«Einstein» im Gletscher Tobias Müller: «Komme ich je wieder aus dem Eis raus?»

Von Carlotta Henggeler

21.1.2021

Die Klimaerwärmung macht den Gletschern weltweit zu schaffen. Das Dorf Lenk BE wird jeden Sommer durch das Schmelzwasser des Plaine-Morte-Gletschers bedroht. Auf einer Expedition ins Gletscher-Innere geht Tobias Müller diesem Phänomen nach – dick in fünf Kleiderschichten eingepackt.

Die Klimaerwärmung lässt die Gletscher schmelzen. Jeden Sommer bedroht das Schmelzwasser das Dorf Lenk. Die Wege des Wassers im Bauch des Gletschers sind unbekannt. Tobias Müller spürt dem Gletscherwasser nach – auf einer waghalsigen Expedition mitten im Gletscher.

In dieser «Einstein»-Folge beschäftigen Sie sich mit dem Thema Klima-Erwärmung und Gletscherschmelze. Was gab den Ausschlag, sich mit diesem Thema intensiv zu befassen?

Die Klimaerwärmung sorgt nicht nur dafür, dass die Gletscher schmelzen, sondern auch, dass das Schmelzwasser zunehmend zu einer Gefahr für umliegende Dörfer wird. Auf dem Plaine-Morte-Gletscher ist das der Fall, weshalb es für die Forschung und für Gefahren-Experten wichtig ist, diese Bedrohung einschätzen zu können. Dazu gehört die Frage, wie sich das Schmelzwasser verhält. Denn so ein Gletscher ist nicht nur eine gigantische Toteismasse, die in die Bergwelt eingebettet liegt, sondern im Innern befindet sich ein weit verzweigtes Kanal- und Höhlensystem, wo sich das Schmelzwasser seinen Weg bahnt. Vergleichbar mit der Kanalisation unter einer Stadt. Diese faszinierende wie bedrohliche Unterwelt des Gletschers, die kaum ein Mensch kennt, wollten wir zeigen.

Für diese Expedition sind Sie ins Innere des Gletschers geklettert. Was waren Ihre ersten Gedanken dabei?

«Komme ich da je wieder raus», war das Erste, das mir durch den Kopf ging. Ich hatte grossen Respekt. Denn Gletscher leben, sind ständig in Bewegung. Es gibt Spannungen im Eis. Da fragte ich mich schon, wie sicher das da unten sein würde. Aber die Experten konnten mich beruhigen. Der Plaine-Morte-Gletscher ist ein Plateau-Gletscher und bewegt sich deshalb nur sehr wenig, was das Risiko kalkulierbar macht.

Wie kalt ist es dort unten?

Warm. Also im Vergleich zu oben, wo ständig eine bitterkalte Bise ging. Im Innern des Gletschers war es um die 0 Grad Celsius oder etwas kälter. Zum Vergleich: Auf dem Gletscher war es nachts einmal -20 Grad Celsius kalt.

Wie viele Kleiderschichten und Sockenpaare hatten Sie an?

Fünf Kleiderschichten. Aber nur ein paar Socken. Allerdings ständig Wärmepads in den Wanderschuhen – was überlebenswichtig war. (lacht)

Es waren zwar Bergführer und Eishöhlen-Experten dabei, so eine Expedition ist trotzdem kein Spaziergang. Hatten Sie je ein mulmiges Gefühl?

Als ich angeseilt an der Kante der ersten 30 Meter tiefen Gletschermühle hing und in gähnende, schwarze Leere schaute, da musste ich schon kurz schlucken. Aber die Neugier hat mich letztlich doch nach unten getrieben. Und dank der guten Vorbereitung auf alle klettertechnischen Herausforderungen kam ich schadlos runter. Und auch wieder nach oben.

Keine gefrorenen Fusszehen?

Zum Glück nicht. Aber davor hatte ich tatsächlich Angst. Denn ich bin ein furchtbarer Gfröörli. Aber die Wärmepads in den Schuhen halfen. Und nachts: Da habe ich in der ersten tatsächlich zünftig an den Füssen gefroren. In der zweiten stopfte ich in jede Socke zwei Wärmepads und dann war es – zumindest an den Füssen – wohlig warm.

Sie haben ja gesagt, es sei etwas vom Verrücktesten gewesen, das Sie je getan haben …

Ja, definitiv. Also müsste ich eine Rangliste für alle verrückten Erlebnisse mit «Einstein» machen, wäre das sicher ganz vorne dabei. Aber nicht weil es wahnsinnig gewagt oder gefährlich war, sondern vor allem, weil die Unterwelt des Gletschers mit ihren gigantischen Höhlen und Schmelzwasserabflüssen so magisch ist.

Welches mutige Experiment ist Ihnen sonst noch im Gedächtnis geblieben?

Da gibt es vor allem ein Highlight, das sicher eine Lifetime Experience war. Als ich mit einem Schweizer Wissenschaftler für sein Forschungsprojekt auf Fidschi mit 30 Bullenhaien tauchte und bei einer Fütterung dabei war. Ich bin, seit ich ein Kind bin, grosser Hai-Fan und diese Tiere so hautnah zu erleben und ihre Kraft im Wasser richtiggehend zu spüren, das war unglaublich eindrücklich.

Sie sind unter anderem diesen Fragen nachgegangen: Am Gletscher hat man mit grossem Aufwand einen künstlichen Abflusskanal ins Eis gegraben. Kann hier die Technik die Natur besiegen?

Gute Frage. Ich kann das nicht abschliessend beantworten. Sagen wir es mal so: Die Technik besiegt die Natur im besten Fall, aber die Urgewalten, die auf und in diesem Eisgiganten wirken, machten und machen es den Forschern und Ingenieuren nicht einfach ihn zu zähmen.



Und zu welchem Preis? Wie lautet Ihr Fazit?

Den Preis zahlt hier vor allem der Mensch, weil der Aufwand riesig ist, um diesen künstlichen Abflusskanal einerseits zu graben, andererseits aber auch dafür zu sorgen, dass er bestehen bleibt. Den Aufwand und auch das Scheitern zeigen wir in der Sendung eindrücklich. Letztlich geht es darum, die Menschen zu schützen. In diesem Fall vor drohendem Hochwasser, wenn plötzlich gewaltige Schmelzwassermassen ausbrechen. Der künstliche Kanal soll das Wasser bändigen und besser ableiten. Fest steht für mich: Die klimatisch bedingten Veränderungen im Alpenraum werden immer häufiger mit grossem Aufwand verbunden sein, um die Menschen in Berggebieten zu schützen.

Mit welchem wissenschaftlichen Thema befassen Sie sich bei «Einstein» als Nächstes?

Ich arbeite gerade an mehreren Sendungen. Darunter an einer übers Wetter und die Frage, ob und wann denn die Prognose richtig treffsicher wird. Des Weiteren eine Sendung dazu, was es mit unseren Kindern macht, wenn sie quasi schon mit iPad und Smartphone auf die Welt kommen. Und wir planen – je nach Corona-Situation – für den Herbst eine Sendung über Schweizer Delfinforschung in Australien. Tatsächlich ist die meer- und delfinlose Schweiz in Sachen Delfinforschung weltweit vorne mit dabei.

Das Interview mit Tobias Müller wurde schriftlich geführt.

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