Joel Basman spielt Kafka «In der Schweiz ist sehr unterschiedlich, was in der Schule gelesen wird»

Eric Leimann/Teleschau

26.3.2024

In der ARD-Serie «Kafka» verkörpert Joel Basman die Hauptrolle des jung verstorbenen Kult-Dichters. Der gilt als weltweit meistgelesener deutscher Autor. Was hat uns Franz Kafka, der vor 100 Jahren starb, zu sagen?

Eric Leimann/Teleschau

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  • Schauspieler Joel Basman aus Zürich verkörpert in der ungewöhnlichen Biopic-Serie «Kafka» den weltweit meistgelesenen deutschen Schriftsteller, der vor 100 Jahren im Alter von 40 Jahren starb.
  • Der 34-jährige Basman war selbst nie auf dem Gymnasium und doch verbindet ihn mit Franz Kafka dessen «gemischte Herkunft» sowie ein Gefühl fürs Skurrile des Lebens.
  • Im Interview spricht der Schauspieler über wahre und falsche Kafka-Vorurteile und hat eine Vision, wie Kafka sich in der heutigen Zeit verhalten würde.

Am 3. Juni 1924, also vor bald 100 Jahren, verstarb Franz Kafka. Er gilt bis heute als weltweit meistgelesener deutscher Schriftsteller. Zu Lebzeiten galt der notorische Zweifler an der eigenen Kunst noch als Geheimtipp.

Heute wissen wir: Der mit 40 Jahren jung verstorbene Autor hat die Literatur in die Moderne geführt. Künstlerisch war und ist er so einflussreich wie kaum ein anderer deutscher Literat.

In der sechsteiligen Biopic-Serie «Kafka» vom österreichischen Filmemacher David Schalko, die heute Dienstag, 26. März, und Mittwoch, 27. März, jeweils 20.15 Uhr, von der ARD gezeigt wird, spielt der Zürcher Joel Basman den Kult-Schriftsteller.

Joel Basman, die Macher der TV-Serie «Kafka» sagen, dass sie für die Hauptrolle jemanden suchten, der sich mindestens ein Jahr lang mit Franz Kafka beschäftigt. Hatten Sie Angst vor dem Projekt?

Joel Basman: Ach ja, das haben sie mir nicht gleich zu Anfang gesagt (lacht). Aber mein Anspruch war ähnlich hoch. Tatsächlich habe ich mich ein Jahr lang vorbereitet. Sehr viel Literatur gelesen, natürlich auch die Kafka-Biografien von Reiner Stach, und intensiv mit meinem Schauspiel-Coach gearbeitet. Hinzukam ein guter Freund von mir. Er ist Dozent für verschiedene Bereiche: Philosophie, Psychologie und Germanistik. Auch mit ihm habe ich mir die Grundlagen der Kafka-Welt erarbeitet.

Kafka ist ja ein bisschen wie Studium generale. Es geht um Literatur, Philosophie, Geschichte. Aber auch um Popkultur, er ist auch gewissermassen ein Horror- oder Fantasy-Autor. Was hat Sie an ihm am meisten überrascht?

Am meisten hat mich Kafkas Humor überrascht. Er gilt ja vielen als melancholischer, ja verängstigter Trauer-Kloss. Dabei hatte der Typ einen wunderschönen und auch ziemlich dreckigen Humor. Das finde ich sehr sympathisch. Trotzdem war er im Umgang mit den Menschen sehr höflich, ja zuvorkommend. Überhaupt nicht laut. Eigentlich ein Typ, der unter dem Radar seiner Umwelt segelte.

Dann kommt noch diese Unsicherheit bezüglich der eigenen Kunst hinzu. Er sagte jeder und jedem, dass er ihnen dankbarer wäre, wenn sie seine Sachen nicht lesen würden. Und er meinte es auch so. Ebenso wie er aus Überzeugung Vegetarier war und ein sportliches Work-out-Programm des Fitness-Gurus Jørgen Peter Müller durchzog. Kafka war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus – und vor allem ziemlich cool.

Franz Kafka wäre heute ziemlich trendy. Aber wenn man so wenig überzeugt von sich ist wie er, hätte man keine Chance, oder? Glauben Sie, Kafka hätte viele Follower bei Instagram?

