Unterwegs in London Selbst Gegner der Monarchie lassen sich zum Feiern hinreissen

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

3.6.2022

Thronjubiläum: Fans freuen sich über die Feierlichkeiten

Thronjubiläum: Fans freuen sich über die Feierlichkeiten

Tausende Fans versammelten sich in einem Park im Zentrum der Millionenmetropole London.

03.06.2022

England feiert das 70-jährige Dienstjubiläum der Queen. Der Wahl-Londoner Hanspeter Künzler hat davon bisher noch nicht viel gemerkt.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

3.6.2022

Der Kontrast könnte schärfer nicht sein.

In den Zeitungen und am Fernsehen die Bilder von idyllischen Provinznestern: Wimpeln überall, überall Poster von der strahlenden Queen. Dazu rauschende Blumenbouquets, frisch gestriegelte Strassen und Beigen von Stühlen und Tischen, die auf die am Freitag zu Ehren der scheinbar ewigen Regentin steigenden Strassenfeste warten.

Und hier in Kilburn, meinem ziemlich zentralen Londoner Revier: die mit Festtagswünschen dekorierte Anti-Diebstahl-Sensoren beim Eingang des Supermarkts und das Plastikbanner, das man beim Thai-Takeaway quer über die Speisekarte gehängt hat. Sonst: nichts, nichts und wieder nichts.

Menschen feiern am 2. Juni 2022 in London das Thron-Jubiläum der Queen.
Menschen feiern am 2. Juni 2022 in London das Thron-Jubiläum der Queen.
Bild: Keystone

Zugegeben: Dass die mit dem Bus innert zwanzig Minuten erreichbare Oxford Street reichhaltig mit Union Jacks behangen ist, war mir entgangen, als ich am Montag die rechtzeitig auf den Jubeltag hin eingeweihte U-Bahn-Station Tottenham Court Road und die brandneue Elizabeth-Line besuchte. Aber es regnete, da schaut man natürlich nicht in den Himmel hinauf.

Autor Hanspeter Düsi

Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie blue News und die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».

Sowas ist für Touristen

Einen Grund, zum bestimmt reich geschmückten Buckingham Palace zu pilgern, erkannte ich wie Millionen andere Londoner natürlich nicht. Sowas überlassen wir gern den Touristen.

Dass am Freitag in Kilburn doch noch etwas los ist, entdeckte ich eher zufällig. Dies während der jährlichen Generalversammlung der «Friends of Paddington Old Cemetery» (FOPOC), einem Verein, der sich um die Pflege des gleichnamigen Friedhofes kümmert.

Dieser erfreut sich nicht zuletzt unter Hundehaltern wie dem Schreiber dieser Zeilen grosser Beliebtheit. Es ruht dort zum Beispiel auch Michael Bond, der Autor der Geschichten von Paddington Bär. Item, unter den neun Vereinsmitgliedern, die es für nötig hielten, der Versammlung beizuwohnen, befand sich auch Lloyd Fothergill. Lloyd ist ein überaus rühriger Bürger, der in diversen Organisationen aktiv ist und im Vorstand der lokalen Abteilung der Labour-Partei sitzt. Als versteckten Royalisten hatte ich ihn auf jeden Fall nicht im Auge gehabt. Aber wie sagen die Briten so schön: Don’t judge the book by the cover (beurteile ein Buch nicht nach seinem Cover).

500 Pfund gibt's für eine Royal-Party

Genau er ist es, so stellt sich heraus, der seit weit über einer Dekade die jährlichen Feten organisiert, die in seiner Strasse zur Feier des queenlichen Jubiläums über die Bühne gehen. Nur diesmal wird das Fest etwas grösser. Er hat sogar eine Band engagiert. «Fiedel, Gitarre, vielleicht auch noch ein Keyboard», verspricht er, «irische Folkies, du kennst die Leute bestimmt vom Pub her». Fast das ganze Budget von 500 Pfund fressen die Musikanten auf. So viel stiften die Lokalbehörden Organisationen, die glaubwürdig darlegen können, dass sie das Geld tatsächlich in ein Jubiläumsfest und nicht in ein privates Saufgelage investieren.

Für die Queen mache er sich die Arbeit ganz bestimmt nicht, sagt Lloyd grinsend: «Aber ein Fest bietet immer eine gute Gelegenheit, die Nachbarschaft zusammenzubringen.» Die Getränke sind gratis («Wir haben in früheren Jahren etwas Geld gespart»), das Essen ebenfalls. Jeder und jede soll etwas mitbringen.

Weil in der Gegend viele Inder, Pakistanis und Jamaikaner wohnen, wird es an Vielfalt und Schärfe nicht mangeln. Im grosszügigen Angebot lauern indes auch Gefahren: Letztes Jahr habe sich ein Besucher an einem praktisch nur aus Wodka und einem Schluck Orangensaft bestehenden Punch dermassen betrunken, dass ein Tisch in die Brüche ging.

Abschaffung der Monarchie? Wohl nicht so bald

Noch erstrahlt die Charteris Road nicht in voller Jubiläumspracht: Es hängen erst die gewöhnlichen Wimpel, diejenigen mit der Queen drauf werden noch kommen. Letztes Jahr seien bloss ein paar Nasen erschienen, diesmal hofft Lloyd auf grösseren Zulauf: «Fünfzig oder sechzig könnten es schon werden.» (Just in diesem Moment holt ein sonores Brummen den Schreiber dieser Zeilen ans Fenster: Eine intime Formation von Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg zieht tief über unsere Köpfe – Teil einer Flugdemonstration für die Queen.)

An die Abschaffung der Monarchie glaubt Lloyd inzwischen nicht mehr. «Jedenfalls nicht zu meinen Lebzeiten.» Aber es stelle sich schon die Frage: Ersetzen womit? «Die Monarchie ist ein eigenartiges System. Irgendwie funktioniert es auch. Die Menschen lieben eine Soap-Opera. In den 80er Jahren gab es starke Bestrebungen, sie abzuschaffen. Derzeit macht man sich wegen sowas keine grossen Sorgen mehr. Es gibt hundert andere Dinge, die vorher eine Reform bräuchten.»

Übrigens darf sich Lloyds Strässchen – es ist kaum länger als 100 Meter – tatsächlich einer Verbindung mit dem Palast rühmen. Das Bäumchen, an das sich Lloyd lehnt, war ein Geschenk von Labour-Politiker Ed Milliband an Prinz William anlässlich der Geburt von Prinz George. Wie es in Kilburn gelandet ist, sei ihm ein Rätsel, schmunzelt Lloyd.

Während der Feierlichkeiten zum Thron-Jubiläum wird eine Demonstrantin abgeführt. 
Während der Feierlichkeiten zum Thron-Jubiläum wird eine Demonstrantin abgeführt. 
Bild: Keystone