Hazel Brugger «Mein Vorteil ist, dass ich aus einem noch verklemmteren Land komme»

Bruno Bötschi

14.4.2025

«Der gesündeste Komiker wäre wohl jemand, der sensibel in sich gehen kann, aber ein bisschen abgestumpft nach aussen unterwegs ist»: Hazel Brugger.
«Der gesündeste Komiker wäre wohl jemand, der sensibel in sich gehen kann, aber ein bisschen abgestumpft nach aussen unterwegs ist»: Hazel Brugger.
Bild: Amazon MGM Studios

Hazel Brugger ist die lustigste Komikerin der Schweiz, lebt aber schon seit Jahren in Deutschland. Ein Gespräch über ihr Verhältnis zu ihrer Heimat, depressive Humoristen und warum sie den ESC unbedingt moderieren wollte.

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  • Hazel Brugger gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Komikerinnen.
  • Die Programme der zweifachen Mutter füllen seit Jahren grosse Hallen. Sie war Aussenreporterin der ZDF-Sendung «heute show», tritt bei «Wer stiehlt mir die Show?» auf und hat mit ihrem Mann und Berufskollegen Thomas Spitzer einen Podcast.
  • Nun wird sie im Erfolgsformat «LOL: Last One Laughing» (Donnerstag, 17. April, Amazon Prime Video) mit ihrer bereits vierten Teilnahme zur Rekordhalterin.
  • Am Samstag, 17. Mai, steht für Brugger ein weiterer Höhepunkt an: Sie moderiert den Final des 69. Eurovision Song Contest (ESC) in Basel.
  • Ein Gespräch mit der 31-Jährigen über den Hang von Komiker*innen zu Depressionen und das Problem der Deutschen und der Schweizer mit ihrem Stolz.

Hazel Brugger, Sie sind Rekordteilnehmerin beim Amazon-Comedyformat «LOL: Last One Laughing». Was bringt der Faktor Erfahrung bei diesem Wettbewerb?

«LOL» ist ja ein humoristisches Paralleluniversum. Eines, in dem niemand lacht – obwohl es lustige Situationen gibt. Es fühlt sich sehr komisch an, wenn man da mittendrin ist. Beim Umgang damit hilft Erfahrung auf jeden Fall.

Gibt es als Show-Veteranin auch Nachteile?

Ja, vielleicht. Dass man ein Stück weit die Unbekümmertheit verliert und dass man zu gut darin wird, seine Energie einzuteilen. Dieser Biss, der rüberkommt, wenn man in den ersten 20 Minuten der sechs Stunden im Raum alles rausballert, was man an Gags mitgebracht hat – das ist natürlich super anzuschauen für die Zuschauer. Aber ich mache das jetzt natürlich nicht mehr (lacht). «LOL» ist Langstrecke, quasi ein Ausdauersport.

Haben Comedians bei «LOL» einen Vorteil gegenüber anderen Promis, zum Beispiel klassischen Schauspielern?

Ja, ich denke schon. Wir Comedians haben diesen inneren Zwang, dass wir Leute zum Lachen bringen müssen. Wohl aus irgendeinem Kindheitskomplex heraus, den man sich einerseits erklären möchte, andererseits aber auch wieder nicht – um nicht das Geheimnis des eigenen Talents zu enttarnen. Bei uns Comedians ist diesbezüglich ziemlich viel Druck auf dem Kessel. Das ist ein Vorteil, wenn man es rein sportlich betrachtet.

Haben die Schauspieler auch Stärken?

Ja. Sie sind es gewohnt, Stille auszuhalten. Wenn sie zum Beispiel für eine Rolle vorsprechen müssen, das stelle ich mir total unangenehm vor. Ich könnte diese Stille auf der anderen Seite nicht aushalten.

Sprechen wir ruhig über die Psyche von Menschen, die vom Lachen der anderen leben. Sie und ihr Mann haben beide über Probleme mit Depressionen berichtet. Es gibt viele andere Comedians, die damit zu tun hatten ...

Es wäre arg plakativ, wenn ich sagen würde: «Wo viel Licht ist, ist auch Schatten». Oder den Gegensatz von «Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt» bemühen würde. Ich glaube nicht, dass Comedians immer eine dunkle Seite haben müssen. Trotzdem gibt es Faktoren, die diese Wahrnehmung begünstigen.

Der Maler Daniel Richter hat einmal gesagt: «Gute Kunst macht einen sensibler, schlechte Kunst stumpft ab.» Das ist auch bei Comedy so. Gerade Stand-up-Comedy berichtet viel aus dem eigenen Leben. Gute Comedians sind oft sensible Leute, die sehr genau und nuanciert hinschauen.

