Kolumne am Mittag Dolly Parton kann, was Joe Biden gern möchte

Von Tobias Bühlmann

19.1.2021

Dolly Parton – hier ein Bild von 2002 – mausert sich zur Integrationsfigur für ein zerrissenes Land.
Dolly Parton – hier ein Bild von 2002 – mausert sich zur Integrationsfigur für ein zerrissenes Land.
Bild Keystone/AP/M. Spencer Green

Die USA sind am Tag vor der Amtseinführung Joe Bidens tief gespalten. Beim Kitten der Risse könnte eine helfen, die heute ihren 75. Geburtstag feiert: Dolly Parton.

Dolly Parton hatte lange ein schlechtes Image: Die Musikerin wird oft reduziert auf den Titel ihrer ersten Single: «Dumb Blonde» – zu deutsch «dummes Blondchen». Und dass sie mit Country-Musik gross geworden ist, trägt ihr von vielen ebenso Verachtung ein wie die zahlreichen Schönheitsoperationen, die sie schon hinter sich hat.

Spötter mögen darum sagen, dass heute nur Teile von Dolly Parton 75 Jahre alt werden. Doch sie outen sich damit als Ignoranten. Denn Parton könnte ein Wahlversprechen Joe Bidens einlösen, das der baldige neue Präsident der USA selbst kaum erreichen wird: die tiefen Gräben überwinden, die sich durch Amerika ziehen.

Denn Dolly Parton ist an ihrem 75. Geburtstag überlebensgross: Geboren und aufgewachsen ist sie im ländlichen Tennessee in einer armen Familie zusammen mit elf Geschwistern. Sie wurde schon in jungen Jahren mit ihrer Musik bekannt, schrieb in ihren 20ern das Lied «I Will Always Love You», das unzählige Male gecovert wurde – und heute vor allem in der Version von Whitney Houston bekannt ist. Oder den Country-Song «Jolene», der ebenfalls Dutzende Male gecovert wurde.

Frauenrechte und Spenden für Impfstoff

Mit ihrer Bekanntheit und ihrem Geld hat sie sich mehrfach hinter gesellschaftliche Anliegen gestellt. 1980 gab sie in «9 to 5» ihr Debüt als Filmschauspielerin. Die Hitkomödie verlieh dem Anliegen Schub, Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu bezahlen. Und jüngst machte sie Schlagzeilen mit einer Millionen-Spende an das Pharma-Unternehmen Moderna, die die Entwicklung eines Covid-19-Impfsotffs voranbringen sollte.

Parton blickt mit viel Humor und Ironie auf sich selbst. Der Kritik, sie pflege mit ihrem Look der grossbusigen Blondine einen billigen Look, hält sie entgegen mit dem geflügelten Wort «Es kostet mich eine Menge Geld, so billig auszusehen».



Den konservativen Teil der USA braucht sie längst nicht mehr von sich zu überzeugen. Sie liegen Dolly Parton wegen ihrer Musik und ihrer Herkunft aus einem armen und ländlichen Umfeld längst zu Füssen. Und besuchen in Scharen ihren Vergnügungspark Dollywood, wenn sie nicht gerade eine Pandemie davon abhält.

Hommage in Podcast-Form

Doch in den letzten Jahren ist Parton auch im urbanen und progressiven Amerika angekommen. Country hat sein biederes Image abgestreift und ist dank Musikern wie Taylor Swift oder Lil Nas X mit seinem Hit «Old Town Road» in weiten Teile der Gesellschaft beliebt unterdessen. Inzwischen treffen san den Konzerten von Dolly Parton Rednecks auf Transgender, Demokraten auf Libertäre, Städterinnen auf Landbewohner. Und Parton selbst umarmt ihre Fans – und vermeidet es tunlichst, sich zur Tagespolitik zu äussern.

Endgültig zum Heiligen-Status verholfen hat Dolly Parton dann ein Podcast. «Dolly Parton’s America» von Jad Abumrad, einem der bekanntesten US-Radiomoderatoren, zeichnete 2019 ein ausführliches und feinfühliges Porträt der Musikerin und brachte sie auch Menschen näher, die sie bisher kaum kannten – auch dem Autor dieser Zeilen.

Nach 75 Jahren ist Dolly Parton am Punkt angekommen, an dem sie ihr Land eint: Sie betont, was die USA verbindet, und hilft so, Risse zu kitten. Darum wollen sie ihre Fans auf den Sockel heben – und zwar wortwörtlich: Büsten von Dolly Parton sollen auf die Sockel kommen, auf denen bisher Kriegshelden der Südstaaten standen. Diese Symbole des systematischen Rassismus der US-Gesellschaft würden so Platz machen für eine Frau, die Gräben überwindet, statt sie zu vertiefen.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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