Schüchternheit kann eine Stärke sein «Wagen wir Zärtlichkeit» - Fünf Jahre König Philippe in Belgien

Lisa Forster, dpa

20.7.2018

Er ist ein Souverän ohne Pomp und auch nach fünf Jahren im Amt noch ein bisschen steif. Doch inzwischen haben die Belgier König Philippe akzeptiert. Dabei ist ihm eine Eigenschaft zugute gekommen, die ihm sein Volk einst als Schwäche auslegte.

Schüchternheit kann eine Stärke sein. Zurückhaltung auch. Das hat König Philippe von Belgien in den vergangenen fünf Jahren gezeigt. Als er am 21. Juli 2013 vereidigt wurde, waren viele Belgier skeptisch. Im Gegensatz zu seinem Vater Albert II. (84) galt Philippe als steif und unbeholfen, alles andere als redegewandt.

Diesen Ruf hat der 58-Jährige zwar bis heute nicht abgeschüttelt. Doch das Volk hat ihn akzeptiert, wie die belgische Adelsexpertin Brigitte Balfoort sagt. «Die vergangenen fünf Jahre verliefen reibungslos», meint sie. Mehr noch: Die ungeahnten politischen Herausforderungen für Belgien in den vergangenen Jahren hat Philippe souverän gemeistert.

Die Terrorattacke in Brüssel im März 2016 verurteilte er in einer Ansprache an die Nation als widerlich und rief dazu auf, den Terror «mit Entschlossenheit, Ruhe und Würde» zu beantworten. In Belgien ist es ausgesprochen selten, dass sich der König nach aktuellen Ereignissen direkt an die Bevölkerung wendet.

Ein Jahr später beeindruckte er viele bei der offiziellen Gedenkfeier für die Terroropfer, als er sagte: «Wagen wir Zärtlichkeit.» Philippe fand den richtigen Ton. Seine viel kritisierte Zurückhaltung nahmen nun viele als Sanftheit oder Bedachtsamkeit wahr.

«Philippe ist präsent, mit seiner üblichen Zurückhaltung, aber zugleich einer augenfälligen Sensibilität in jeder seiner Gesten», formulierte es die Journalistin Sophie Lagesse Anfang Juli im «Soir Mag», dem wöchentlichen Magazin der belgischen Tageszeitung «Le Soir». Mit 200 bis 300 offiziellen Terminen pro Jahr im sozialen Bereich sei er allgegenwärtig. Die Bilanz seiner bisherigen Regentschaft sei «mehr als positiv».

Schon bei der Parlamentswahl vor vier Jahren hatte Philippe umsichtig gehandelt. Der belgische Regent hat zwar wenig Macht, spielt aber als Vermittler bei der Regierungsbildung eine wichtige Rolle. Philippe hielt sich aus öffentlichen Debatten heraus, verhinderte aber im Hintergrund mit seinen Mitarbeitern ein politisches Chaos. In etwas mehr als vier Monaten stand eine neue Regierung. 2010/11 hatte das mühsame Prozedere unter Albert II. eineinhalb Jahre gedauert. Damals drohte das Königreich mit den niederländischsprachigen Flamen im Norden und den französisch sprechenden Wallonen im Süden auseinanderzubrechen.

Diese sprachliche und kulturelle Zerrissenheit ist für den König die vielleicht grösste Herausforderung - und aus Sicht der Adelsexpertin Balfoort auch ein Grund für Philippes mangelnde Redegewandtheit. «Er muss seine Worte genau abwägen, immer zu gleichen Anteilen auf Niederländisch und Französisch sprechen. Er muss darauf achten, dass er in keiner der beiden Sprachen ein Wort mehr als in der anderen sagt.» Schliesslich komme dem König die Aufgabe zu, das Land zu einen.

Philippe ist der siebte König der Belgier, hat Politik studiert, ist Kampfpilot und Langstreckenläufer. 1999 heiratete er die damalige Gräfin Mathilde (45), eine standesgemässe Hochzeit im europäischen Hochadel. Die ausgesprochen leutselige Mathilde wirkt öffentlich wie die charmante bessere Hälfte des oft steifen Philippe.

Doch beide seien sehr ernst, sagt Balfoort. «Sie hassen es, wenn die Leute über sie tratschen. Doch das Volk will auch schöne Kleider und Glamour sehen - das gelingt dem niederländischen Königspaar deutlich besser.» Die beiden seien nicht besonders zugänglich, schreibt Lagesse. «Die belgischen Herrscher hüllen sich mitunter nicht nachvollziehbar in Schweigen, mit einer extrem verschlossenen Kommunikation.»

Als Paar geben sich Philippe und Mathilde bodenständig, bringen etwa ihre vier Kinder bisweilen selbst zur Schule. Thronfolgerin ist die 16-jährige Elisabeth. Die Jugend des Königs sei einst nicht so rosig gewesen, meint Balfoort. «Er ist nicht in einer warmen Familie aufgewachsen. Man darf nie vergessen, dass die Kinder sich quasi selbst aufgezogen haben.» Sie spricht damit die bewegte Vergangenheit von Philippes Eltern Albert und Paola an, denen beiden aussereheliche Affären nachgesagt wurden.

Ganz anders Philippe. «Die Leute sagen immer, er sei der am härtesten arbeitende Mensch im Palast», sagt Balfoort. Er sei jemand, der nicht durch sein glamouröses Auftreten auffallen wolle, sondern durch Inhalte. Seine nächste Bewährungsprobe erwartet ihn im kommenden Jahr. Dann sind wieder Parlamentswahlen in Belgien - und die Einheit von Flamen und Wallonen steht wieder einmal auf dem Prüfstand.

Zurück zur Startseite