Faktencheck ESC-Gewinner zu Unrecht in Nazi-Ecke gerückt

dpa

17.5.2022 - 14:55

Kalush Orchestra – die ESC-Sieger kehren heim

Kalush Orchestra – die ESC-Sieger kehren heim

STORY: Die ESC-Gewinner kehren heim – mit einem Willkomensgruss. Das ukrainische Kalush Orchestra ist nach seinem emotionalen Sieg beim Eurovision Song Contest am Montag in sein Heimatland zurückgereist – und wurde an der Grenze zu Polen von Fans willkommen geheissen. Frontmann Oleh Psiuk bekam einen Strauss gelber und blauer Blumen überreicht – die Farben der ukrainischen Flagge. Er sagte, die Band plane, ESC-Trophäe zu veräussern, um Geld zu sammeln für die ukrainischen Streitkräfte zu sammeln. «Wissen Sie, es gibt Leute, die einfach bereit sind zu spenden. Das soll sie nur ein bisschen mehr motivieren – sie könnten diese Trophäe besitzen. Manch einer findet es vielleicht cool, den Pokal zu Hause zu haben.» Ukrainische Soldatinnen und Soldaten, die an der Grenze im Dienst waren, liessen sich mit der Band fotografieren. Kalush Orchestra hatte am Samstag den Eurovision Song Contest in Turin gewonnen. Das Siegerlied «Stefania», auf Ukrainisch vorgetragen, verband Rap mit traditioneller Volksmusik. Die Abstimmung der Zuschauer am Wochenende verdeutlichte die öffentliche Unterstützung für die ukrainischen Musikerinnen und Musiker – und damit auch die grosse Sympathie gegenüber der von Russland überfallenen Ukraine.

17.05.2022

Kaum haben Kalush Orchestra den Eurovision Song Contest gewonnen, dichten prorussische Aktivisten der ukrainischen Band Nazi-Sympathien an. Doch angebliche Beweise sind an den Haaren herbeigezogen.

Nach ihrem Rekord-Gewinn beim Eurovision Song Contest (ESC) wird der ukrainischen Band Kalush Orchestra von prorussischen Aktivisten eine Nähe zum Faschismus unterstellt.

In der Nacht auf Sonntag soll Rapper Oleh Psjuk auf der ESC-Bühne im italienischen Turin angeblich seine rechte Gesinnung zur Schau gestellt haben. Doch die mit dem Vorwurf verbreiteten Video-Sequenzen sind kräftig geschnitten.

Behauptung: Psjuk hat den Hitlergruss gezeigt.

Bewertung: Nichts deutet darauf hin. Der Sänger jubelte in Richtung Publikum.

Fakten: Mit häufig völlig unbelegten Nazi-Vorwürfen versuchen Medien und Politik in Russland immer wieder, die Ukraine und den Westen insgesamt als Rechtsradikale und Nationalsozialisten zu brandmarken und so Moskaus Angriffskrieg auf das Nachbarland zu rechtfertigen.

Aktuell etwa im Fokus: Die Band Kalush Orchestra, die mit ihrem Song «Stefania» das Publikum in Europa faszinierte und mit einem Sensationsergebnis den Grand Prix in Turin gewann. Nach ihrer Performance im Wettbewerb forderte Psjuk besonders mit Blick auf die Verteidiger des Stahlwerks Azovstal in Mariupol: «Helft bitte der Ukraine, Mariupol, helft Azovstal jetzt!»

Der unbelegte Vorwurf, den Hitlergruss gezeigt zu haben, bezieht sich vor allem auf eine Szene nach der Übergabe der Trophäe an Kalush Orchestra kurz vor Ende der ESC-Übertragung. Während die Band die Bühne verlässt, ist Psjuk mit ausgestrecktem rechten Arm und erkennbar gespreizter Hand zu sehen. Er feiert mit der Geste offensichtlich den Sieg.

Kurze Clips davon werden mit dem Nazi-Vorwurf in sozialen Medien verbreitet – allerdings sind die Ausschnitte häufig manipuliert: Bei den einen setzt die Szene erst so spät ein, dass Psjuks Hand nur von der Seite gezeigt wird. Bei anderen ist der Bildausschnitt so sehr verkleinert, dass die Kamera die gespreizte Hand nicht erfasst.

Auch der polnischen ESC-Moderatorin Ida Nowakowska wird rechtsradikales Gedankengut unterstellt. Als sie die zwölf Punkte aus ihrem Land für «Stefania» verkündete, soll auch sie angeblich den Hitlergruss gezeigt haben. Dabei ist für einen kurzen Moment zu sehen, dass sie ihre Finger offenbar zum Peace-Zeichen formt. Danach wird die Hand nicht mehr von der Kamera erfasst.

Prorussische Aktivisten werfen Psjuk zudem vor, mit seinem Aufruf zur Unterstützung der Kämpfer von Azovstal für Faschisten geworben zu haben. Nach ungenauen Schätzungen hielten sich zuletzt in dem weitläufigen Werk rund 1000 ukrainische Soldaten auf. Am Montag wurde bekannt, dass gut 260 von ihnen das Stahlwerk verlassen haben. Ein Grossteil der Azovstal-Verteidiger gehört dem Regiment «Asow» an, das Russland als nationalistisch und rechtsextremistisch einstuft.

dpa