Ich glaube, Kafka hätte auf Instagram gigantisch viele Follower. Er würde sehr schlechte Fotos machen und dabei gar nicht merken, welch tolle Kunst er damit produziert. Ausserdem würde er zur falschen Zeit die falschen Sachen posten. Und sie wieder löschen und anders neu einstellen.

Vielleicht sähe man auf den Fotos dann nur noch seinen Hund oder seine Katze. Auf jeden Fall hätte Kafka seinen Spass mit Social Media. Auch wenn alle es total seltsam fänden, wie er damit umgeht.

Spielte Kafka eine Rolle in Ihrem Leben – vor diesem Serienprojekt?

Ich kannte nur sehr wenig von ihm. Mein Wissen war oberflächlich und teilweise sogar falsch. Ich wusste, er war ein komischer Kauz und vermutete irgendwie, dass er sich umgebracht hat. Aber ich hätte noch nicht einmal sagen können, wann genau er gelebt hat.

Sie sind in Zürich gross geworden. Ist Franz Kafka dort – wie in Deutschland – ein Fall für den Deutschunterricht in der Schule?

Es ist in der Schweiz sehr, sehr unterschiedlich, was in der Schule gelesen wird. Dazu kommt, dass wir ja ein drei- oder viersprachiges Land sind. Ich bin aber definitiv die falsche Person, um diese Frage zu beantworten, da ich nicht auf dem Gymnasium war. In den Schulen, die ich besucht habe, war Kafka definitiv kein Thema.

Meine Schwester ist acht Jahre älter, sie hat mir vielleicht einmal von Kafka erzählt. Und dann war ich einmal auf einem Flohmarkt, da habe ich «Brief an den Vater» gekauft. Das war ein Mini-Büchlein mit Kafka vorne drauf. Ich fand, das sah irgendwie toll aus. Die Kombination aus extrem schmalem Buch und schönem Bild hat mich angesprochen (lacht).

Wie alt waren Sie bei diesem Flohmarkt-Kauf und haben sie das Buch danach gelesen?

Ich glaube, das war, als ich in Berlin lebte. Das müsste 10 bis 15 Jahre her sein.

Konnten Sie etwas damit anfangen?

Ja, auf jeden Fall. Ich erinnere mich, dass ich es so ziemlich an einem Stück gelesen habe. Aber danach kam – erst mal – nichts anderes mehr von ihm. Es sind Überlegungen aus der Mitte eines Lebens. «Brief an den Vater» ist aber nicht das Kafka-Einsteiger-Buch, das ich empfehlen würde. Da ist «Die Verwandlung» sicher anfixender.

Glauben Sie, dass Kafka Vorbild für viele Kreative war, die später Horror oder das fantastische Genre kreiert haben? Filme wie «Alien» oder «Das Ding aus einer anderen Welt» sind durchaus kafkaesk.

Das fantastische Genre gab es ja schon zu Kafkas Lebzeiten – und er war ein Fan davon. Er liebte zum Beispiel Vampir-Filme. Kafka hat sich im Goth-Genre extrem wohlgefühlt. So einen Vampir-Film hätte ich ihm schon zugetraut. Schade, dass er so jung und als Geheimtipp gestorben ist. Ich hätte gerne einen Gruselfilm nach Kafkas Drehbuch gesehen.

Wann ist etwas «nur» Genre, und wann nennen wir es grosse Literatur – so wie bei Kafka?

Leider ist Daniel Kehlmann gerade nicht in der Nähe, sonst würde ich ihn fragen (lacht). Ich traue mir da eine richtige Antwort nicht zu, würde aber sagen, dass Kafka auf jeden Fall sein eigenes Genre ist. Deshalb ist er so einzigartig und faszinierend. Bei ihm werden so viele Bestandteile und Ideen unseres Lebens miteinander verbunden, die sich in dieser Kombination sonst nirgendwo finden.

Ich bin kein besonders belesener Mensch, kann aber sagen: So etwas wie «Die Verwandlung» habe ich noch nirgendwo sonst gelesen. Es gibt extrem viele Künstler, die von Kafka beeinflusst sind. Allein das ist schon ein grosser Lebenswurf.

