Schweizer Oscar-Hoffnung «Brautraub ist dort so normal wie Milch kaufen»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

11.2.2022

Die Schweiz darf auf einen Oscar hoffen. «Ala Kachuu» von Maria Brendle über eine archaische kirgisische Unsitte ist als bester Kurzfilm nominiert. Die Zürcher Filmemacherin über die harte Arbeit, die sie reingesteckt hat. 

Von Marlène von Arx, Los Angeles

«Sorry, ich konnte noch nicht alle E-Mails beantworten», entschuldigt sich Maria Brendle zu Beginn unseres Zoom-Interviews. Verständlich, denn seit ihr Film «Ala Kachuu – Take and Run» am Dienstag in der Kurzfilm-Kategorie eine Oscar-Nomination erhalten hat, klingelt das Telefon der Filmemacherin nonstop.

Die Nominations-Ankündigung hat sie gemeinsam mit ihren Zürcher Produzenten Nadine Lüchinger und Flavio Gerber verfolgt. Ihre kirgisischen Hauptdarstellerinnen Alina Turdumamatova und Madina Talipbekova waren per Zoom dazugeschaltet. «Ich musste einfach diesen Moment mit den Menschen erleben, die seit 2016 mit mir für diesen Film kämpften», sagt Brendle am Tag danach.

Der Jubel war gross. Der Trubel inzwischen auch: «Für mich ist das alles ganz neu. Vor drei Wochen interessierte sich niemand für mich, jetzt kommen so viele Anfragen, dass ich manchmal am liebsten einen Pausenknopf drücken würde. Aber es ist natürlich eine ganz tolle Erfahrung und ich bin dankbar, dass ich das alles mal durchleben kann.»

«Ala Kachuu» nennt sich der Brautraub-Brauch in Kirgistan und davon handelt auch Brendles Film. Die 19-jährige Sezim (Alina Turdumamatova) wird auf offener Strasse von einer Gruppe junger Männer gekidnappt und ins Dorf des Bräutigams verschleppt. Willigt sie nicht zur Heirat ein, wird sie von Familie und Gesellschaft ausgestossen. Sezim lässt nichts unversucht, einen Ausweg aus ihrer aussichtslosen Situation zu finden.


Der Trailer zu «Ala Kachuu – Take and Run».

Quelle: Filmgerberei


Maria Brendle erfuhr durch Zufall vom archaischen Brauch des Braut-Kidnappings. «Eigentlich hätte es ein gemütlicher Raclette-Abend werden sollen, um die Ferienfotos eines Freundes anzuschauen, der in Kirgistan wandern war», erinnert sie sich an den Abend vor knapp sechs Jahren. «Dann erzählte er von diesem Brauch, von dem ich noch nie etwas gehört hatte.» Der Gedanke liess sie nicht mehr los.

Sie machte Nachforschungen und erfuhr, dass es in Georgien und Zentralafrika ähnlich Bräuche gibt. «Für mich war schwierig zu begreifen, welche Normalität der Brautraub geniesst – fast wie Milch kaufen.»

Gesetzlich sei der Brautraub in Kirgistan zwar verboten und das Bewusstsein da, dass es etwas Falsches ist. Aber die Tradition ist offenbar stärker als das Gesetz: «Ich habe die Geschichte von einer entführten Frau gehört, die zur Polizei ging. Da hiess es, sie soll nach Hause gehen und das mit ihrer Familie selber klären.»

Die Dreharbeiten im zentralasiatischen Staat gestalteten sich nicht immer einfach. Es gab Stromausfälle sowie sprachliche und kulturelle Barrieren. Sie zweifelte jedoch nicht daran, dass sie auch als Aussenstehende dem Thema gerecht werden konnte: «Es gibt ja auch Regisseure, die Geschichten über Massenmörder erzählen und hoffentlich selber keine sind. Ein grosser Teil des Autoren- und Regie-Daseins besteht ja darin, sich in verschiedene Figuren einzufühlen. Das ist unser Job.»

Filmemacherin mit Master in Neurowissenschaft

Um ihre Protagonist*innen allgemein besser zu verstehen, hat die gebürtige Deutsche in Köln zusätzlich Neurowissenschaft studiert. «Ich bin ein Nerd und wollte einfach wissen, wie das Hirn funktioniert.» Ihre Masterarbeit drehte sich dann um die Entwicklung von Kreativität, das Erzeugen von Empathie und wie man Zuschauer*innen emotional näher an Figuren heranbringt.

Das Erforschte floss in «Ala Kachuu» mit ein, plus viel Herzblut: «Ich habe so hart für diesen Film gekämpft und persönliche Grenzen überwunden. Deshalb bedeutet mir die Oscar-Nomination auch sehr viel. Nun hoffe ich einfach, dass mir Corona nicht einen Strich durch dieses einmalige Erlebnis machen wird.»

Welche Corona-Massnahmen an der Oscar-Verleihung am 27. März zum Tragen kommen, ist noch unklar. Maria Brendle freut sich aber jetzt schon auf das Klassenfoto der Nominierten, das jeweils ein paar Tage vor der Verleihung am Lunch für die Nominierten gemacht wird. «Da würde ich gern Benedict Cumberbatch Hallo sagen. Oder Steven Spielberg. Ich glaube, Will Smith ist auch nominiert, oder? Bei mir ist das alles gar noch nicht so richtig angekommen», sagt die 38-Jährige strahlend.