Reisewarnung und Boykottaufrufe Nahost-Konflikt überschattet ESC – Nemo fordert Ausschluss Israels

Jenny Keller

9.5.2025

Die israelische Teilnehmerin Eden Golan (2.v.r.) belegte letztes Jahr den 5. Platz am ESC.
Die israelische Teilnehmerin Eden Golan (2.v.r.) belegte letztes Jahr den 5. Platz am ESC.
Jens Büttner/dpa

Reisewarnungen, Boykottaufrufe, Sponsoring-Debatte: Der Eurovision Song Contest gerät ins Spannungsfeld der Nahost-Kontroverse. Aktivistengruppen rufen zu Protesten auf, die israelische Regierung warnt vor möglichen Gefahren in Basel.

Jenny Keller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Obwohl als unpolitischer Musikwettbewerb gedacht, steht der ESC 2025 erneut im Zeichen internationaler Konflikte.
  • Israels ESC-Kandidatin Yuval Raphael überlebte das Nova-Festival-Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023.
  • Das Land steht wegen des Gaza-Kriegs international in der Kritik, unter anderem wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen und Völkermordvorwürfen.
  • Russland wurde 2022 wegen des Angriffs auf die Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen.
  • Die Europäische Rundfunkunion verteidigt Israels Teilnahme mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit des israelischen Senders Kan. 
  • Hauptsponsor des ESC ist das israelische Kosmetikunternehmen Moroccanoil. Die EBU betont, Sponsoren hätten keinen Einfluss auf die Auswahl der teilnehmenden Länder.

Der Eurovision Song Contest (ESC) 2025 steht unter erheblichem politischem Druck. Insbesondere die Teilnahme Israels sorgt dieses Jahr für Kontroversen. Während die Veranstalter den Wettbewerb als unpolitisches Musikfest positionieren, werfen Kritiker*innen der Europäischen Rundfunkunion (EBU) Doppelmoral vor.

Die israelische Sängerin Yuval Raphael vertritt Israel beim ESC 2025 mit dem Lied «New Day Will Rise». Sie überlebte den Angriff der Hamas auf das Nova-Festival am 7. Oktober 2023, bei dem insgesamt rund 1200 Menschen in Israel getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilist*innen. Raphael versteckte sich acht Stunden lang unter Leichen, um zu überleben.

Ihre Teilnahme am ESC gilt vielen als politisches Zeichen. Erste Probenbilder aus Basel zeigen sie auf einer Treppe mit Balkon – ein symbolischer Verweis auf Theodor Herzl, der 1901 beim Fünften Zionistenkongress in Basel auf einem Balkon fotografiert wurde.

Teilnahme trotz Vorwürfen

Eurovision Song Contest

Nemo bringt mit dem Sieg am ESC in Malmö den Eurovision Song Contest 2025 in die Schweiz.

Nemos Song «The Code» erfreute sich schon im Vorfeld grosser Beliebtheit.
Jens Büttner/dpa

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Israel bleibt trotz schwerer Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg teilnahmeberechtigt beim grössten Musikwettbewerb der Welt, der jährlich zwischen 160 und 200 Millionen Zuschauer*innen erreicht.

Nach dem Überfall der Hamas im Oktober 2023 wurden laut palästinensischen Angaben über 52'000 Menschen in Gaza durch israelische Angriffe getötet. Der Internationale Gerichtshof prüft Völkermordvorwürfe, der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Premier Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Israel hat solche Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen.

Trotz dieser internationalen Kritik hält die EBU an Israels Teilnahme fest. Sie betont, der ESC sei ein unpolitisches Musikereignis, und verweist darauf, dass Israel durch seinen öffentlich-rechtlichen Sender Kan vertreten werde, nicht durch die Regierung.

Russische Sender wegen Propaganda ausgeschlossen

Anders argumentierte die EBU im Fall Russlands: Nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 wurde das Land vom Wettbewerb ausgeschlossen. Begründet wurde der Schritt mit dem Schutz der Integrität und des Rufs des ESC.

Zudem warfen EBU-Mitglieder den russischen Sendern vor, als Sprachrohre des Kremls Propaganda zu verbreiten und drohten mit einem Rückzug vom Wettbewerb, sollte Russland nicht ausgeschlossen werden, was letztlich zur Suspendierung ihrer Mitgliedschaft führte.

Diese Unterscheidung überzeugt jedoch nicht alle. In Basel tauchten vergangene Woche Kreidezeichnungen mit Slogans wie «Wenn Russland, dann auch Israel» auf. Die Kritik der Aktivist*innen: Wer Russland wegen eines völkerrechtswidrigen Kriegs ausschliesst, könne Israel angesichts der Lage in Gaza auch nicht teilnehmen lassen.

