17 Tage im Koma So geht es «Benny Beimer» von der «Lindenstrasse» heute

Von Caroline Bock, dpa/bb

16.6.2022 - 00:00

Seine berühmteste Rolle hatte er in der «Lindenstrasse»: Christian Kahrmann hat schon viele Rollen gespielt. Er hat ein sehr schweres Jahr hinter sich, mit geballten Schicksalsschlägen. Wie geht es ihm heute?

DPA, Von Caroline Bock, dpa/bb

Sein Café musste er dicht machen. Corona hat ihn schwer erwischt, er lag 17 Tage im Koma. Seine Eltern starben kurz hintereinander.

Christian Kahrmann hat viel durchgemacht.

Das vergangene Jahr hat Narben in seinem Gesicht hinterlassen, das waren der Tubus und der Schlauch für die Beatmung, wie er selbst erzählt. Vielleicht können die Ärzte da noch kosmetisch etwas machen, aber das ist für Kahrmann nicht so wichtig.

Er hat sich nach einem Schicksalsjahr zurück ins Leben gekämpft. Einiges entwickelt sich gerade gut, Stichwort Netflix. Am 19. Juni wird der Schauspieler, der als Benny Beimer in der «Lindenstrasse» bekannt wurde, 50 Jahre alt.

«Letztes Jahr um diese Zeit war ich am Rollator»

Bei vielen Schauspielern denkt man im echten Leben: Die sind ja kleiner als im Fernsehen. Bei Christian Kahrmann ist das anders – er ist ziemlich gross, 1,91 Meter.

Graue Haare, Jeansjacke, Silberschmuck an den Fingern, er posiert fürs Foto lässig auf dem Berliner Strassenpflaster. Das klingt nach hartem Kerl, aber so ist er im Gespräch nicht. «Letztes Jahr um diese Zeit war ich am Rollator», sagt er.

Kurz bevor ihn in der Pandemie das Virus erwischte, hat er seine Kaffeebar im Prenzlauer Berg schliessen müssen. Die Gastronomie war für ihn «eine tolle Erfahrung», aber auch ein Knochenjob, der im Rückblick zur richtigen Zeit vorbei war.

Er nahm sich Zeit für seine Eltern, beide um die 80, in seiner alten Heimat Köln. Dann bekam Kahrmann Gliederschmerzen, eine Infektion im März 2021, bevor das grosse Impfen losging. Es wurde richtig schlimm, er spricht von einer Nahtod-Erfahrung.

«Ich musste wieder laufen zu lernen»

Das Aufwachen nach dem Koma sei finster gewesen. «Ich kann mich vor allem an meine halluzinogenen Koma-Träume sehr gut erinnern, schemenhaft an das Zimmer. Komischerweise habe ich gedacht, dass die Schwestern und Pfleger immer dieselben seien und nur die Namensschilder vertauscht hätten.»

Er habe ziemlich unter dem Narkosemittel gestanden. «Mein Kopf war sehr wirr und müde. Es hat noch zwei Wochen gedauert, bis ich einigermassen wieder klar war.» Zwei Monate verbrachte er auf der Intensivstation, einen Monat in der Reha.

Als Kahrmann im Koma lag, starb sein Vater an Corona, wenig später seine Mutter an Krebs. Wie schafft man das alles? «Ich habe es überstanden durch das Gesundwerden meiner Physis, mit der Betreuung von vielen Ärzten, Kliniken und Therapie, mithilfe des Familienlebens, meiner Kinder, mit Reisen. Und mit dem Versuch, sprichwörtlich wieder laufen zu lernen.»

Seine Freundin, die selbst in Quarantäne gewesen sei, habe Unglaubliches geleistet; Kahrmann würdigt auch seine Ex-Frau. Das ganze Leid ging nicht auf Knopfdruck weg. «Aber man muss irgendwann wieder normal weitermachen.» Die Long-Covid-Symptome habe er überwunden. «Ich fange wieder langsam an, mache viel Yoga.»

