TV-Kritik «Gesichter&Geschichten» –
aua, mein Hirn tut weh!

Von Gion Mathias Cavelty

15.12.2020

«Da waren mir all die Ex-Missen & Co. doch lieber», urteilt TV-Experte Gion Mathias Cavelty über die Premiere von «Gesichter&Geschichten».

Das SRF-Gesellschaftsmagazin «G&G» (was ursprünglich für «Glanz&Gloria» stand) hat seit gestern einen neuen Namen: Es heisst jetzt «Gewichte&Gedichte». Nein, sorry: «Gedudel&Gelobhudel». Nein, auch nicht ... «Geschwurbel&Gekurbel»? «Geflügel&Geprügel»?

Nein ... «Gesichter&Geschichten». Genau, das war's!

Ich will ehrlich sein: Ich habe es als TV-Kritiker nie gut mit «Glanz&Gloria» gemeint. Habe mich stets lustig gemacht über Beiträge wie «Gotthard très chic!» (Inhalt: Für ein Foto-Shooting für die ‹Schweizer Illustrierte› tauschten die Hardrocker ihre Lederkluft gegen Anzug und Krawatte – und das war's) oder «Gute Fee auf Kuba» (Inhalt: Miss Schweiz Anita Buri setzte sich in einem kubanischen Dörfchen in Szene und bilanzierte: «Wemme tenkt: Die händ nüüt und sind trotzdem extrem zfride!»).

Doch nun haben die Macher von «G&G» angekündigt, dass alles ganz anders werden soll – «gehaltvoller», «mehr in die Tiefe gehend», mit neuen Rubriken; zum Beispiel über «Frauen, die es im juristischen Bereich zu nationalem und internationalem Ruhm gebracht haben», wie es Redaktionsleiterin Paola Biason in einem Interview formulierte.

Überdies, fuhr sie im selben Interview fort, sei es schon seit Längerem so, dass «G&G» gehaltvoller geworden sei. Ach so! Dann kann es jetzt eigentlich nur NOCH MEGA VIEL gehaltvoller werden!

Bin ich aus Versehen beim «Kulturplatz» gelandet?

Nachdem ich die gestrige Premiere gesehen habe, muss ich sagen: Wahrlich, Frau Biason & Co. haben ihre Drohung wahr gemacht. «G&G» kann man praktisch nur noch mit einem abgeschlossenen Philosophiestudium kapieren.

Die ersten zwei Minuten wurden vom aktuellen Kulturschaffen in der Schweiz dominiert (SRF-Aktion «Zäme stah – Eine Bühne für Schweizer Kulturschaffende»). Schon da musste ich periodisch seufzen/leer schlucken. War ich aus Versehen beim «Kulturplatz» oder etwas Ähnlichem gelandet? Ein Verdacht, der durch das triste, graue, betonhafte Studio noch verstärkt wurde.



Nach einem 54-sekündigen Beitrag über Roger Federers Triumph an den «Sports Awards» kam dann aber erst der wahre Schock: ein 13-minütiges (!!!) Feature über einen alten, weissen, ungebotoxten Mann. Sein Body war vollkommen untrainiert/undefiniert, er hatte keine Tattoos, Piercings oder Extensions und trug eine Brille. Eine riesige, mindestens fünf Kilogramm schwere Monsterbrille. How creepy is that? Wann hat man jemals eine Brille in «G&G» gesehen, die nicht einfach nur ein Hipster-Accessoire war, sondern wirklich als Sehhilfe gebraucht wurde?

Der Geezer hiess Friedrich Dürrenmatt oder so ähnlich. Erschreckend: Er war kein DJ, Rapper, Influencer, Gamer oder sonst etwas Relevantes gewesen, sondern Schriftsteller. Und: Er war schon 1990 gestorben. Das heisst: seit dreissig Jahren tot! WTF???

Frau Wappler, handeln Sie!

Dementsprechend wurden Bücher eingeblendet (Bücher auf Dürrenmatts Schreibtisch, Bücher in Dürrenmatts Bücherregal, Bücher in der Schweizerischen Nationalbibliothek, eine lesende Frau von oben, eine lesende Frau von unten). Und Bilder, denn Dürrenmatt hatte zwischendurch auch zum Pinsel gegriffen.

Experten sonderten am Laufmeter Sätze mit mehr als fünf Wörtern ab, was total anstrengend war. In vielen davon kamen zusätzlich noch Fremdwörter vor: «Vallon de l'Ermitage», «Centre Dürrenmatt», «Renommée», «Kurator», «Physiker», «prophetisch», «evolutionstechnisch», «universell»; dazu gesellten sich in einem Studiointerview von Moderatorin Jennifer Bosshard mit Regisseurin Sabine Gisiger Exkurse über «Parabeln über die Pandemie in Südafrika» oder «die Mittel der modernen Zeit, die ins Endlose gewachsen sind».

OMG! Ohne Duden und etwa 15 Fremdsprachenwörterbücher war man schlicht und ergreifend aufgeschmissen. Dazu wurden die Namen von irgendwelchen griechischen dudes gedroppt, Minotaurus oder Theseus oder weiss der Geier was.

Nach dem gestrigen Abend wünschte ich mir nur noch eins zurück: Cüpli, Cüpli und noch einmal Cüpli! Frau Wappler, handeln Sie!

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