Ehemalige ESC-Teilnehmer*innen fordern Ausschluss

Über 70 ehemalige ESC-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer fordern in einem offenen Brief den Ausschluss Israels und des öffentlich-rechtlichen Senders Kan, da dieser die Militäraktionen unterstütze, und somit gegen die Werte des Wettbewerbs verstosse.

Nemo gewann letztes Jahr den ESC für die Schweiz und sprach sich gegenüber der Huffington Post UK für einen Ausschluss Israels aus. «Die Handlungen Israels stehen grundlegend im Widerspruch zu den Werten, die der Eurovision Song Contest zu vertreten vorgibt – Frieden, Einheit und Achtung der Menschenrechte.»

Bereits 2024 hingen in der schwedischen Stadt Malmö Poster, die sich gegen Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest richteten. Anstelle von «Eurovision» stand das Wort «Genozid» und: «Israel raus aus dem Eurovision – oder Eurovision raus aus Malmö.»
Bereits 2024 hingen in der schwedischen Stadt Malmö Poster, die sich gegen Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest richteten. Anstelle von «Eurovision» stand das Wort «Genozid» und: «Israel raus aus dem Eurovision – oder Eurovision raus aus Malmö.»
Imago

Auch mehrere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Europa haben die EBU aufgefordert, die Teilnahme Israels am ESC zu überdenken. So haben beispielsweise RTÉ (Irland), RTVE (Spanien) und RTVSLO (Slowenien) entsprechende Vorstösse bei der EBU eingereicht.

In Finnland unterzeichneten über 10'000 Personen eine Petition, in der es heisst, es sei «nicht vereinbar mit den eigenen Werten, einem Staat, der Völkermord und Besatzungspolitik betreibe, unter dem Deckmantel der Musik eine Bühne zur Imagepflege zu bieten».

ESC soll «ein universelles Ereignis» bleiben

Für Philip Bessermann, Geschäftsleiter der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, greift diese Sichtweise zu kurz. Der israelische Rundfunk sei Teil einer vielfältigen innenpolitischen Debatte, betont er gegenüber dem Blick: «Ein grosser Teil des Widerstands gegen den Krieg kommt aus dem eigenen Land.» Den öffentlich-rechtlichen Sender Kan pauschal zu verurteilen, sei daher nicht gerechtfertigt.

Und: Ein Boykott Israels sei nicht gleichzusetzen mit einem gegen Russland. Letztlich führe ein solcher Ausschluss dazu, dass jüdische Menschen aus der Öffentlichkeit gedrängt würden.

EBU-Direktor Martin Green betonte gegenüber Reuters, der ESC soll «ein universelles Ereignis bleiben, das Verbindungen, Vielfalt und Inklusion durch Musik fördert».

Israelischer ESC-Hauptsponsor

Doch nicht nur die Teilnahme Israels selbst sorgt für Kritik – auch wirtschaftliche Verbindungen stehen im Fokus. So ist ein weiterer Streitpunkt das Sponsoring des ESC durch das israelische Kosmetikunternehmen Moroccanoil, das seit 2020 als Hauptsponsor auftritt. Obwohl der Name auf marokkanisches Arganöl verweist, hat die Firma ihren Hauptsitz in Israel und produziert auch dort.

Kritiker*innen sehen darin einen Interessenkonflikt und werfen der EBU vor, wirtschaftliche Interessen über politische Neutralität zu stellen. Die EBU betont hingegen, dass Sponsoren keinen Einfluss auf die Auswahl der teilnehmenden Länder haben.

Trotz der anhaltenden Kontroverse zeigt sich, dass Israels Beiträge beim europäischen Publikum durchaus auf Zustimmung stossen: Eden Golan, die israelische Kandidatin 2024, erhielt im Televoting die zweitmeisten Punkte aller Acts und belegte in der Gesamtwertung den fünften Platz.

Reisewarnung für Basel

In Basel rufen unterdessen pro-palästinensische Gruppen zu Protesten auf. Die Bewegung «Escalate for Palestine» kündigte Demonstrationen während der ESC-Woche an. Sie wirft Israel vor, durch den Wettbewerb «Artwashing» zu betreiben – also politische Kritik durch kulturelle Präsenz zu überdecken – und fordert den Ausschluss des Landes.

Der israelische Nationale Sicherheitsrat hat gestern eine Reisewarnung für Basel ausgesprochen und rät israelischen Bürger*innen, sich von Demonstrationen fernzuhalten und keine jüdischen oder israelischen Symbole öffentlich zu zeigen.

Die Basler Polizei bereitet sich mit einem Grossaufgebot von rund 1300 Einsatzkräften auf mögliche Demonstrationen vor.


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