Schwyzer Sängerin Kings Elliott Ihre Musik ist so ehrlich, dass es ihr im Dorf unangenehm wäre

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

16.12.2021

Aufgewachsen ist sie im Kanton Schwyz, jetzt will Kings Elliot von London aus musikalisch die Welt erobern.
Aufgewachsen ist sie im Kanton Schwyz, jetzt will Kings Elliot von London aus musikalisch die Welt erobern.
Bild: Universal Music Group

Schon im Kindergarten wollte Kings Elliot nur singen. Der Traum kostete die Wahl-Londonerin aus dem Kanton Schwyz viel Lehrgeld. Aber seit zwei Monaten lebt sie ihn – und hat einen weltweiten Plattendeal in der Tasche.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

16.12.2021

Der Kontrast zwischen der quirligen jungen Frau, die einen im Haus ihres Produzenten in Tottenham empfängt, und ihren Liedern ist frappant. Hier das bereitwillige Lachen, das blaue Haar und überhaupt die offene Art.

Dort die Songs, die vom Gefühl des Ausgeschlossenseins handeln, von Berg- und Talfahrten zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Und doch: Die beiden Seiten sind fest miteinander verknüpft. Die eine gäbe es ohne die andere nicht. Hier die bedingungslose Offenheit, mit der Kings Elliot sich und ihre Ängste unter die Lupe nimmt.

«Melancholie kann befreiend sein»

Dort die Fähigkeit, düstere Gedanken in Melodien zu verpacken, die unter die Haut gehen. Das Phänomen hat eine Geschichte, die vom Blues bis Nick Drake reicht.

Von traurigen Liedern geht manchmal eine geradezu euphorisierende Wirkung aus. «Melancholie kann befreiend sein», sagt Kings Elliot und zitiert als Beispiel ihr Lied «Call me a Dreamer».

Zum Autor: Hanspeter «Düsi» Künzler
Bild: zVg

Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie die NZZ und blue News. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».

«Der Text ist ja eigentlich traurig. Es geht um die Person, die ich gern wäre und die ich manchmal auch bin, aufgestellt und gesund. Jetzt aber stecke ich wieder im Tief, blicke auf diese Person zurück und denke: Warum hast du mich verlassen? Aber die Melodie ist so euphorisch! Das Singen befreit mich.»

«Was mache ich jetzt?»

Kings Elliot wuchs am Schwyzer Ende des Zürichsees auf, aber damals hiess sie natürlich noch nicht so. Den Namen «Kings» nahm sie an, weil ihr die Aussage von Lorde gefiel: «it’s entertainment and you can call yourself whatever you want». «Ich sass im Flieger und da fiel mir ‹Kings› ein – alles was ich nicht bin, maskulin, Mehrzahl, königlich …»

«Elliot» wiederum klaubte sie aus der Familiengeschichte ihrer Mutter, einer Engländerin. Schon im Chindsgi habe sie nur eines gewollt: Singen. «Ich weiss nicht, wieso. Ich war nicht etwa ein Wunderkind mit einer Wunderstimme. Ich wollte es einfach.»

Sie absolvierte noch kurz das KV in Lachen, aber sobald es ging, zog sie  nach London. Hier belegte sie einen einjährigen Kurs in einer der Pop-Schulen, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. An der Schule bekam sie immer wieder denselben Vers zu hören: «Du kannst nicht immer nur Balladen schreiben!»

«Am Anfang dachte ich, Scheisse, das stimmt, ja. Was mache ich jetzt?» erinnert sich die Künstlerin. Lana Del Rey und Billie Eilish zeigten ihr, dass solche «Regeln» nicht in Stein gemeisselt sind: «Als ich Lana Del Rey entdeckte, merkte ich, dass man das kann, dunkle, melancholische Lieder singen.»

Und Billie Eilish zeigte mir, dass man nicht immer laut und gross sein muss wie Adele. Das hat für mich Türen aufgetan. Ich kann auch mich selber sein und traurige, leise Lieder singen! Und irgendwie hat’s damit jetzt auch geklappt.»



Über Nacht fiel ihr der Erfolg nicht in den Schoss. Mehrere Jahre lang driftete sie von einem «mega-grusigen» Flatshare zum nächsten. Als Barmaid zapfte sie Guinness, in der Tierhandlung fütterte sie Fische, sie arbeitete im Events-Team von Vice, verkaufte Tickets für Dice und sass im legendären Metropolis-Studio am Empfangspult.

«Das Wichtigste ist das Bauchgefühl»

Das Wichtigste an der Pop-Schule seien nicht die Lektionen gewesen, meint sie, sondern die Verbindungen, die man knüpfte. Eine solche Bekanntschaft vermittelte ihr den Job als Chef-Sekretärin des Gründers von Relentless Records, einem Plattenlabel, das zum Sony-Konzern gehört.

Hier war sie bei allen wichtigen Meetings dabei. «Ich hatte ja das KV gemacht, ich konnte gut das Telefon abnehmen und Protokolle schreiben. Ich habe zweieinhalb Jahre dort verbracht und dabei alles gelernt, was man über das Business wissen muss.»

Die Anonymität der Grossstadt London sei lebenswichtig gewesen für ihre Entwicklung als Songschreiberin. «Ich wollte Musik machen, die so ehrlich war, dass es mir in meinem Schweizer Dorf unangenehm gewesen wäre, sie online zu stellen, – und dann wäre ich im Coop dem Fritz von der Schule begegnet.»

«Als ich Lana Del Rey entdeckte, merkte ich, dass man das kann, dunkle, melancholische Lieder singen»: Kings Elliot.
«Als ich Lana Del Rey entdeckte, merkte ich, dass man das kann, dunkle, melancholische Lieder singen»: Kings Elliot.
Bild: Universal Music Group

Zum Selbstfindungsprozess gehörte das Ausprobieren von verschiedenen Arbeitsmethoden. «Das Wichtigste ist das Bauchgefühl. Du musst machen, was tief im Bauch drin bist. Das wusste ich am Anfang auch noch nicht. Alle sagen Dir, was Du sein solltest. Dabei kannst du nur eines tun: zu dir selber finden.»

Mit dem Produzenten Conway Ellis (Halfrhymes) und seinem Studio in Tottenham wurde sie vor drei Jahren fündig. «Das Liederschreiben ist für mich so was wie Selbsttherapie», erklärt Kings Elliot. «Darum geht es zusammen mit einer einzigen, anderen Person am besten. Conway kennt all meine Geschichten, er weiss, wer ich bin. Wir reden sehr viel. Manchmal muss man vier Stunden reden, ehe wir ein Lied schreiben können.»

«Es ist mein Traum»

Nun sind diese Lieder reif fürs Publikum. Dazu gehören nicht nur Singles und die erste EP mit fünf Stücken, «Chaos in My Court». Es gehören dazu auch Bühne, Radio und Fernsehen. Die ersten Male schluckte sie ein Valium, um die fürchterliche Bühnenangst niederzuringen. Inzwischen sei es nicht mehr so schlimm.

Sobald sie den ersten Song hinter sich gebracht hat, legt sich das Lampenfieber. «Die Vorstellung von diesem Rummel ist beängstigend», gesteht sie, «aber es ist ja auch mein Traum! Wenn ich auf die Bühne soll, habe ich einen Weinkrampf – dabei liebe ich es über alles! Der Körper sagt nein, das Gehirn sagt ja. Ich muss kämpfen. Aber wenn es vorbei ist, bin ich emotional da oben».