Ritterschlag für Streaming-Anbieter Netflix-Film «Roma» gewinnt Goldenen Löwen

DPA

9.9.2018

Beim Filmfest Venedig gewinnt zum ersten Mal eine Produktion des Streaming-Anbieters den Goldenen Löwen: Den Preis nimmt Oscar-Preisträger Alfonso Cuarón für «Roma» entgegen. 

Es ist wie ein Ritterschlag für Netflix. Bisher galt der Streamingdienst vor allem als Anbieter für Serien. Doch Netflix produziert immer mehr Filme - und konnte bei den Festspielen in Venedig nun einen enormen Erfolg feiern.

Gleich zwei Hauptpreise gingen an Netflix-Werke, darunter zum ersten Mal in der Festivalgeschichte sogar die höchste Auszeichnung für den besten Film: «Roma» des Oscar-Preisträgers Alfonso Cuarón gewann am Samstagabend den Goldenen Löwen. Ausserdem ging die Trophäe für das beste Drehbuch an die Brüder Ethan und Joel Coen für «The Ballad of Buster Scruggs», ebenfalls von Netflix produziert.

Hommage an früheres Kindermädchen

«Roma» ist ein vielschichtiges, wunderschön gefilmtes Werk über das Leben im Mexiko der 70er Jahre. Regisseur Cuarón fokussiert dabei auf zwei junge Frauen, die als Haushälterinnen bei einer wohlhabenden Familie leben und sich dabei auch um die Kinder kümmern. Cuarón erklärte, sein Werk sei eine Hommage an sein früheres Kindermädchen. Der Preis für den Film ist zugleich der erste Goldene Löwe für Mexiko.

Der Streit um die Rolle von Netflix geht weiter

So verdient die Auszeichnung aber auch ist: Sie wird den Streit um die Rolle von Netflix in der Kinowelt fortsetzen. Denn warum wird ein Film mit dem höchsten Preis eines Festivals ausgezeichnet, wenn er anschliessend nur in wenigen Kinos und dafür vor allem beim Streamingdienst zu sehen sein wird? Beim Festival Cannes sorgte die Auseinandersetzung in diesem Jahr dafür, dass Netflix letztendlich all seine eingereichten Beiträge wieder zurückzog, darunter auch Cuaróns jetzigen Löwen-Gewinner.

Allerdings muss man gleichzeitig honorieren, wie viel Geld Netflix mittlerweile für hochkarätige Regisseure und herausragende Filme bereitstellt: Auch «Roma» sowie der episodisch erzählte Western-Beitrag «The Ballad of Buster Scruggs» der Coen-Brüder sind beides bemerkenswerte Werke - offensichtlich sah das die Venedig-Jury ebenfalls so.

Für den Jury-Präsidenten Guillermo del Toro («Shape of Water») bedeutet das starke Abschneiden von Netflix jedenfalls nicht den Untergang der Filmwelt. «Ich glaube nicht, dass dies der Anfang vom Ende für Irgendetwas ist», sagte der Mexikaner am Samstagabend. Es sei eher die Fortsetzung von dem, was vor gut 100 Jahren mit der Erfindung von Film begonnen habe.

Starker Fokus auf Frauen

Bei der Preisverleihung war ausserdem der starke Fokus auf Frauen auffällig. Nicht nur Cuarón stellte in «Roma» mehrere Heldinnen in den Mittelpunkt. Auch der zweite grosse Gewinner des Abends blieb wegen seines überzeugenden, weiblichen Ensembles und der vor allem auf Frauen fokussierten Geschichte in Erinnerung: Der Grieche Yorgos Lanthimos nahm für «The Favourite» den Grossen Preis der Jury entgegen. In dem Drama schaut er auf das Leben der britischen Queen Anne im frühen 18. Jahrhundert. Emma Stone und Rachel Weisz spielen zwei Hofdamen, die um die Liebe der Königin buhlen. Besonders bemerkenswert war dabei Olivia Colman als tragische Queen; für diese Leistung wurde die Britin mit der Trophäe als beste Hauptdarstellerin geehrt.

Auch die einzige Regisseurin im insgesamt sehr überzeugenden Wettbewerb konnte am Ende zwei Mal jubeln: Für «The Nightingale» über die brutalen Anfänge der Kolonialzeit in Australien gewann Filmemacherin Jennifer Kent den Spezialpreis der Jury. Ausserdem wurde ihr Hauptdarsteller Baykali Ganambarr mit dem Marcello-Mastroianni-Preis für den besten Jungdarsteller geehrt.

Erste Indikatoren für die Preissaison in Hollywood

Spannend wird nun der Blick nach vorn. Immerhin waren die Filmfestspiele in Venedig in den vergangenen Jahren immer ein guter, erster Indikator für die kommende Preissaison in Hollywood. Häufig konnten die Venedig-Teilnehmer - wie «Gravity», «La La Land» oder «Shape of Water» - Golden Globes oder Oscars gewinnen. Vielleicht werden wir also in dieser Hinsicht auch von «Roma» oder «The Favourite» aus dem diesjährigen Jahrgang noch einmal mehr hören.

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