muss – in einer Balance zwischen Selbstkritik und Verständnis.
Auch der Beruf einer Musikerin ist zutiefst athletisch. Die Art, wie Federer gespielt hat, war etwas sehr Künstlerisches – kreativ, risikofreudig, voller Spielfreude. Das habe ich immer an ihm bewundert. Trotz seiner Disziplin hat er sich diese Freude am Moment bewahrt – und die grosse Emotionalität, mit der er unter höchster Fairness gewann.
Ich finde es auch bemerkenswert, dass er seine Emotionen zeigte, wenn er einmal nicht gewonnen hat. Das braucht Mut – und es lässt einen wachsen. Scheitern ist kein Ende, sondern ein Schritt im Lernprozess. Man kann nur aus dem lernen, was man noch nicht erreicht hat – als Mensch wie auch im Beruf.
Und vielleicht wird man dadurch ein besserer Mensch – verständnisvoller, zurückhaltender. Die Kunst des Zuhörens ist in der Musik ohnehin etwas ganz besonders Wichtiges.
Üben Sie auch so viele Stunden an der Geige – ähnlich, wie Federer einst stundenlang mit dem Racket trainierte?
Absolut. Federer hat nicht nur Tennis gespielt – er hat viele andere Sportarten integriert, andere Bewegungsmuster trainiert. Und so ist es bei uns Musikerinnen und Musikern auch: Wir üben ja nicht nur am Instrument.
Dazu kommt das Thema Mental Health. Da haben Sportlerinnen und Sportler im Gegensatz zu Musikern oft Expertinnen und Experten an ihrer Seite, die ihnen helfen. In performanceorientierten Berufen – wie dem des Musikers – gibt es da leider noch zu wenig Unterstützung. Viele junge Menschen verzweifeln an dieser Drucksituation.
Das Üben an der Geige ist letztlich nur ein kleiner Teil dessen, was sonst noch trainiert werden muss – körperlich, mental und emotional. All das gehört dazu, um auf der Bühne wirklich präsent und konzentriert sein zu können. Das eigentliche Training am und mit dem Instrument macht da oft nur einen vergleichsweise kleinen Teil aus.
Neben Ihrer beeindruckenden Karriere auf den grossen Bühnen dieser Welt engagieren Sie sich seit vielen Jahren auch mit einer eigenen Stiftung. Was bedeutet Ihnen dieses Engagement?
Sehr viel. Meine Stiftung begleitet mich nun seit drei Jahrzehnten – sie fördert junge Streicherinnen und Streicher auf der ganzen Welt. Diese Arbeit nimmt viel Zeit in Anspruch, doch sie ist mir eine Herzensangelegenheit und wesentlicher Teil meines Lebens. Viele der jungen Musikerinnen und Musiker sind mir über die Jahre sehr ans Herz gewachsen. Das Verhältnis ist fast familiär. Ich begleite sie auf ihrem Weg, sehe, wie sie wachsen, wie sie sich entwickeln – das ist unglaublich bereichernd.
Das Leben eines Künstlers – ähnlich wie das eines Sportlers – ist ohnehin vielschichtig. Was das Publikum am Abend auf der Bühne erlebt, ist nur ein winziger Ausschnitt eines viel grösseren Universums.
In der Klassik hört man seltener von abgesagten Tourneen als in der Popwelt. Auch in der Welt der klassischen Musik ein Problem?
Auch bei uns gibt es solche Fälle – manchmal wegen Krankheit, manchmal wegen Erschöpfung. Künstler sind nun mal fragile Individuen. Auch Martha Argerich hat immer wieder Phasen gehabt, in denen sie keine Konzerte gegeben hat. Das gehört einfach dazu.
Mir fällt nicht auf, dass das häufiger wird. Am Ende ist vieles auch Glück – wie im Sport. Es gibt fantastische Talente, und dann passiert etwas, das alles verändert. Juan Martín del Potro etwa hatte eine schwere Handgelenkverletzung und kam nie wieder richtig auf die Beine. Das ist Pech.
Mentale Gesundheit ist ein grosses Thema. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe mich schon früh damit beschäftigt. Als Teenager begann ich zu meditieren – inspiriert von Musikern wie Yehudi Menuhin oder Herbert von Karajan. Später habe ich verstanden, wie wichtig das Thema ist. Mental Health ist etwas, worüber man sprechen sollte. Und wenn man Hilfe braucht, sollte man sie sich holen – das tue ich auch, wenn nötig.
Ihr Kollege David Garrett ist bekannt für seine Crossover-Projekte. Was halten Sie davon?
Der Garten der Musik ist sehr gross – das soll jeder so halten, wie ihn seine Leidenschaft treibt. Es gibt Publikum für Schnittke und Widmann genauso wie für Filmmusik von Hans Zimmer.
Gibt es ein Ritual, wenn Sie in Zürich auftreten?
Ja, ich gehe sofort zu Sprüngli – und bestelle die Truffes du Jour.
Sie haben mit vielen grossen Dirigenten gearbeitet – Herbert von Karajan war einer davon. Gibt es noch Träume, die Sie sich erfüllen möchten?
Ich bin eine passionierte Träumerin – und viele meiner Träume sind tatsächlich wahr geworden. Die Zusammenarbeit mit John Williams war ein solcher Traum. Der grosse Meister hat mir sogar einen Walzer geschrieben, der am 25. Oktober bei der Strauss-Gala in Wien uraufgeführt wird.
Aber es gibt immer neue Träume: Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit iranischen Komponistinnen. Ein fabelhaftes Werk, das mir gewidmet ist «Likoo», eine Art Trauergesang, von Aftab Darvishi, habe ich vor kurzem aufgenommen. Und ich warte gespannt auf die Vollendung einer Partitur eines Tripelkonzerts von Golfam Khayam, das ich mit zweien meiner Stipendiaten mit iranischen Wurzeln uraufführen werde. Ich habe das Glück, dass viele meiner Träume wahr geworden sind.
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