Was von Franz Kafka kriecht besonders tief in Ihr Gefühlssystem?

Ich kenne niemanden, der besser Menschen beobachten und ihre Situation so genau aufschreiben konnte. Wie oft wollte man schon etwas, das man fühlt, genauso hinschreiben? Doch es gibt nur wenige Menschen, die das können. Und wenn es dann noch Spass macht, diese Beobachtungen zu lesen, dann steht man vor grosser Kunst. So wie bei Kafka.

Kafka kommt aus einer jüdischen Familie und gehörte der deutschen Minderheit in Prag an. Sie sind Schweizer, aber Ihr Vater ist Jude aus Israel. Wie wichtig ist dieses Erbe für Sie?

Nach der Thora bin ich kein Jude, denn das Jüdische wird über die Mutter vererbt und die ist bei mir Schweizerin. Aber ich spreche Hebräisch und ein guter Teil meiner Familie lebt in Israel.

Konnten Sie aus dieser Parallele zwischen Kafka und Ihnen etwas herausziehen?

Ja, auf jeden Fall. Ich kann verstehen, wie es sich anfühlt, wenn man von allem etwas hat, aber von nichts genug, um wirklich dazuzugehören. Genug, um sich voll damit zu identifizieren. Das ist ja auch der Grund, warum Kafka seine Suche startete: Wer bin ich?

Natürlich stellt sich jeder, der erwachsen wird, diese Frage. Wenn man aber mit zwei Sprachen aufwächst und dazu zwei völlig unterschiedliche Landesgeschichten, Kulturen und Religionen kennenlernt – da stellt man sich diese Frage noch ein bisschen intensiver. So wie Kafka, der für die einen nicht deutsch genug, für die anderen nicht tschechisch oder jüdisch genug war.

Also zementiertes Aussenseitertum?

Bei Kafka? Bei ihm auf jeden Fall mehr als bei mir. Er war die Minderheit in der Minderheit. Böhmische Juden im tschechischen Teil des Landes? Viel Spass in der Schule! Es wird immer einen Grund geben, mit dem Finger auf dich zu zeigen. Es hat auf jeden Fall etwas mit ihm gemacht, genauso wie die Tatsache, dass der Vater ein Aufsteiger sein wollte.

Er sehnte sich in die Upper class der Monarchie, er wollte nicht «der Jude» sein. Bei Kafkas Daheim spielte die jüdische Kultur keine grosse Rolle. Vater Kafka wollte in der Wiener Gesellschaft ankommen – als treuer Monarchist. Er war auch ziemlich altmodisch. Kein Wunder, dass es zwischen Vater und Sohn nicht gepasst hat.

Was bedeutet diese familiäre Herkunft für Ihr Leben?

Erst einmal ganz praktisch: Ich spreche verschiedene Sprachen ziemlich gut. Meine Muttersprache ist Schweizerdeutsch, aber ich kann auch privat akzentfreies Hochdeutsch sprechen. Auch deshalb, weil ich drei Jahre in Berlin lebte. Ausserdem spreche ich Hebräisch, Englisch und Französisch.

Perfekt?

Englisch und Französisch zumindest sehr gut. Französisch ist in der Schweiz eine Landessprache. Das bekommt man schon früh mit. Englisch habe ich neben der Schule vor allem über Filme gelernt. Ich habe alles immer auf Englisch geschaut. Mein bester Englischlehrer war die Animationsserie «South Park».

Noch einmal zurück zu «Kafka»: Die TV-Serie betrachtet dessen Leben aus sechs Perspektiven. Wenn Sie noch eine sehr persönliche siebte Folge drehen dürften: Welchen Blickwinkel würden Sie wählen?

Eine interessante Frage (lacht, macht eine Pause). Ich glaube, ich würde ihn Bücher aus der Zukunft lesen und ihn diese kommentieren lassen. Es würde mich wirklich sehr interessieren, was Franz Kafka von unserem Leben heute hält.


Unter dem Titel «Kafka – Türen, Tod & Texte» zeigt das Literatur-Museum Strauhof in Zürich Zugänge zu Franz Kafka. In dessen Werk spielen Türen als Motiv eine zentrale Rolle. Die Ausstellung ist bis 12. Mai zu sehen.


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