Früher hätte sich ein Gespräch mit Kahrmann noch mehr um die «Lindenstrasse» gedreht, bei der er ab 1985 siebeneinhalb Jahre mitspielte. «Es war Segen und Fluch auch. Man muss als Kind schon funktionieren wie ein Erwachsener, hat natürlich andere Erlebnisse als die anderen Kinder, verdient schon Geld. Den Bekanntheitsgrad habe ich nie als besonders geil empfunden damals, weil mir das recht fremd war.»

«Die Leute haben mich verfolgt»

Christian Kahrmann war einer der wenigen Kinderstars im deutschen Fernsehen. Seine Eltern seien dabei auch kritisch gewesen. «Wir standen damals noch im Telefonbuch, da gab es dauernd Anrufe mit Streichen, die Leute standen vor der Tür oder haben mich verfolgt.»

Dass die «Lindenstrasse» abgesetzt ist, findet Kahrmann schade, weil die ARD-Serie ein Relikt des alten Fernsehens war. Aber er weiss auch, dass es das klassische lineare TV, also das Gucken nach festen Uhrzeiten und Gewohnheiten, heute schwer hat.

Die «Lindenstrasse» ist seit zwei Jahren Geschichte, sie war über Jahrzehnte Kult, fiel aber irgendwann aus der Zeit. Zur Einstellung hiess es damals von der ARD-Spitze:

«Das Zuschauerinteresse und unsere unvermeidbaren Sparzwänge sind nicht vereinbar mit den Produktionskosten für eine solch hochwertige Serie.» Die Aussenkulisse in Köln-Bocklemünd wurde gerade abgerissen. Zuletzt wohnten dort die Spatzen.

Kahrmann wollte sich nach dem Abitur und der «Lindenstrasse» professionell weiterentwickeln. Er lebte 1995 bis 1999 in New York, wo er Schauspiel studierte.

Die Liste mit seinen Rollen ist mittlerweile lang, darunter ist ein Film mit Bruce Willis («Das Tribunal»). Neulich sahen ihn seine 11 und 14 Jahre alten Töchter in einer alten Rosamunde-Pilcher-Schmonzette: als Pferdewirt in Reitklamotten. «Da haben sie sich natürlich kaputtgelacht.»

«Ganz klein und ruhig angehen»

Und jetzt?

Gerade hat er zwei grosse Projekte gedreht. «Blood And Gold» für Netflix, vom Stil her ein Westernfilm, er spielt im Zweiten Weltkrieg. «Spektakuläres Kino mit Spezialeffekten, Kostümen, Waffen.»

Für die ARD hat er in der Krimi-Miniserie «Asbest» unter der Regie von Kida Khodr Ramadan («4 Blocks») vor der Kamera gestanden. Darin geht es um den 19 Jahre alten Araber Momo, Kahrmann spielt den Vater von Momos Freundin, der fürchtet, dass seine Tochter in die falschen Kreise gerät.

Zurück im Beruf, zurück im Leben zu sein: «Das fühlt sich sehr schön an. Es tut mir unheimlich gut, wieder am normalen Leben teilzunehmen, Erfolgserlebnisse zu haben und wieder zu arbeiten, mich mit dem zu beschäftigen, was ich liebe und Kontakt zu Menschen zu haben.»

Er hat bei der Arbeit Lust auf Abwechslung. Und er hätte natürlich auch nichts gegen eine Rolle als «Tatort»-Kommissar, sagt er.

Seinen 50. Geburtstag will Kahrmann erst mal «ganz klein und ruhig» angehen und ihn wahrscheinlich im Spätsommer nachfeiern. «Aber ich muss ganz ehrlich sagen, mir ist noch nicht nach grosser Party-Sause mit vielen Leuten. Immer noch nicht.»


Magdalena Preisig, Aphasie-Betroffene: «Man wollte mich abschieben, aber ich wehrte mich»

Magdalena Preisig, Aphasie-Betroffene: «Man wollte mich abschieben, aber ich wehrte mich»

Nach einem Schlaganfall waren die Worte im Kopf von Magdalena Preisig verschwunden. Die 75-Jährige erzählt, was es bedeutet, nochmals sprechen lernen zu müssen – und worunter sie auf ihrem Weg zurück besonders litt.

31.05.2022