Drama-Situationen (3) Auch Donald Duck erzählt immer wieder das Gleiche

Von Fabian Tschamper

6.3.2021

Jedes Buch, jede Serie, jeder Film, einfach jede Geschichte, die jemals geschrieben wurde, folgt laut dem französischen Schriftsteller Georges Polti 36 Mustern. Bis heute trifft dies zu. Hier ist Teil drei der 36 dramatischen Situationen.

Von Fabian Tschamper

Georges Polti verfasste 1895 eine detaillierte Liste von 36 Grundplots, die alle Geschichten der Menschheit abdecken. Sein Buch erschien 1916 auf Englisch und wird bis zum heutigen Tag gedruckt. Unzählige Schreiber*innen, Autor*innen, Geschichtenerzähler*innen brauchen dieses Stück Literatur, um in ihren Branchen voranzukommen.

Als Beispiele werden klassische wie auch moderne Geschichten genannt. Einen kurzen Überblick verschafft Ihnen obige Bildergalerie. Die ersten beiden Teile finden Sie hier:

13
Hass unter Verwandten

Figuren:

  • ein verhasstes/bösartiges Familienmitglied
  • ein wechselseitig hassendes Familienmitglied

Dies ist vorneweg ein sehr loses Muster. Der Begriff «Verwandte» kann zutreffen, allerdings wäre «Schicksalgemeinschaft» passender. Also eine willkürliche Gruppe, die unfreiwillig verklammert ist. Aus dieser Bindung gibt es in dem Szenario kein Entkommen.

Ein simples Beispiel ist das Märchen mit Schneewittchen. Die eitle Grossmutter kommt mit dem Umstand nicht zurecht, dass ihre Nachkommen frischer und in dem Fall besser aussehen.

Und so sehr ich dieses Beispiel auch nicht nennen will, die US-amerikanische Komödie «Stepbrothers» mit Will Ferrell und John C. Reilly trifft haargenau auf dieses Muster zu: Der 39-jährige Brennan Huff (Ferrell) lebt noch bei seiner Mutter. Als sich jene einen neuen Ehemann anlacht, trifft Brennan auf dessen Sohn Dale (Reilly), der mit 40 Jahren noch bei seinem Vater wohnt. Die beiden Familien ziehen zusammen, die unausweichlichen Konflikte lassen nicht lange auf sich warten.

14
Rivalität unter Verwandten

Figuren:

  • ein bevorzugter Verwandter
  • ein benachteiligter Verwandter
  • ein Objekt der Begierde

Der Unterschied zur vorhergehenden Situation besteht darin, dass sich der Konflikt hier um eine Drittperson oder ein Objekt dreht. Das Beispiel amüsiert Sie hoffentlich genauso wie mich, die perfekte Vorlage hierfür liefert nämlich Entenhausen. Die Beziehung zwischen Donald Duck, Gustav Gans und Daisy beschreibt die Situation vortrefflich. Daisy ist zwar mit Donald verlobt, gleichzeitig aber auch die Angebetete von Gustav. Donald ist Gustavs Cousin. Daisy ist technisch gesehen auch Donalds Cousine, was man also davon halten soll, dass sie verlobt sind? Das überlasse ich Ihnen.

15
Ehebruch mit Mord

Figuren:

  • ein Ehebrecher
  • ein Liebhaber
  • ein Betrogener

Unzählige Geschichten spielen sich in diesem Dreieck ab. Abgesehen davon schien mir diese Situation sehr spezifisch im Gegensatz zu den bisherigen. Klar, es lassen sich unendlich viele Szenarien basteln, sobald der Liebhaber in flagranti erwischt worden ist. Die Vorlage scheint mir trotzdem ein wenig zu genau.

Eine ausgeweitete und clevere Adaption dieses Musters schuf «Der perfekte Mord» mit Michael Douglas, Gwyneth Paltrow und Viggo Mortensen.

Emily (Paltrow, die Ehebrecherin) ist die Ehefrau von Steven Taylor (Douglas, der Betrogene) und die alleinige Erbin von 100 Millionen Dollar. Dem Vermögen, das Steven über die Jahre mit seinem Unternehmen angehäuft hat. Sie ist unglücklich in ihrer Ehe und betrügt ihren Mann mit dem Künstler David (Mortensen, der Liebhaber). Jener tut dies fast schon gewerbsmässig, um sich über Wasser zu halten. Als Steven von der Affäre Wind bekommt, kontaktiert er David und verlangt von ihm, Emily zu ermorden. Im Gegenzug würde er seine Schulden begleichen – und ihn wegen seiner kriminellen Vergangenheit diesbezüglich nicht an die Behörden ausliefern.

