«Babylon Berlin» Das Moka Efti Orchestra: Mit «Babylon Berlin» auf die Bühne

dpa/Werner Herpell

15.2.2020

Sängerin Swetlana mit dem Moka Efti Orchester.
Sängerin Swetlana mit dem Moka Efti Orchester.
Bild: SWR

Die erfolgreiche TV-Serie «Babylon Berlin» lebt auch von ihrer Musik. Deren Macher profitieren mit dem Moka Efti Orchestra vom 20er-Jahre-Boom - und setzen auf dem Albumdebüt ganz eigene Akzente. Auch live ist die Bigband ein Ereignis.

Es ist eine der faszinierendsten Szenen der erfolgreichen Fernsehserie «Babylon Berlin»: Im brodelnden Nachtclub Moka Efti schmachtet die mit Schnurrbart, Anzug und Zylinder als Mann verkleidete Sängerin Swetlana ihr Lied «Zu Asche, zu Staub». Das zügellose Leben im Berlin der späten 1920er-Jahre kulminiert in diesem mit abgrundtiefer Stimme intonierten, melancholischen Jazz-Chanson. 

Die musikalische Fortsetzung und Begleitung des Historienkrimis – und noch einiges mehr – liefert nun das Debütalbum einer aus der Serie hervorgegangenen Bigband: Vorhang auf für das Moka Efti Orchestra mit «Erstausgabe». Pünktlich zum Start der dritten Staffel von «Babylon Berlin» (nach dem zweiten Gereon-Rath-Roman von Volker Kutscher) auf Sky.

Auch auf dem Album singt die litauische Schauspielerin Severija Janušauskaitė, die in der Serie als zwielichtige Bühnenkünstlerin Swetlana Sorokina auftritt, mehrere Lieder. Neben «Zu Asche, zu Staub» aus der Serie zelebriert die 38-Jährige mit eindrucksvoll androgyner Altstimme das düstere «Snake - Together Alone», das lässige «Die Nacht» und die berühmt-berüchtigte Selbstmörder-Ballade «Gloomy Sunday» – auf Russisch.

Doch das Moka Efti Orchestra beschränkt sich nicht darauf, mit dem Album nur neue Kopfkino-Szenen für «Babylon Berlin»-Fans in Gang zu setzen. Na klar, der Swing-Jazz der «Roaring Twenties» kommt vor («Hollaender Mashup», «Frenzy», «Wannsee Weise»). Aber auch einen von der Twenties-Nachtclub-Ära abgesetzten «Crocodile Blues» spielt das Orchester, zudem freche Dialekt-Lieder («Lange Beene», «Tschuldigensemal») und Stücke, die bei heutigen Pop- und Songwriter-Sounds anknüpfen («Rainbow», «Süsse Lügen»).

Hier kommt «Rainbow»-Sänger Nikko Weidemann (58) ins Spiel. Zusammen mit Komponist Mario Kamien und Arrangeur Sebastian Borkowski leitet der seit Jahrzehnten aktive deutsche Studio- und Livemusiker (Einstürzende Neubauten, Rio Reiser, Nena, Nick Cave, Rufus Wainwright) das Moka Efti Orchestra. Dessen Geschichte begann vor vier Jahren, als Regisseur Tom Tykwer Weidemann bat, die Musik für sein aufwendiges TV-Serienprojekt beizusteuern.

Eine schlichte Reproduktion von 20er-Jahre-Klischees schwebte Tykwer und seinen Komponisten indes nicht vor. «Die Idee war, eine Brücke zu schlagen zum Heute», sagt Weidemann im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Tom erkannte bei mir eine grosse Neugier, über den Tellerrand hinaus nach Inspirationen zu suchen. Auf einmal ergab sich aus dieser Auftragsarbeit ein ganz wunderbarer Blumenstrauss aus musikalischen Farben.»

«Babylon Berlin» war in jeder Hinsicht ein gelungenes Experiment - und der Ende 2017 veröffentlichte Soundtrack sehr erfolgreich. Zu dieser Zeit entstand auch die Idee, «die Arrangements auf die Bühne zu holen – die für die Serie gecasteten Musiker waren ja alle da», erzählt Weidemann. Im Mai 2018 folgte der erste grössere Auftritt im Berliner «Lido».

2019 wurden 30 Konzerte gespielt, darunter auch vor einem so perplexen wie begeisterten Indie-, Folkrock- und Popfans bei den «Rolling Stone»-Festivals im vorigen November.

Die Auftritte des Moka Efti Orchestra vor unterschiedlichstem Publikum, vom Konzertsaal über die Festivalbühne bis zum mittelgrossen Club, waren «wie ein Dosenöffner», sagt Mario Kamien (51) im dpa-Interview. «Mit dem Album «Erstausgabe» machen wir klar, dass wir keine Revueband sind, sondern ein eigenständiger Act. Mit einem Fuss stehen wir noch in der Serie, mit dem anderen schon draussen.»

Daher singt auf dem Debüt zwar mehrfach die zum festen Orchester-Mitglied ernannte Severija Janušauskaitė aus «Babylon Berlin» – aber in «Süsse Lügen» eben auch der aufstrebende deutsche Singer-Songwriter Moritz Krämer (Die Höchste Eisenbahn). Er steuert einen nöligen, modernen Tonfall bei, den die Serienmusik so nicht hatte (um stattdessen mit dem Auftritt von Roxy-Music-Grandseigneur Bryan Ferry zeittypische Dekadenz zu verströmen).




Weidemann und Kamien wissen natürlich, dass «Babylon Berlin» mehr spiegelt als nur wilde Ausgelassenheit – im «Moka Efti» der Serie wird ja bereits auf dem Vulkan getanzt, die Nazis sind schon längst da. Beide Musiker sehen die 1920er als immer noch etwas «unterbelichtete Zeit», ihre Wiederentdeckung sei auch «eine Feier des gesellschaftlichen Fortschritts».

Den Startmoment durch «Babylon Berlin» will das Moka Efti Orchestra – ein gutes Dutzend brillante Musiker und Performer – nun nutzen. Mit dem Album «Erstausgabe», dem durchaus noch weitere folgen sollen, und einer ausgedehnten Tournee. Deren Start ist im Ballhaus Berlin – der Club wirbt mit den Worten: «Hier, wo die ‹wilden Zwanziger› der Weimarer Tage harmonisch im Geist und Stil des Heute aufgehen». Das passt.

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