Und das fördert Depressionen?

Ja, weil man Ungerechtigkeit schneller und vielleicht auch tiefer erkennt. Wer das Leiden anderer Menschen oder auch das eigene intensiver wahrnimmt, ist anfälliger für dunkle Gedanken. Es ist auf jeden Fall kein Faktor, der die eigene Robustheit fördert. Dazu kommt, dass man als Comedian oft solo auf der Bühne steht – und alleine tourt. Letzteres ist definitiv ungesund.

Man verlässt seine Komfortzone und verbringt seine Zeit in fremden Städten und Hotelzimmern. Man hat diesen künstlichen Adrenalin-Kick der Auftritte. Danach kommt man schlecht zur Ruhe, hat Schlafprobleme. Trotzdem gibt es diesen Zwang, gegen Mitternacht einschlafen zu müssen, weil man vielleicht um sieben Uhr morgens den Zug in die nächste Stadt nehmen muss. Es ist ein anstrengendes und sehr wankelmütiges Leben.

Dann ist da noch die Bühnensituation selbst. Am tiefsten verletzt fühlen sich Menschen, wenn sie sich abgelehnt fühlen. Das könnte einem als Comedian jeden Abend auf der Bühne passieren.

Ja, das stimmt. Der gesündeste Komiker wäre wohl jemand, der sensibel in sich gehen kann, aber ein bisschen abgestumpft nach aussen unterwegs ist. Zumindest wäre das wahrscheinlich der psychisch stabilste Komiker, der trotzdem gute Unterhaltungskunst böte.

Manchmal sitze ich acht Stunden im Zug und habe Zeit, über Dinge, die mich ausmachen oder die mir passieren, nachzudenken. Einerseits ist das Teil meiner Kreativität und Programmgestaltung. Andererseits muss man aufpassen, dass man sich nicht zu sehr zerdenkt.

Ist es ein Vor- oder Nachteil, wenn der Lebenspartner die gleichen Dinge tut? Wenn man vielleicht sogar mit ihm zusammen Humor oder Unterhaltung produziert und sein Leben zerdenkt?

Ich empfinde dies nur als Vorteil. Bei uns funktioniert es sehr gut. Ich möchte gar nicht anders leben oder arbeiten.

Ihr Mann ist Deutscher, Sie sind Schweizerin. Haben die beiden Nationen einen unterschiedlichen Humor?

Es gibt grosse Unterschiede darin, wie Deutsche und Schweizer sozialisiert sind. Mein Nachdenken über Humor an sich ist noch nicht abgeschlossen, aber ich glaube, dass Humor viel mit der Art und Weise zu tun hat, mit der eigenen Sozialisation umzugehen. Andererseits gibt es auch Humor, der nichts mit Sozialisation zu tun hat. Einer, der rein als menschliches Ventil funktioniert und einem dabei hilft, Anspannung loszuwerden.

Man lässt Druck ab und merkt: Ich bin nicht allein mit diesem Problem. Wir alle hier im Raum lachen. Das ist eine gute, eine heilende Erfahrung. Letzteres funktioniert bei Deutschen und Schweizern gleich. Mit dem Unterschied, dass der Druck bei den Schweizern grösser ist, weil das Ventil fester zugeschraubt war.

Also sind Schweizer schwerer aus der Reserve zu locken?

Ja, würde ich sagen. Der Schweizer ist schwer zu knacken. Wenn man ihn dann aber einmal hat, wird er schnell zum Fan und geht nie wieder weg. Die Schweizer sind treue Menschen.

Die Deutschen denken ja, dass sie selbst die grössten Spassbremsen sind ...

Es ist mein grosser Vorteil, dass ich aus einem noch verklemmteren Land komme. Die Schweiz ist ein absolutes Humor-Entwicklungsland. Ausserdem sind wir komplexbeladen. Schweizer denken immer, die anderen – vor allem die Deutschen – würden schlecht über sie reden. Weil wir langsam, steif und unlustig wären. Die Wahrheit ist aber, dass die Deutschen fast gar nicht über die Schweiz nachdenken. Das ist uns dann aber auch wieder nicht recht. Ich denke, wir haben ein Minderwertigkeitsproblem.

«Der Schweizer ist schwer zu knacken. Wenn man ihn dann aber einmal hat, wird er schnell zum Fan und geht nie wieder weg. Die Schweizer sind treue Menschen»: Hazel Brugger.
«Der Schweizer ist schwer zu knacken. Wenn man ihn dann aber einmal hat, wird er schnell zum Fan und geht nie wieder weg. Die Schweizer sind treue Menschen»: Hazel Brugger.
Bild: Amazon MGM Studios

Nun sind für den Eurovision Song Contest, den ESC, bald alle Augen auf die Schweiz gerichtet. Sie moderieren die Show zusammen mit Michelle Hunziker und Sandra Studer. Wie kamen Sie zu diesem Job?