16
Wahnsinn

Figuren:

  • ein Wahnsinniger
  • ein oder mehrere Opfer

Unter dem Strich ist das schnell erklärt: Eine Person wird wahnsinnig, verrückt und das Umfeld muss dafür bezahlen. Punkt. Dabei kann der Wahnsinn offen dargelegt werden oder im Versteckten geschehen. Beispiele hierfür gibt es wie Sand am Meer: Hitchcocks «Psycho», Kubricks «The Shining» oder auch Shakespeares «MacBeth».

Das waren die offensichtlichen, jedoch möchte ich Ihnen einen Film nahelegen, der mir persönlich sehr am Herzen liegt und ebenfalls in diese Sparte fällt. Das Drama wirkt in seinem Wahnsinn allerdings subtiler als die vorherigen Beispiele: «Take Shelter» mit Michael Shannon in der Hauptrolle erzählt die Geschichte eines Familienvaters in einem amerikanischen Vorort.

Curtis (Shannon) schläft sehr schlecht, er hat Albträume und Visionen von einem Sturm, der seine kleine Stadt dem Erdboden gleichmacht. Für ihn ist diese Katastrophe eine unabwendbare und er beginnt in seinem Garten einen Luftschutzbunker zu bauen. Seine Gemeinde, ja sogar seine Familie, wendet sich langsam von ihm ab – sie glauben, er sei verrückt.

Spoilern werde ich den Film nicht, es ist allerdings grosses Kino.

17
Tödlicher Leichtsinn

Figuren:

  • ein Leichtsinniger
  • ein Opfer
  • ein verlorenes Objekt

Der Leichtsinnige fällt hier eine Entscheidung mit schweren Konsequenzen. Meist werden jene aus Vernachlässigung oder Ignoranz herbeigeführt. Die Konsequenzen, die verlorenen Objekte, machen eine andere Figur zum Opfer des Leichtsinnigen.

Das englische Sprichwort «Curiosity killed the cat» (zu Deutsch: Neugier ist der Katze Tod) trifft dieses Muster sehr gut: Wenn wir uns für etwas interessieren, dann vernachlässigen wir oft die damit verbundenen Gefahren und Risiken. Diese können einen negativen Effekt auf uns und/oder unser Umfeld haben.

Der Horrorfilm «The Thing» – oder «Das Ding aus einer anderen Welt» – handelt von einer Forschungsstation in der Antarktis, deren Crew auf eine im Eis gefangene Kreatur stösst. Ohne Erwägung der Konsequenzen wird es aufgetaut und droht die Gemeinschaft am Südpol komplett auszurotten.

18
Unfreiwillige Verbrechen in der Liebe

Figuren:

  • ein Liebhaber
  • ein Geliebter
  • ein Offenbarer

Ach ja, da kommt einem gleich die tragische Geschichte von Ödipus (der Liebhaber) in den Sinn. Er tötet seinen Vater und heiratet seine Mutter (die Geliebte). Erst Jahre später erfährt er von seinen Taten durch den blinden Propheten Teiresias (der Offenbarer). Ödipus nimmt sich daraufhin selbst das Augenlicht und verschwindet mit seiner Schande ins Exil.

Ein modernes Beispiel ist hier der Film «Abbitte» mit Keira Knightley, James McAvoy und Saoirse Ronan. Das Drama handelt von zwei Schwestern, Cecilia (Knightley) und Briony (Ronan). Die jüngere Schwester, Briony, beobachtet eines Tages einen Flirt zwischen Cecilia und dem Sohn der Haushälterin, Robbie (McAvoy). Sie missinterpretiert, was dort geschieht und bringt etwas ins Rollen, das für die drei Jugendlichen schwere Konsequenzen hat.

Briony (eine irreführende Offenbarerin) unterstellt Robbie (dem Liebhaber), ein Mädchen entführt zu haben, was Cecilia (die Geliebte) wiederum missversteht. Die Verkettung von Missverständnissen und die Erzählung der Geschichte in drei Teilen machen diesen Film äusserst sehenswert.

Dies war Teil drei einer sechsteiligen Serie über die verschiedenen dramaturgischen Situationen, die jeder Geschichte seit Anbeginn der Menschheit zugrundeliegen. Teil vier folgt heute in einer Woche.