Luzerner Theater Bettina Oberli: «Das ist die grösste Freiheit im Leben»

sda

30.9.2022 - 10:34

Die Schweizer Filmemacherin Bettina Oberli hat mit "Eugen Onegin" von Pjotr I. Tschaikowski zum ersten Mal Opernregie geführt.
Die Schweizer Filmemacherin Bettina Oberli hat mit "Eugen Onegin" von Pjotr I. Tschaikowski zum ersten Mal Opernregie geführt.
Keystone

Heute Abend feiert die Oper «Eugen Onegin» im Luzerner Theater Premiere. Regie führt die Filmemacherin Bettina Oberli. Ein Gespräch über schwierige Entscheidungen, das unmittelbare Leben und ein Bedauern.

30.9.2022 - 10:34

Bettina Oberli, warum übernimmt eine bekannte Filmemacherin eine Opernregie?

Oberli: Film und Oper haben eine grössere Verwandtschaft, als man vielleicht auf den ersten Blick glaubt. Ich denke an die künstlerischen Freiheiten, das visuelle Assoziieren, die Verbindung von Musik und Schauspiel. Film und Oper sind sehr sinnliche Kulturformen. Trotzdem sind da auch Unterschiede: Bei der Oper gibt es weniger Vorbereitungszeit, die Musik steht im Zentrum und durch jede neue Aufführung ist da etwas Flüchtiges.

Sie inszenieren «Eugen Onegin» von dem russischen Komponisten Pjotr I. Tschaikowski. Warum genau dieses Stück?

Oberli: Ich wurde 2019 von der damaligen Intendanz in Luzern angefragt. Auf die Stückwahl hatte ich keinen Einfluss. Auch die Besetzung war vorgegeben. Das habe ich aber genossen. Wenn ich einen Film mache, muss ich so viele Entscheidungen treffen, so vieles lastet auf meinen Schultern – und am Abend schreibe ich meistens noch das Drehbuch um, passe an, streiche. Bei der Oper gab es einen festeren Rahmen – und den empfand ich als Geschenk. Ausserdem steht bei einer Oper die Dirigentin, der Dirigent im Mittelpunkt und nicht so sehr die Regisseurin oder der Regisseur.

Die Premiere hat sich wegen Corona um zwei Jahre verzögert. Wie haben Sie das erlebt?

Oberli: Es hat mir kurzzeitig das Herz gebrochen. Wir haben so viel Liebe und Energie in dieses Projekt gesteckt. Und dann zwei Wochen vor der Premiere der Stillstand. Ich habe lange nicht gewusst, was aus der Inszenierung wird, fürchtete, dass sie nie aufgeführt wird. Filme lassen sich besser verschieben als Theaterstücke und Opern. Das Bühnenbild und die Kostüme wurden dann aber eingelagert und die neue Intendanz hat entschieden, dass sie das Stück bringen wollen, einfach in neuer Besetzung. Wegen meinen anderen Aufträgen konnte ich allerdings nicht mehr so viel Zeit investieren, wie ich mir das gewünscht habe.

War dieses Loslassen schwierig?

Oberli: Nein, erstaunlicherweise gar nicht. Die Spielleiterin Sophiemarie Won hat hervorragende Arbeit geleistet. Ich lebe gut damit, dass nicht mehr alles so ist, wie ich es geplant habe. Ich war noch nie so neugierig bei einer Premiere einer eigenen Arbeit. Etwas allerdings bedaure ich.

Was denn?

Oberli: Ich hatte eine Tänzerin engagiert. Ihre Rolle war mir wichtig für das Stück. Dieses Element fällt nun weg, weil die Frau aus Russland stammt und mit Kriegsausbruch vieles nicht mehr möglich war.

Wie sehr hat der Ukrainekrieg das Projekt beeinflusst?

Oberli: Natürlich war der Überfall Russlands auf die Ukraine ein Thema. Ein sehr grosses. Wir haben lange gerungen, viele Gespräche geführt, abgewogen. Wo ist unsere Verantwortung? Was ist unsere Haltung? Schliesslich haben wir den künstlerischen Entscheid getroffen, dass wir das Stück aufführen. Dazu beigetragen haben auch die Überzeugung, dass Tschaikowski sicher nicht auf Putins Seite gestanden hätte und der Fakt, dass die Arbeiten lange vor Kriegsausbruch aufgenommen worden waren. Ich bin mir aber bewusst, dass solche Entscheidungen immer komplex sind.

Genau. Andere Häuser haben anders entschieden.

Oberli: Jedes Stück hat Eigen- und Besonderheiten, unterschiedliche Hintergründe. Es gibt für alle Entscheide nachvollziehbare Gründe. Eine apodiktische und verallgemeinernde Haltung ist mir zu radikal. Ich finde, diese Fragen können nur von Fall zu Fall beantwortet werden.

Sie haben bereits ein Theaterstück inszeniert. Als Opernregisseurin sind Sie ein Neuling. Wie wurden Sie aufgenommen?

Oberli: Sehr positiv und warm. Ich habe aber meine Unerfahrenheit auch nicht kaschiert und nicht so getan, als wüsste ich alles. Es gab keine Diven, sondern viel gegenseitige Dankbarkeit und Hilfe.

Was fasziniert Sie an diesem Stück?

Oberli: Es ist eine Oper über Menschen wie Du und ich. Es geht um Gefühle und Gesten, vieles ist sehr psychologisch. Der Zugang ist ganz einfach, weil Menschen auf der Bühne Emotionen erleben, die wir alle kennen. Es ist nichts Überhöhtes, Künstliches da, sondern das direkte, unmittelbare Leben. Da erkenne ich Parallelen zu meinem Verständnis von Film. Was mich interessiert, ist, was die Menschen bewegt und beschäftigt. Gleichzeitig hat mich die Musik in einer Weise gepackt und berührt, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Dieses Ausgesetztsein, diese Schutzlosigkeit und diese Direktheit haben mich ergriffen.

Das Stück erzählt eine Geschichte über die grosse Liebe, aber auch über ungelebte Träume und den falschen Zeitpunkt im Leben.

Oberli: Für mich geht es nicht primär um eine tragische Liebe oder das Verpassen der Liebe. Für mich steht die Entwicklung der Hauptfigur von einem naiven Mädchen hin zu einer selbstbewussten Frau im Zentrum. Es geht darum, Mut zu haben, Freiheit zu erkämpfen und zu bekommen. Das ist doch die grösste Freiheit in unserem Leben: Wenn wir die Wahl haben. Diese Gedanken haben überall auf der Welt gerade wieder eine enorme Dringlichkeit und Bedeutung erhalten.

ZUR PERSON: Bettina Oberli (1972), Autorin und Regisseurin, bekannt für «Im Nordwind», «Die Herbstzeitlosen», «Wanda mein Wunder» oder zuletzt die Serie «Emma lügt» für SRF.

* Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

sda