Will Ferrell «Der ESC ist das Verrückteste, was ich je gesehen habe»

Marlène von Arx, Los Angeles

26.6.2020

Als Will Ferrell Conchita Wurst am Eurovision Song Contest sah, war er mit dem ESC-Virus infiziert. Jetzt bringt der US-Komiker seinen eigenen ESC-Film und zeigt, wie Kitsch und Kunst Hand in Hand gehen.

Man kennt ihn als 1,90 m grosse Weihnachtselfe («Elf»), einfältigen News-Moderator («Anchorman») und tollpatschigen Stiefvater («Daddy’s Home»).

In selbstironischen Komödien ist Will Ferrell zu Hause. Nun wird er mit dem Netflix-Film «Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga» und dem Remake des schwedischen Kultfilms «Force Majeure» zusätzlich zum prominentesten Hollywood-Importeur nordischer Unterhaltung.

Die singenden Babuschkas aus Russland hatten es Will Ferrell (52) angetan. Bei einem der vielen Trips nach Schweden zur Familie seiner Frau Viveca schlug eine Cousine vor, den Eurovision Song Contest zu schauen. «Ich sass drei Stunden lang auf dem Sofa und traute meinen Augen nicht», erinnert sich der Schauspieler via Videochat aus seinem Homeoffice. «Es war das Verrückteste, was ich je gesehen hatte. Ich dachte, darüber müsste man einen Film machen.»

Für ESC- und Will-Farrell-Fans: «ESC – The Story of Fire Saga».
Für ESC- und Will-Farrell-Fans: «ESC – The Story of Fire Saga».
Netflix

2014 besuchte er die Veranstaltung erstmals, als Conchita Wurst in Kopenhagen den ESC gewann, später feuerte er in Lissabon die Israelin Netta an. «Klar, es wollen alle gewinnen, aber was mich am meisten überraschte, war das Community-Feeling. Ein Journalist erklärte mir sogar allen Ernstes, so wie der ESC sollte die EU wirklich funktionieren – als ein Zusammenkommen in Harmonie.»

Mit den ESC-Organisatoren war sich Ferrell, der als Co-Drehbuchautor und Produzent von «Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga» selber die Zügel in die Hand nahm, schnell einig. «Die machen sich nichts vor. Sie wissen, dass Kitsch und Kunst da Hand in Hand gehen, und hatten kein Problem, dass wir uns darüber lustig machen.»

Einzige Bedingung: Die Regeln des Gesangwettbewerbs mussten wahrheitsgetreu wiedergegeben werden. Und so darf also das naive Duo Lars und Sigrit alias Fire Saga (Ferrell und Rachel McAdams) nach fragwürdigem Ausschalten der einheimischen Konkurrenz (Demi Lovato verkörpert die Favoritin Katiana) Island am ESC in Edinburgh vertreten. Cameos von echten ESC-Stars sind auf dem Weg ins Finale natürlich Ehrensache.

Wegen der Corona-Krise wurden der ESC 2020 und die dazu koordinierte Filmpremiere abgesagt. Will Ferrell setzt darauf, dass der Funken auch ohne die geplante Übertragung des Live-Events via Netflix USA auf das amerikanische Publikum rüberspringt.

An den mit viel ESC-Liebe produzierten Songs wird es jedenfalls nicht scheitern: Fire Sagas Wettbewerbssong «Double Trouble» wurde von Savan Kotecha geschrieben, der ansonsten Tracks für Ariana Grande und Katy Perry produziert. Und Lovatos Song stammt aus der Feder des schwedischen Hit-Lieferanten Jörgen Elofsson (Kelly Clarkson, Céline Dion).

Statt eines Trailers stellte Netflix zuerst das Musik-Video zum Fire-Saga-Titel «Volcano Man» ins Netz. Damit neben den schrillen Wikinger-Kostümen auch der Sound stimmte, bekam Rachel McAdams stimmliche Unterstützung der schwedischen Sängerin Molly Sandén. Will Ferrell freut sich über die Reaktionen: «Die Leute wissen, dass das Ganze ein Scherz ist, aber sie spielen den Song rauf und runter. Das war unser Ziel: Die Musik sollte nicht nur lustig sein, sondern Ohrwurm-Qualitäten haben.» Oder wie es ein Youtube-User in den Kommentaren auf den Punkt bringt: «Seien wir ehrlich: Wenn das ein echter ESC-Song wäre, würden wir für ihn stimmen.»

Der tatsächliche isländische ESC-Teilnehmer von 2020 Da∂i Freyr hat bereits ein Cover von «Volcano Man» aufgenommen.

Will Ferrell geniesst es in «Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga» sichtlich auch, sich über seine amerikanischen Landsleute lustig zu machen. Das habe nichts damit zu tun, dass er seit bald zwanzig Jahren mit einer Schwedin verheiratet ist, meint der gebürtige Kalifornier.  Ich habe mich schon in vielen Filmen über mich selber und amerikanische Stereotypen allgemein lustig gemacht. Es ist kulturell wichtig, zu zeigen, dass wir eine dicke Haut haben und über uns selber lachen können.»

Vielmehr schlummert in ihm die Seele eines Absurditäten-Liebhabers, die eher bei europäischen Filmemachern anzutreffen ist als in Hollywood. In «Stranger Than Fiction» unter der Regie des Schweizers Marc Forster streckte er erstmals seine Fühler in diese Richtung aus. «Ich hatte Glück, dass mir Marc diese Chance gab», erinnert sich Ferrell. «Wir waren beide der Meinung, dass der Humor sich aus den Umständen entwickelt und weniger aus der Figur.» Das sei im richtigen Leben ja oft nicht anders. «Zum Beispiel, wenn Marc an einer Karaoke-Party den Titelsong von  ‹Titanic› singt. Er ist nämlich ein richtiger Schweizer Singvogel», behauptet Ferrell grinsend.

Und mehr Euro-Stoff ist in Planung: Bei der US-Adaption der oscarnominierten deutschen Gesellschaftssatire «Toni Erdmann» fungiert Will Ferrell als Produzent, und vor Kurzem hat er den preisgekrönten schwedischen Film «Force Majeure» von Ruben Östlund unter dem Titel «Downhill» für Hollywood neu umgesetzt. Ferrell und Julia Louis-Dreyfus spielen darin ein Paar mit ihren beiden Kindern auf Ski-Urlaub in Ischgl. Als die Familie auf einer Terrasse von einer Lawine überrascht wird, ergreift Ferrell die Flucht, anstatt sich schützend um die Familie zu kümmern. Es ist eine Familienkomödie, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt. In der Schweiz hätte der Film im April in die Kinos kommen sollen. Nun ist der Start coronabedingt bis auf Weiteres verschoben.

«Klar gibt es beim Humor kulturelle Unterschiede und es finden nicht alle das Gleiche lustig», so Ferrell. «Das kann man gerade als Urlauber im Ausland gut nachvollziehen, denn man ist nicht im eigenen Element – was zu weiteren komischen Situationen führt.» Humor ist deshalb bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Das erfuhr der passionierte Skifahrer prompt als Tourist in den Bergen im österreichischen Ischgl: «Nehmen Sie auf keinen Fall die Piste, die mit ‹Duty Free› angeschrieben ist. Denn plötzlich landet man in der Schweiz, es gibt keine Gondel zurück und man muss mit dem Bus nach Hause fahren! Immerhin: Man kann unterwegs mit zollfreiem Zigaretten- und Alkohol-Verkauf gutes Geld verdienen.»

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