Ich wurde vom ESC-Produktionsteam gefragt und konnte nicht ablehnen. Ein amerikanischer Comedian hat einmal gesagt, unser Berufsstand bestünde eigentlich nur aus verhinderten Rockstars. Für mich trifft dies auf jeden Fall zu.

Im Film «Mad Max: Fury Road» gibt es dieses Fahrzeug, das mit einem Menschen als Galionsfigur durch die Wüste rast, der mit verzerrter Rockgitarre aufspielt, aus der immer mal wieder Feuer kommt. Ich glaube, ich wollte mein Leben lang diese Figur sein. Das scheiterte jedoch an fehlender Musikalität und Talent. Deshalb kann ich nicht «nein» sagen, wenn mir angeboten wird, bei einem riesigen Konzert auch ein bisschen im Mittelpunkt zu stehen.

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Natürlich, allein von den Zuschauerzahlen ist es eine andere Liga als Comedy. Wobei mir schon klar ist, dass ich nicht wirklich im Mittelpunkt stehe. Die Einzige, die denkt, dass ich da im Mittelpunkt stehe, ist meine Mutter. Sie wird sehr aufgeregt sein.

Auch ich bin aufgeregt, weil es wahrscheinlich eine einmalige Sache wird. Bis die Schweiz wieder den ESC gewinnt, da leben wir alle vielleicht nicht mehr (lacht). Dabei ist die Schweiz ja der Geburtsort des ESC, das wissen viele gar nicht. Der erste Wettbewerb fand 1956 in Lugano statt.

Finden Sie nicht auch, dass der ESC ein seltsames Event ist? Weil es für kurze Zeit so unglaublich wichtig erscheint, wie das eigene Lied abschneidet und welches Land gewinnt. Und wenige Tage später ist die ganze Aufregung vergessen ...

Ja, genau so ist es. Eine so steile Kurve des Anstiegs an Bedeutsamkeit und danach totalen Absturz in Richtung Bedeutungsverlust gibt es bei keinem anderen Gross-Event. Trotzdem sollte man gerade einen ESC in der Schweiz nicht unterschätzen. Das liegt zum einen daran, dass die Schweiz so ein seltsames Verhältnis zu Europa hat.

Sie liegt zwar mittendrin, grenzt sich aber ab. Ausserdem ist der ESC ein Symbol für Offenheit, Toleranz und kreative Synergien. Auch für das Motto «alles kann, nichts muss». Alles Werte, hinter denen ich total stehe und sie in der Schweiz zu repräsentieren, ist für mich ein grosses Anliegen.

Wie patriotisch sind die Schweizerinnen und Schweizer?

Sie sind sehr patriotisch. Man kann in der Schweiz keine zwei Minuten herumlaufen, egal wo, ohne dass man eine Schweizer Flagge sieht. Und sei sie nur klein auf einem Rucksack angepinnt. Ich habe oft Diskussionen darüber mit meinem Mann. In Deutschland darf man nicht sagen: «Ich bin stolz, Deutscher zu sein.»

Zumindest nicht, wenn man damit auch nur den Hauch des Verdachts erweckt, man stünde über den anderen. Aufgrund der Geschichte ist das auch verständlich und trotzdem finde ich, den Deutschen fehlt ein bisschen der Ort, wo sie mit ihrem Stolz auf gesunde Weise hinkönnen.

Dafür gibt es doch Nationalmannschaft und Fussballstadion ...

Ja, aber darüber hinaus. Früher war man zum Beispiel in Zünften vereint, wo man seinen Stolz in Form einer Berufsehre ausleben konnte. Wir Menschen sollten auf unsere Zugehörigkeit stolz sein dürfen. Es ist ein absolutes Grundbedürfnis. Man darf es uns nicht verbieten und sollte nicht versuchen, es wegzutrainieren. Vielleicht brauchen wir Alternativen für den Stolz aufs Land.

Deutschland kann zum Beispiel wahnsinnig stolz auf seine freie Gesellschaft sein. Man darf hier sagen, denken und tun, was man will. Deutschland ist eine Demokratie, ein Sozialstaat. Darauf kann man sehr, sehr stolz sein. Gerade, wenn man sich die Entwicklung der Welt diesbezüglich anschaut, wo es meist in die andere Richtung geht.


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