Drehbuchautoren im Interview Der «Tatort»:  Eine Konstante gegen die Streamer

Von Carlotta Henggeler

15.10.2020

«Tatort»-Quartett: Drehbuchautor Stefan Langenegger, Carol Schuler (Tessa Ott), Anna Pieri Zuercher (Isabelle Grandjean) mit Autor Lorenz Langenegger (v.l.n.r).
«Tatort»-Quartett: Drehbuchautor Stefan Langenegger, Carol Schuler (Tessa Ott), Anna Pieri Zuercher (Isabelle Grandjean) mit Autor Lorenz Langenegger (v.l.n.r).
SRF/Valeriano Di Domenico

Warum Zürich sich besonders gut eignet, um «Tatort»-Fälle zu entwickeln, das erzählen die Drehbuchautoren Stefan Brunner und Lorenz Langenegger. Und warum sie mit Kritik zu «Züri brännt» rechnen.

Es ist eine unglaubliche Geschichte im schnelllebigen Fernseh-Business: Der ‹Tatort› hat dieses Jahr das 50. Jubiläum gefeiert. Was macht den Sonntagskrimi derart erfolgreich?

Stefan Brunner: Die Zuschauer interessieren sich für die Ermittler-Figuren und sagen: ‹Ah cool, heute kommen die aus Münster, das sind die Lustigen. Das schauen wir.› Der Sonntagabend vor dem Fernsehen ist eine Konstante gegen die Streamer. Wir hoffen, dass Ott/Grandjean auch zum geflügelten Wort wird.

(u.a. ‹Die Musik stirbt zuletzt›). Es ist wohl ein Vorteil, dieses Universum schon gut zu kennen.

Lorenz Langenegger: Ja, wir haben ab dem 10. Luzerner ‹Tatort› mitgewirkt, das heisst, Flückiger und Ritschard hatten schon eine lange Lebensgeschichte. Jetzt, beim Zürcher ‹Tatort›, haben wir von Grund auf alles neu erfunden: das Konzept und die Figuren. Mit jedem weiteren ‹Tatort›-Drehbuch kommen wir dem perfekten TV-Krimi hoffentlich näher (lacht).

SB: Uns war von Anfang an klar, dass die Figuren Ott/Grandjean einer starken Hintergrundgeschichte bedürfen. Sie müssen ein unverkennbares Profil haben, weil sich der Zuschauer im Grunde dafür interessiert. Klar, der Fall selbst darf nie langweilen, sonst wird weggezappt. Doch den ‹Tatort› schaltet man ein, weil man die ErmittlerInnen sehen will.

Ihr habt zuerst die Figuren ausgedacht, danach wurden die passenden Schauspieler gesucht. Da habt ihr viel Kredit von den ‹Tatort›-Machern erhalten.

SB: Es war eine schöne Zusammenarbeit mit SRF und der Produktion Zodiac Picture. Wir waren bei den Castings des Ensembles beteiligt. Auch beim Schnitt konnten wir Anmerkungen anbringen. Das gibt es nicht so oft in diesem Metier, in dem ich schon eine Weile tätig bin.

LL: Ich finde es löblich, dass das SRF nicht einfach die bekanntesten Nasen des Schweizer Films genommen hat. Man entwickelte neue, starke Figuren, dann erst wurde gecastet. Das gab viel Freiheit, bedeutete aber auch viel Verantwortung.

Es war ja auch schon von Anfang an klar, dass zwei Frauen ermitteln werden.

SB: Nein.

LL: Bevor die Zusammensetzung klar war, wussten wir, wir wollen eine Figur kreieren, die in Zürich verwurzelt ist, und eine, die fremd ist in der Stadt. Damit kamen die Romandie und die Mehrsprachigkeit der Schweiz ins Spiel.

SB: Wir wollten auch die Schweiz abbilden. Daraus ergab sich der Vorteil, dass die Fremde in Zürich Hochdeutsch spricht und wir eine Person weniger synchronisieren mussten.

Stimmt. Wir Schweizer müssen den ‹Tatort› synchronisieren. Da gab es in der Vergangenheit auch schon Knatsch …

SB: Es ist gemein, wir Schweizer sind die Einzigen, die das machen müssen. Dabei versteht man die Österreicher knapp noch.

Zurück nach Zürich: Die Finanzstadt hat mit dem Rotlichtmilieu eine dreckige Seite. Hier lassen sich mehr Geschichten erzählen als in Luzern.

LL: Ich denke schon. Zürich ist grösser und damit auch die Gegensätze.

SB: Ja, Zürich vereinigt viele Kontraste. Zürich ist auch kosmopolitischer als andere Schweizer Städte. Hier kannst du über Google einen Fall schreiben oder die Fifa.

Stimmt. Gute Voraussetzungen.

SB: Ja, und das übergeordnete Thema der neuen ‹Tatort›-Reihe ist Spätkapitalismus und Klassenkampf, weil Zürich ein bedeutender Finanzplatz und die reichste aller ‹Tatort›-Städte ist. Das wollten wir bedienen.

LL: Dieser Reichtum ermöglicht auch viel Theater, Kino, Musik, die Kulturszene ist für die Grösse der Stadt unglaublich. Aber natürlich gibt es, wo es viel zu verteilen gibt, auch Neid und Missgunst. Stoff für Geschichten.

Die Jugendunruhen der 80er-Jahre in Zürich stehen in ‹Züri brännt› im Zentrum. Eine Zeit, die ihr vom Alter her nicht miterlebt habt. Seid ihr dafür ins Staatsarchiv gegangen?

LL: Diese Zeit ist gut dokumentiert mit Videos, Archivmaterial und Zeitzeugen.

SB: Ich bin in Bern aufgewachsen, war 1980 vier Jahre alt. Bei uns in Bern kennt man den Begriff ‹Züri brennt› schon, für uns waren jedoch die Reithallen-Unruhen näher. Ich finde es gut, dass wir dem Zuschauer mit Bildern helfen, zu verstehen, was in dieser Zeit wirklich passiert ist.

‹Züri brännt› ist eure Zürcher ‹Tatort›-Premiere. Angst vor Kritiken?

SB: Ich lasse jemand anderen erst die Kritik lesen und frage dann, wie schlimm es ist.

LL: Ja, und gerade beim ‹Tatort› gehen die Meinungen so oft auseinander. Die gleiche Folge bekommt Verrisse und Hymnen. Und selten, vielleicht einmal pro Jahr sind sich alle einig, dass es ein toller Tatort war. Das gehört halt dazu.

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